“Merkozys ungewisser Weg”

Angela Merkel und Nicolas Sarkozy haben am 5. Dezember in Paris neue Vorschläge zur Rettung des Euro ausgearbeitet. Die 27 sollen diese nun während des Gipfeltreffens vom 8./9. Dezember absegnen. Doch verlassen sollte man sich darauf nicht, meint die Presse im restlichen Europa.

Veröffentlicht am 6 Dezember 2011 um 17:10

Der Text sieht insbesondere die Änderung der EU-Verträge vor. Das Prinzip der Haushaltsdisziplin soll eingefügt werden, sowie “sofortige”, “automatische” Sanktionen für Staaten, deren Defizit über drei Prozent des BIP läge. Paris und Berlin verlangen auch die Einrichtung einer “verstärkten und auf europäischer Ebene harmonisierten Schuldenbremse”, damit jedes Land Absicherungsmechanismen einrichten und somit das Ziel eines ausgewogenen Staatshaushalts einhalten kann. Unterdessen stellt die Ratingagentur Standard & Poor’s die Länder der Eurozone unter verschärfte Beobachtung, darunter auch die sechs Staaten mit AAA-Rating.

In Madrid qualifizierte El Pais das Abkommen als “wackelig”, da im Ganzen “unzureichend” und in seinen einzelnen Aspekten “diskutabel”. Insbesondere sei überhaupt keine Teilung der Verantwortung erwähnt:

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Es ist nicht ausreichend, weil Merkel und Sarkozy trotz ihrer Äußerungen keine Finanzunion vorzeichnen [...], sie legen nur den Nachdruck auf die Haushaltsdisziplin. Eine Reform der Verträge mit vorgehaltener Pistole beträfe allein die Eurozone, für den Fall eines Boykotts durch manche, und würde doch auf alle Druck ausüben. Sie öffnet allerdings auch eine Büchse der Pandora mit unendlichen, lähmenden, haarspalterischen Diskussionen: Die aktuellen Verträge haben zehn Jahre gekostet. Doch die wichtigsten Mängel liegen in der Unklarheit der Notmechanismen für das Krisenmanagement. Auf den definitiven Rettungsfonds von 2012 wird nicht vorgegriffen, über die unerlässliche Rolle der EZB herrscht durchdringendes Schweigen und die Eurobonds wurden bedauerlicherweise abgelehnt. Eine magere Ernte: Wird sie beim EU-Gipfel nicht verbessert, dann wird die Freude der Märkte nicht lange anhalten. – El País

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“Berlin hat gewonnen”, titelt La Stampa. Die Tageszeitung aus Turin weiß zwar zu schätzen, dass Merkel und Sarkozy die Autonomie von EZB-Chef Mario Draghi anerkannten, doch sie beklagt, das Abkommen zwischen den beiden gehe auf Kosten der Eurobonds, der berühmten EU-Anleihen. Was den Rest betrifft, so sei da “nichts Neues”.

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“Am Auffälligsten ist das, worüber sie nicht gesprochen haben: Das Duo meidet das Thema der EZB, die nach Sarkozys Wünschen aktiver eingreifen aber Merkels Ansicht nach bei ihrer Stabilisationsrolle bleiben sollte.” – La Stampa

In Portugal schreibt das Jornal de Negócios folgendes:

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Alle, die Europa kennen, wissen, dass Merkozy einen ungewissen Weg geebnet haben, um den Kampf gegen einen unmittelbaren Zusammenbruch des Euro zu gewinnen. Sie öffneten damit jedoch alte Wunden aus der Zeit, als innerhalb der Souveränität und der Demokratie der europäischen Länder und der EU im Jahr 2010 die Krise ausbrach. – Jornal de Negócios

Bei den Kollegen von Publico wiederum heißt es:

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“Deutschland bereitet sich darauf vor, Europa zu germanisieren [...]. Selbst wenn man den Gedanken akzeptiert, dass die steuerliche und budgetäre Integration “verstärkt und harmonisiert” werden muss, erinnern die Forderungen des Merkozy-Paars an Kriegsreparationen. Forderungen über Forderungen an die Verlierer und Geschlagenen, doch nichts, was Bemühungen, Geld und Solidarität erfordert. – Público

Die estnische Tageszeitung Postimees bedauert ihrerseits, dass “die Staats- und Regierungschefs der EU die europäischen Institutionen geschwächt haben”:

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Jede Rettungsaktion der Eurozone wird durch den Rat koordiniert, obwohl dieser nie ein demokratisches Organ war. Man sollte dem Parlament mehr Gewicht verleihen. Die Umkehr zu einem Europa der Nationen wäre auch ein demokratischer Rückschritt und in weltpolitischer Perspektive mehrfach schlimmer als der 11. September 2011 oder die Kriege im Irak oder Afghanistan. – Postimees

Außerhalb der Eurozone ist der Skeptizismus ebenfalls an der Tagesordnung. So findet sich der Adevarul in Bukarestmit der Feststellung ab, das neue Europa werde “nicht perfekt sein und nicht einem Gedicht ähneln”:

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Europa setzt seinen Weg fort, an Deutschland gekoppelt und über die Finessen der französischen Politik hinaus. [...] Alles wird sich um den Kern der Eurozone herum anordnen, und die nicht dazugehörigen anderen Länder werden kämpfen müssen, um dem Rhythmus zu folgen. Rumänien, Polen und die baltischen Staaten werden es tun, denn es liegt in unserem Interesse. Es gibt keine andere Wahl. – Postimees

Für die Rzeczpospolita schließlich ist das Abkommen zwischen Merkel und Sarkozy über eine Union der Stabilität weder ein Fortschritt noch eine Revolution, sondern eine “alte Union, festgefahren in Kompromissen”:

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Wenn man das Wort “Kompromiss” zeichnen könnte, dann stünde es schon lange auf der Flagge der EU, anstatt der Sterne. Und man würde sich heute nicht fragen, welcher Stern wohl als erster fällt. Doch selbst da kann noch ein Kompromiss gefunden werden. Und wir werden höchstwahrscheinlich herausfinden, dass man auch als Außenstehender durchaus zur EU gehören kann. – Rzeczpospolita

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