Evolution der Politik in Europa

Das Ende des Zweiparteiensystems?

Veröffentlicht am 3 April 2015 um 13:54

Die Bezirkswahlen in Frankreich und Spanien brachten in beiden Ländern ein neues politisches Phänomen ans Licht: Während sich sonst üblicherweise immer dieselben zwei Parteien an der Macht abwechselten, wurden nun neue Parteien gewählt, die bis vor ein paar Jahren noch gar nicht existierten und die sich infolge der Auswirkungen der Wirtschaftskrise gegründet hatten, und das zarte Pflänzchen eines Dreiparteiensystems scheint zu entstehen.

In Spanien waren bei den Kommunalwahlen am 22. März neben der siegreichen Sozialistische Partei (PSOE) und der Volkspartei (PP) zwei neue politische Kräfte erfolgreich: Podemos („Wir können“) und Ciudadanos („Bürger“). Sie erhielten ein Viertel der Stimmen und sind nun die dritt- bzw. viertstärkste politische Kraft in der Region. Dieser Wahltermin war nur der erste von mehreren, die dieses Jahr in Spanien anstehen: Im Mai finden Kommunalwahlen in mehreren Städten und Gemeinden statt und im Herbst sind Parlamentswahlen. Podemos konnte bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 ein unerwartet gutes Ergebnis erzielen und ist für Spanien das, was Syriza für Griechenland ist: eine Partei, die mit der von Europa auferlegten Sparpolitik brechen will. Ciudadanos hingegen vertritt eher zentristische Positionen, wurde 2006 gegründet und erfuhr ein fulminantes Wachstum, getragen von Wählern, die sich über die Wirtschaftskrise und die Korruption bei den großen Parteien ärgern.

José Oneto schreibt auf der Seite República de las Ideas, es handele sich um ein „politisches Erdbeben“ und meint,

das Zweiparteiensystem, auf dem das Funktionieren dieses Landes seit dem Übergang zur Demokratie basiert, ist kurz davor, zu verschwinden.

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El País betrachtet dennoch die neuen demokratischen Anforderungen der Bürger als Grund für das Ende des traditionellen Zweiparteiensystems:

Eine neue Generation kommt an die Macht und die Bürger machen offensichtlich Druck, weil sie wollen, dass die Art und Weise, wie die Interessen der Wähler repräsentiert werden, und die Methoden der Regierung geändert werden. Zweifellos suchen die Wähler neue Lösungen für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme, ohne jedoch ein demokratisches System zu zerstören, an das sie eindeutig immer noch glauben. Es wäre jedoch völlig falsch, die Ereignisse als Krise des Zweiparteiensystems zu betrachten, wie bestimmte Politiker und Medien zwanghaft wiederholen.

Auch in Frankreich stellt sich diese Frage, denn hier kommt am Front National (FN) von Marine Le Pen nach den Bezirkswahlen vom 22. März und dem Durchbruch bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2014 wieder einmal niemand vorbei – neben den ewig präsenten Union Pour un Mouvement Populaire (UMP) und Parti Socialiste (PS). Die Zeiten, in denen sich diese beiden ewig und ohne Alternative abwechselten, scheinen nun vorüber zu sein. Le Monde schreibt daher „Neu ist der Durchbruch der rechtsextremen Partei in Bereiche, die für ihre Argumente bisher unerreichbar waren“ sowie die sehr zahlreichen „Dreiecke“ in den Bezirken, in denen der FN es in den zweiten Wahlgang geschafft hat.
„Bei diesen Dreikämpfen wird eine Grundregel, die seit 50 Jahren bei allen Wahlen galt, völlig auf den Kopf gestellt“, bekräftigt daher Gérard Courtois, der Journalist der Pariser Tageszeitung, der die Abwahl eines der Kandidaten der beiden großen, traditionellen Parteien „in der ersten Runde“ der nächsten Präsidentschaftswahl 2017 vorhersagt.

Das Phänomen betrifft auch andere europäische Länder und ist Teil einer Grundtendenz mehrerer demokratischer europäischer Systeme, bemerkt Diario.es.

Dort beobachtet man, dass die zwei wichtigsten politischen Kräfte in Ländern wie Österreich, Deutschland, Schweden oder Großbritannien schon seit mehreren Jahrzehnten Wählerstimmen verlieren.

Deutsche Übersetzung von Heike Kurtz, DVÜD

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