Rettungsplan Zypern

„Erpressung statt Solidarität“

Mit ihrer Forderung, Zwangsabgaben auf Bankeneinlagen einzuführen, um sich das zehn Milliarden Euro schwere Rettungspaket zu sichern, haben die Führungskräfte der Eurozone bestenfalls „einen gefährlichen Präzedenzfall“ geschaffen, schlimmstenfalls aber „Erpressung“ betrieben, meint die europäische Presse.

Veröffentlicht am 18 März 2013 um 16:32

Die Vereinbarung, auf die sich Zypern, die Eurogruppe und der IWF am 16. März einigten, sieht die Einführung einer Steuer von 6,6 Prozent auf Bankguthaben bis zu 100.000 Euro, 9,9 Prozent auf alle höheren Einlagen vor. Diese Maßnahme, die seither als „Willkür“, „Enteignung“ oder „Wagnis“ bezeichnet wird, gefährdet nicht nur die Solidarität der Länder der Eurozone untereinander, sondern auch den freien Kapitalverkehr innerhalb der Union, heben die Kommentatoren hervor.

Unter der Überschrift „Europa vermasselt eine weitere Rettung“ putzt die Financial Times die unerwartete Zwangsabgabe auf Spareinlagen herunter und bedauert, dass die alten Laster der Eurozone sie nun doch wieder eingeholt haben, weil sie „genau in dem Augenblick rückfällig geworden ist, in dem sie begann, die richtigen Weichen zu stellen, um der sich stets verändernden Schuldenkrise die Stirn bieten zu können“.

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Wie legal das Ganze auch sein mag: Wenn man derart gegen den Geist der Einlagensicherung verstößt, die den Kleinsparern in der EU Ersparnisse von bis zu 100.000 Euro garantieren sollte, egal wie krisengebeutelt ihre Banken auch sind, dann ist das ein unverzeihlicher Verrat an jenen, die am meisten zu verlieren haben und die geringste Verantwortung tragen. [...] Anstatt ihrem EU-Mitglied, das kurz vorm Ertrinken ist, einen Rettungsring zuzuwerfen, hängen die Führungskräfte der Union Zypern einen Mühlstein um den Hals. [...] Aufgrund der Bilanzstruktur der zyprischen Banken hatte man es auf einige Einlagen abgesehen. Allerdings ist die Behauptung von Präsident Nikos Anastasiades, es gebe keine Alternative zum derzeitigen Projekt, eine Beleidigung für Zyperns Kleinsparer oder Kleinunternehmer. [...] Zudem birgt [das Ganze] erhebliche Risiken für Europa. [...] Die größte Gefahr ist politischer Natur. Während überall allgemeine Sparmaßnahmen verordnet werden, fasst man die großen Anleger mit Samthandschuhen an. Das macht die Wähler in ganz Europa immer wütender. [Mit dieser Entscheidung] haben die Führungskräfte nur noch mehr Öl ins Feuer gegossen.

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Für die Tageszeitung Público aus Lissabon ist das Rettungspaket nichts Geringeres als eine „Veruntreuung“ durch die Eurogruppe, der sie vorwirft, beschlagnahmende und willkürliche Praktiken in die EU-Politik einzuführen.

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Die Argumente sind bereits bekannt. Wieder einmal gab es keine Alternative. Und von allen möglichen Lösungen bereitet diese die wenigsten „Schmerzen“. Allerdings beweist die unsägliche Rettung Zyperns, der die Finanzminister der Eurogruppe am Sonntag zustimmten, wie wenig Sinn Worte innerhalb der Europäischen Union noch machen, und wie sehr sie an Wert verloren haben. Wo EU-Bürger einst Rechte hatten, gibt es nun nur noch Bürger, deren Ersparnisse ohne Vorwarnung besteuert werden können. So geht es den Zyprioten. [...] An die Tatsache, dass die Europäische Union Regeln und Werte inzwischen völlig willkürlich missachtet, sollte man sich besser gewöhnen. In Anbetracht dessen, was an diesem Wochenende geschehen ist, handelt es sich um einen schwarzer Tag für die Geschichte Europas. [...] Demokratie ist nur noch relativ. Und Erpressung hat Solidarität abgelöst. Die Worte sind nun andere. Das ist Europas wirkliche Krise.

Für Trouw „ist es zwar richtig, Bankeinlagen zu besteuern, aber Zyprioten zu enteignen könnte verheerende Folgen haben“. Obwohl die Tageszeitung aus Amsterdam die Empörung versteht, erinnert sie daran, dass Zyperns Steuerbehörden die Insel zu einem sehr „vorteilhaften“ Hafen für Anlagen, und damit auch zu einem „beliebten Ziel für Schwarzgeld“ gemacht haben. Für die Bemühungen um Lösungen für die finanziellen Probleme der Insel

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spricht vieles. [...] Die Vereinbarung, auf die man sich dieses Wochenende in Brüssel einigte, sieht letzten Endes aber eher nach Zwangsenteignung aus. Die sparenden Anleger haben schlicht und einfach einen Teil ihres Geldes verloren. Und das wirkt sich eben nicht nur auf die reichen Russen aus, sondern auch auf die zyprischen Kleinsparer.

Aus Mailand meldet die Tageszeitung Il Sole 24 Ore, dass das Anzapfen zyprischer Konten als Gegenleistung für ein Rettungspaket „einen gefährlichen Präzedenzfall“ schafft, der das „Vertrauen erschüttert“ und die Frage stellt: „Was passiert nun mit dem freien Kapitalverkehr in der EU?“

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Gewiss wird ein Großteil der Abgaben aus russischem Kapital stammen, das mit einem attraktiven Steuersystem geködert wurde [...]. Und ein noch diffuses Anti-Geldwäsche-Gesetz wird auch dazu beitragen. Doch wird all das nicht reichen, um etwaige Zweifel an dem riskanten Vorhaben zu zerstreuen, das bei den Sparern zweifellos Spuren hinterlassen wird. Schließlich haben sie das Herz eines Kaninchens, die Beine eines Feldhasen und das Gedächtnis eines Elefanten.

Mit dem Titel „Steuern für die Rettung“ kommentiert das Wirtschaftsblatt Kommersant aus Moskau die Vereinbarung. Mit der Zwangsabgabe auf Bankeinlagen hat „die EU entschieden, das zyprische Bankensystem mithilfe der russischen Wirtschaft zu retten, ohne sich vorher mit Russland beraten zu haben“, berichtet die Tageszeitung. Ihren Schätzungen zufolge sollen Russen auf zyprischen Konten etwa 20 Milliarden Dollar [15,43 Milliarden Euro] geparkt haben. Insgesamt belaufen sich die Bankeinlagen auf etwa 90 Milliarden Dollar [69,46 Milliarden Euro]. Während Wladimir Putin das Rettungspaket für „ungerecht, laienhaft und gefährlich“ erklärte, meldet Kommersant:

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Seit 2011 hat Russlands Regierung so oft von der „Ent-Offshorisierung“ der zyprischen Wirtschaft [d. h. der Rückführung russischen Kapitals aus dem Ausland nach Moskau, darunter Zypern] geredet, dass es aus moralischer Sicht ganz einfach nicht das Recht hat, die wirksamste Hilfe zu verurteilen, die der zyprischen Regierung entgegengebracht wird. [...] Hinter dieser „Steuer“ verbirgt sich nämlich etwas ganz anderes: Die Aufrechterhaltung des Status quo. Schließlich hatte Russlands Finanzminister die Erneuerung des Kredits Zyperns an folgende Bedingung geknüpft: Die Bekanntgabe von Informationen über die von der zyprischen Wirtschaft begünstigten Russen.

„Niemand kann sagen, welche Folgen diese Entscheidung nach sich ziehen wird“, meint die Tageszeitung Le Monde und spielt auf eine „mögliche Ansteckungsgefahr des zyprischen Plans“ an.

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Europäer und IWF haben in Kauf genommen, dass sich erneut Skepsis gegenüber der Einheitswährung breit macht. Am Montag Vormittag fielen sowohl der Euro als auch die Börsen. Nun muss man sich vor allem darum kümmern, dass nicht auch Spaniens, Portugals, Irlands und Italiens Sparer ihr Guthaben abheben, das sich auf Bankkonten offensichtlich nicht in Sicherheit befindet.

In Deutschland bezeichnet die Süddeutsche Zeitung den „Angriff auf die Sparbücher“ als letzten „Tabubruch“ der Euro-Krise.

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Zugegeben, die Lage war kompliziert. Die Verhandlungen über das zyprische Rettungspaket dauerten neun Monate, keiner mochte sich bewegen. [...] Deutschland ist als größte Euro-Volkswirtschaft das Land, das die größte finanzielle Verantwortung übernimmt und im Zweifel am meisten zahlen muss. Im Umkehrschluss bedeutet das allerdings nicht, dass Berlin das Maß aller Euro-Entscheidungen sein darf. Deutschland ist eines von 17 Euro-Ländern. Die Beiträge, die Frankreich, Italien und Spanien zahlen, sind nur wenig kleiner als der deutsche. Aus keinem dieser Länder aber waren Forderungen zu hören, ausgerechnet das kleine, weit entfernt im Mittelmeer liegende Zypern zu benutzen, um zu testen, was passiert, wenn ein weiteres Tabu gebrochen und kleine Sparer zur Kasse gebeten werden.

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