Flüchtlinge in der Ukraine
Des réfugiés afghans, pakistanais, palestiniens, congolais et somaliens dans un centre de rétention à Chop, dans l'ouest de l'Ukraine, en 2009.

„Das Guantanamo des Ostens“

Veröffentlicht am 3 März 2015 um 18:14
Des réfugiés afghans, pakistanais, palestiniens, congolais et somaliens dans un centre de rétention à Chop, dans l'ouest de l'Ukraine, en 2009.

In den Medien wird weniger darüber berichtet, dass die Ukraine ein wichtiger Zugang für Flüchtlinge ist, die vor Islamisten aus Westafrika nach Europa flüchten, als über Flüchtlinge, die Europa über das Mittelmeer erreichen. Die Aufnahmebedingungen sind jedoch empörend, wie Asylbewerber erzählen.

Von Lorenzo Ferrari

Hasan Hirsi ist 21 Jahre alt. Mit 15 hat er Somalia verlassen, nachdem die Al-Shabab-Terroristen sein Dorf angegriffen und seinen Vater getötet hatten. Er ist nach Moskau geflogen und fuhr von dort mit Schleusern nach Kiew. Um von der Ukraine in die Europäische Union einzureisen, brauchte Hirsi fünf Jahre – und fünf Versuche. Er wurde jedes Mal von ukrainischen, ungarischen und slowakischen Grenzsoldaten festgehalten und er hat beinahe drei Jahre in Abschiebelagern und in ukrainischen Gefängnissen verbracht. Er gibt an, dort von Sicherheitskräften beraubt, geschlagen und gefoltert worden zu sein. Heute noch, berichtet er dem Spiegel, bezeichnet er die Ukraine als „Hölle“ noch immer habe er Albträume davon.

Während sich die Aufmerksamkeit der Medien und der Politik auf die Einreiserouten konzentriert, die über das Mittelmeer führen, stellt Maximilian Popp in einer ausführlichen Untersuchung, die auf der Website des deutschen Magazins auf Englisch veröffentlicht wurde fest, dass „das bislang gezeigte Interesse an der östlichen Route und am Schicksal von Migranten wie Hasan Hirsi begrenzt war.“

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Dennoch „haben im vergangenen Jahr, trotz des laufenden Konflikts in der Ukraine, hunderte von Migranten versucht, über Osteuropa in die EU zu gelangen.“

Einer der wichtigsten Kreuzungspunkte auf der östlichen Route ist in der ukrainischen Stadt Uzhgorod, in der Nähe der slowakischen Grenze gelegen. Die Flüchtlinge verbringen dort oftmals einige Monate, während sie darauf warten, von ihren Familien das benötigte Geld geschickt zu bekommen, das sie brauchen, um ihren Weg fortsetzen zu können. Danach werden die Migranten „im Tausch gegen mehrere hundert Euro von ukrainischen Schleusern von Uzhgorod nach Ungarn oder in die Slowakei gefahren“, schreibt Maximilian Popp.

Auch wenn die Mitgliedsstaaten der EU die Asylanträge prüfen sollten, „ignorieren die Länder, die an der östliche Grenze liegen, wie Ungarn oder Griechenland oftmals die Vorschriften und schicken die Flüchtlinge wieder zurück.“ Genauso war es bei Hirsi, der seinen Asylantrag stellen wollte und mehrfach in die Ukraine zurückgeschickt wurde.

Zwischen 2000 und 2006 überwies die EU 35 Millionen Euro an die Ukraine, damit diese die Kontrolle an ihren Grenzen verstärkt. In den vergangenen Jahren hat Brüssel weitere 30 Millionen Euro für den Bau und die Modernisierung von Abschiebe- und Auffanglagern für Migranten überwiesen. Eine Vereinbarung, die 2010 von der EU und der Ukraine unterschrieben wurde, führt aus, dass Flüchtlinge, die über die Ukraine nach Europa einwandern, an Letztere wieder zurückgeschickt werden können.

„Entlang der europäischen Ostgrenze ist die Untervergabe der EU-Asylpolitik weiter fortgeschritten als in jeder anderen Region“, schreibt Popp, der hinzufügt, dass „augenscheinlich Brüssel glaubt, dass dieses System zu einer Reduzierung der Asylantragsteller in Europa führen wird – ohne allzu viel Aufmerksamkeit zu erregen.“

Aber bereits 2010 hat die Nicht-Regierungsorganisation Human Rights Watch kritisiert, dass die EU „mehrere Millionen Euro investiert hat, um den Einwanderungsstrom weit weg von Europa in die Ukraine umzulenken, ohne sich davon zu überzeugen, ob ausreichende Vorkehrungen getroffen werden, um eine humane Behandlung der Flüchtlinge sicherzustellen.“

Nach Aussage von Hasan Hirsi werden die Flüchtlinge in der Ukraine unmenschlich behandelt. Eines der Abschiebelager, in denen er interniert war, in Pavichno, war beispielsweise bekannt als „Guantanamo des Ostens“.

In den Lagern wurden die Migranten „in einem dunklen, ungeheizten Raum bewacht und die Wächter verweigerten ihnen die Benutzung von Toiletten. Viele Flüchtlinge urinierten in Flaschen oder auf den Boden und sie erhielten mehrere Tage nichts zu essen. ‘Wir waren eingesperrt wie die Tiere’, bekräftigt Hirsi.“

Während der Verhöre schlugen die Bediensteten die Migranten und verabreichten ihnen Elektroschocks. Hirsi sagt, einer von ihnen habe behauptet, dass „ihr jetzt in der Ukraine seid. Nicht in Deutschland. Nicht in England. Und hier gibt’s keine Demokratie.“

Hirsis Erlebnisbericht deckt sich mit vielen anderen Berichten und Zeugen. Nach dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (HCR), verstößt die Festnahme von Migranten in der Ukraine gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Es ist zu befürchten, dass sich die Behandlung von Migranten aufgrund der aktuellen Krise in der Ukraine noch weiter zuspitzt. So, wie es der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen feststellt, „hat die Regierung in Kiew alle Hände voll mit der Führung und dem Schutz der Binnenflüchtlinge zu tun, von denen es fast eine Millionen gibt. […] Deshalb ist er nicht in der Lage, sich gleichzeitig noch um Asylantragsteller zu kümmern.“

Deutsche Übersetzung von Karen Gay-Breitenbach, DVÜD

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