Brüssel fordert mehr Härte und Wachstum

Veröffentlicht am 8 Juni 2011 um 13:15

Erstmals legte die Europäische Kommission am 7. Juni ihre „Empfehlungen“ für die 27 Mitgliedsländer und ihre Haushaltsentwürfe für 2012 vor. „Eine Neuheit der Europäischen Wirtschaftsregierung. Eingeführt wurde sie, um eine neue ‚griechische Tragödie‘ der Staatsfinanzen zu vermeiden, und [die Mitgliedsstaaten von] politischen Programmen [abzuhalten], die alle anderen belasten“, erklärt der Wirtschaftsexperte Mario Deaglio in La Stampa.

Die in einer ausgesprochen schwierigen wirtschaftlichen Lage formulierten Empfehlungen fasst Deaglio wie folgt zusammen: „Ohne Verringerung der Staatsschulden, kein Wachstum. Ein alleiniger Abbau der Staatsschulden ohne Wachstum ließe die Wirtschaft aber in eine neue Rezession abrutschen.“

Allerdings macht sich Brüssel dennoch für „besonders viel Härte stark: Wir wollen den Europäern keinen Sparkurs aufzwingen, aber es ist nun einmal eine Tatsache, dass übermäßige Staatsausgaben unser Wachstumspotential einschränken“, so die wesentliche Aussage der Kommission, für welche die Regierungsprogramme generell „zu vage formuliert“ und „nicht ehrgeizig genug“ sind. Ihrer Meinung nach verhelfe eine Reihe folgender Prioritäten auf den richtigen Weg: „Erhöhung des Rentenalters, Einschränkung des Vorruhestandes, Anpassung der Löhne an die Produktivität, Entschlackung des Verwaltungsaufwands für Unternehmen, sowie Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen“. Für Deaglio „ist das für jemanden, der den Wählern keine Rechenschaft schuldig ist, gar nicht so schlecht“. Jedoch „ist es für die immer unbeliebteren Regierungen sehr schwierig, diese sehr edlen Vorsätze auch wirklich umzusetzen“. So ist die Kommission „mit Italien, das für den Erhalt des Euros eine Schlüsselrolle spielt, ganz besonders streng“, urteilt Deaglio.

In einem anderen Schlüsselland – Spanien – fanden die Empfehlungen der Kommission wenig Anklang. Für La Razón „scheinen sie weder sinnvoll, noch angebracht“, weil sie „einen inflationären Prozess auslösen könnten, der für eine stagnierende Wirtschaft wie die spanische fatale Folgen haben könnte“.

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Auch Belgien fasst die Kommission nicht gerade mit Samthandschuhen an und verlangt nichts Geringeres als die Umgestaltung seiner Wirtschaftsstruktur, berichtet De Morgen. Damit droht die EU „die Bildung“ der Regierung „platzen zu lassen“, meint die Tageszeitung aus Brüssel.

Fast ein Jahr nach den Parlamentswahlen verhandeln die Parteien noch immer über die Zusammensetzung der Exekutive. Auf diese Gespräche wirken sich die Empfehlungen der Kommission störend aus, meint De Standaard. Den mit der Regierungsbildung beauftragten frankophonen Sozialisten Elio Di Rupo hat das „hart getroffen“ und „die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Sozialisten und der Neuen Flämischen Allianz verstärkt“ (kurz N-VA, die wichtigste flämische Partei, die Brüssels Ziele teilt). „Es lohnt nicht, dass Di Rupo ein Programm aufstellt. [EU-Kommissionspräsident] Barroso hat das bereits für ihn getan“, bemerkt De Morgen ironisch. (jh)

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