Frankreichs abenteuerlicher Krieg

Seit Freitag sind französische Kampfjets gegen den Vormarsch bewaffneter islamistischer Gruppen im Süden von Mali im Einsatz. Radikalislamistische Gruppierungen beherrschen seit April 2012 den Norden des Landes. Trotz aller Zustimmung warnt Europas Presse vor den Risiken eines Krieges.

Veröffentlicht am 14 Januar 2013 um 16:46

Bei dem vom UNO-Sicherheitsrat genehmigten Bombardierungen aus der Luft agieren die französischen Streitkräfte mit der logistischen Unterstützung der Briten. Sie helfen den malischen Truppen im Kampf gegen die Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad, die die Unabhängigkeit der Provinzen Gao, Tombuktu und Kidal fordert. Außerdem richten sich die Luftschläge gegen Ansar Dines Salafisten, die in diesem Teil von Mali ein islamistisches Regime aufbauen wollen.

„François Hollande ist es gelungen, den Vormarsch der Taliban der Wüste aufzuhalten“, kommentiert die französische Tageszeitung Libération, die sich allerdings fragt, wie sich die Operation „Serval“ wohl entwickeln wird:

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Wird Frankreich sich damit begnügen, die unaufhaltsame Ausbreitung der Islamisten  in Mali aufzuhalten? Werden die französischen Streitkräfte mit einigen afrikanischen Truppen den Norden des Landes zurückerobern, der seit neun Monaten in den Händen der Zeloten ist? Werden die zum Großteil gemäßigten und toleranten malischen Muslime sich von den Rebellen einen fanatischen Islam aufzwingen lassen? […] Heute werden die französischen Streitkräfte von der verzweifelten Bevölkerung, die den Islamisten nicht gewogen ist, mit offenen Armen begrüßt, aber die Situation könnte sich schon morgen ändern, da die Malier zu Recht die Präsenz der Soldaten des ehemaligen Kolonialherrn nicht lang auf ihrem Boden tolerieren dürften. Es gibt keine militärische und schon gar keine französische Lösung der Krise in Mali.

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Angesichts des Vormarschs der Islamisten habe sich der französische Staatspräsident  François Hollande für „das kleinere Übel“ entschieden, meint die französische Tageszeitung Le Monde, denn —

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... das Land konnte nicht tatenlos zusehen. Passivität hätte wohl zu einer Situation geführt, in der ein noch umfassenderer Kampfeinsatz nötig geworden wäre. Frankreich kann allerdings nicht allein vorgehen. Eigentlich müssten die westafrikanischen Staaten Mali helfen, den Norden zurückzuerobern, aber es liegt auch im Interesse ganz Europas, den Aufbau einer Hochburg der Dschihadisten in der Sahel-Zone zu verhindern.

Die Risiken eines französischen Einsatzes in Mali seien groß „für die Soldaten, den Präsidenten und sein Land“ so die Süddeutsche Zeitung. Aber diese Risiken dürfe Frankreich nicht allein auf sich nehmen:

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In Mali muss jetzt eine funktionierende internationale Truppe vor allem aus afrikanischen Einheiten gebildet werden; Frankreich braucht außerdem die militärische Hilfe seiner europäischen Verbündeten. [...] Die Europäische Union diskutiert seit Monaten das malische Problem – mit beschämend geringem Erfolg. [...] Schon heute leidet Europa unter dem islamistischen Terror-Ring, der sich um den Norden Afrikas legt. [...] Es kann niemandem in Europa gleichgültig sein, was sich an den Ufern des Meeres, das nicht zufällig mare nostrum heißt, ereignet. Hier liegt nicht Europas schmuddeliger Hinterhof, das hier ist die Nachbarschaft.

„Das Problem bei der französischen Intervention ist, dass es eine französische Intervention ist“, kommentiert die Tageszeitung, die den „linken Neokolonialismus“ bedauert:

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[Nicolas] Sarkozy wurde dann viel kritisiert für die französischen Beteiligungen an Militärinterventionen in Libyen und der Elfenbeinküste, aber diese Einsätze hielten sich immerhin streng an international definierte Rahmenbedingungen. Dass Hollande hinter Sarkozy zurückfällt – wer hätte das gedacht?

The Independent warnt davor, dass Frankreichs Eingreifen in Mali die Islamisten in ihrer Meinung bestärken könnte, der Westen würde schon wieder zum Kampf gegen den Islam aufrufen. So ist Owen Jones der Ansicht, es sei —

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... äußerst beunruhigend, wie [der Premierminister David] Cameron Großbritannien in den malischen Konflikt verwickelt hat, ohne auch nur so zu tun, als ob er Rücksprache halten würde. So erfahren wir, dass keine Truppen entsandt werden sollen, aber eine Eskalation der Krise könnte zu einer Ausweitung des Einsatzes führen und Großbritannien tiefer hineinziehen. Der Westen neigt dazu, sich mit den dubiosesten Partnern zu verbünden: Die Alliierten, die wir gewählt haben, sind ganz entschieden keine menschenrechtsliebenden Demokraten. Wir alle müssen prüfen, was unsere Regierungen in unserem Namen unternehmen. Wenn wir aus Irak, Afghanistan und Libyen nichts gelernt haben, dann ist alle Hoffnung verloren.

In Rumänien fragt sich die Bukarester Tageszeitung Adevărul beunruhigt, welche Auswirkungen die Operation „Serval“ auf dieses riesige Gebiet in Afrika und auch auf „die Sicherheit der EU und ihrer Bürger in den Mitgliedsstaaten und außerhalb“ haben könnte. Trotzdem wird der Militäreinsatz „wegen des rasanten Anstiegs der Zahl der islamischen Gruppen […] im Norden und Süden der Sahara“ für notwendig befunden. Dessen ungeachtet warnt die Tageszeitung vor den Folgen der Operation:

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Jetzt, wo Frankreich vor Ort in Kampfhandlungen verwickelt ist, könnten wir wieder Zeugen von Szenarien wie im Irak oder in Afghanistan werden, aber auf einer noch umfassenderen und komplexeren Ebene.

„Nun stellt sich die Frage, ob und wie die EU sich mobilisiert“, fügt European Voice hinzu. Das in Brüssel beheimatete Wochenblatt hinterfragt die europäische Verteidigung:

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Werden die EU-Mitgliedsstaaten Frankreich militärische Unterstützung anbieten? Wird die EU sich damit begnügen, die malischen Truppen zu schulen? [...] Dass die Islamisten über die Wüste herrschen – einen idealen Ausgangspunkt für Anschläge in der Region und in Europa – beunruhigt Frankreich und sollte Paris zufolge ganz Europa in Sorge versetzen, obwohl andere europäische Länder sich nicht direkt betroffen fühlen mögen. [...] Die Operation und die Fragen, die sie aufwirft, werden sicher im Dezember die Teilnehmer am Gipfel über die Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigung beschäftigen. Die europäische militärische Schlagkraft liegt dem Präsidenten des Europäischen Rates Herman Van Rompuy sehr am Herzen. Dank der „Hilfe“ Malis werden sich nun auch die Politiker und die EU-Bürgern bis zum Jahresende intensiver damit befassen.

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