Inspiriert von 'The Godfather'

Die Gefahr der Kostensenkungs-Maschinen der Supermärkte

Der Austausch von Rind- gegen Pferdefleisch ist ein spektakuläres Zeichen dafür, dass bei der Bemühung um Senkung der Kosten eine Grenze erreicht wurde, meint der Kolumnist John Gapper.

Veröffentlicht am 14 Februar 2013 um 16:32
Inspiriert von 'The Godfather'

Seit Sweeney Todd hat es keine derartige Ungewissheit darüber gegeben, was genau in industriell verarbeitetem Fleisch enthalten ist. Diesmal sind es nicht die Kunden des teuflischen Barbiers aus der Fleet Street, sondern rumänische Pferde.

Da Pferdefleisch magerer ist als minderwertiges Rindfleisch und auch mehr Omega-3-Fettsäuren enthält, könnte hier ein seltener Fall von Verfälschung vorliegen, bei dem das Essen im Endeffekt gesünder ist. Allerdings spricht es nicht gerade für die ausgedehnte Belieferungskette, über welche Supermärkte und Restaurants ihre industriell verarbeiteten Lebensmittel beziehen. Wenn sie die Pferde nicht bemerkt haben, was hat sich dann wohl sonst noch eingeschlichen?

Am oberen Ende des Marktes, wo Bio-Metzger mit Rückverfolgung werben und man schon fast den Namen des Tiers erfährt, das man verzehrt, ist die Vertauschung eines Pferds mit einer Kuh unvorstellbar. Doch am billigen Ende, eingezwängt zwischen den Preissteigerungen und einer zunehmenden Nachfrage nach Fleisch in China und in Schwellenländern, landen seltsame Dinge im Kochtopf.

So kann es nicht weitergehen. Die amerikanische Automobilindustrie behandelte ihre Zulieferer einst ähnlich – sie bedrängte sie so sehr, dass sich das Produkt verschlechterte und die Hersteller pleite gingen. So kompliziert es sein mag, eine Beziehung mit den Zulieferern zu schaffen, wenn die Kunden niedrige Preise verlangen – die Nahrungsmittelindustrie hat hier keine gute Alternative.

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Die Lebensmittelpreise sind seit 2007 gesunken

Infolge der Konzentration in Produktion und Vertrieb wurden die kleinen Läden in den vergangenen Jahrzehnten durch Supermärkte ersetzt, die wiederum von Verarbeitungsunternehmen beliefert werden. In gewisser Weise war das für den Durchschnittsverbraucher ein gutes Geschäft. Das qualitative Grundniveau wurde angehoben – über den Inhalt britischer Würstchen und Fleischpasteten in den 1970er Jahren denkt man lieber nicht nach – und die Preise nach oben hin begrenzt.

Die Lebensmittelpreise in den Geschäften sind in den 20 Jahren bis 2007 effektiv gesunken. Nicht nur die Warenpreise waren niedrig, sondern die Supermärkte senkten die Kosten auch, indem sie über Lieferantennetzwerke kauften – Landwirte, Verarbeitungsunternehmen und Händler –, die um jeden Auftrag kämpfen müssen.

Das änderte sich 2007-2008 mit dem ersten Warenpreisschock, auf den weitere folgen sollten. In den USA wurden landwirtschaftliche Produkte zur Gewinnung von Brennstoffen eingesetzt, was die Preise für Mais, Palmöl und Rapsöl anhob, die Märkte spürten den Druck der steigenden Fleischnachfrage der Schwellenländer und Chinas Pro-Kopf-Verbrauch an Fleisch hat sich seit 1960 vervierfacht.

Die Branche besaß eine lange, komplexe, länderübergreifende Zulieferkette, die unter starkem Druck stand. Vorhang auf für die Pferde. In diesem Fall scheint rumänisches Pferdefleisch in „Rindfleisch“-Lasagne und anderen Gerichten in britischen und französischen Supermärkten gelandet zu sein, und zwar über einen zyprischen Groß- und einen französischen Zwischenhändler.

Augen zu vor Zulieferern

Die Supermärkte schlagen die Hände über dem Kopf zusammen und beteuern, sie hätten keine Ahnung, wie das passieren konnte. Doch sie verschlossen ihren Zulieferern gegenüber vorsätzlich die Augen – sie wussten nichts von den Pferden, weil sie auch über die Kühe nicht viel wussten. Sie überließen das ihren ersten Zulieferern, die es wiederum den zweiten überließen und immer so weiter.

„Einzelhändler haben nicht viele Informationen und die Beziehungen sind transaktionsbezogen“, meint dazu Sion Roberts, Seniorpartner beim Consultingunternehmen European Food and Farming Partnerships. „Einer ihrer Zulieferer kann unter einem starken finanziellen Druck stehen, ohne dass sie es überhaupt wissen.“

Sie wollten es auch gar nicht wissen, da die Supermärkte – ebenso wie die biowissenschaftlichen Firmen, die Saatgut und Dünger produzieren – in den letzten Jahren als einzige ihre Margen aufrechterhalten konnten. Der Druck kam in der Mitte zum Tragen, zwischen den Verarbeitungsunternehmen und den Landwirten.„Der Landwirt ist ein Preisnehmer mit wenig Macht am Markt“, erklärt Justin Sherrard, Fachmann für globale Strategie bei der Rabobank. Er glaubt, Nahrungsmittelversorger brauchen stärkere Bindungen. „Irgendwann kann man die Zulieferer nicht immer weiter bedrängen.“

Der Austausch von Rind gegen Pferd ist ein spektakuläres Zeichen dafür, dass diese Grenze erreicht wurde. Obwohl nur wenige beunruhigt darüber sind, dass sie Pferdefleisch gegessen haben – was sie auch nicht zu sein brauchen –, sind gläubige Juden oder Muslime zu Recht empört, dass Schweinefleisch mit Rind gemischt wurde.
Der Spotthandel für Landwirtschaftserzeugnisse – oft über E-Procurement auf elektronischen Plattformen – ist ein hocheffizientes Mittel zur Kostensenkung. Doch er ist weder qualitäts- noch ertragsfördernd und macht es für Anbieter und Landwirte oft schwierig, langfristig zu investieren. Sie sind ständigen Preisschwankungen ausgesetzt, während sie gleichzeitig Aufträgen hinterherjagen.

Ein Wandel ist möglich

Die amerikanische Automobilindustrie steckte in genau dieser Situation, als 2008 die Krise kam und Chrysler und General Motors bankrott gingen. Dann drängten die Hersteller die Zulieferer kontinuierlich, ihre Preise zu senken, um ihre eigenen Kosten zu reduzieren, doch letztendlich mussten sie minderwertige Fahrzeuge billig verkaufen.
Im Vergleich dazu unterhielten japanische Hersteller wie Toyota und Honda eine kooperativere, längerfristige Beziehung mit ihren Zulieferern. Sie legten Wert auf Innovation und Qualität statt auf Niedrigstpreise. Die US-Unternehmen mussten ihrem Beispiel letztendlich folgen.

Es ist schwer, von einem Teufelskreis der Kostenreduzierung und Qualitätsminderung zu einer positiven Dynamik mit Zusammenarbeit und Innovation überzugehen, vor allem wenn immer weniger Geld da ist. Manche Kunden werden für die Rückverfolgbarkeit und den Direkteinkauf bei ausgewählten Landwirten zahlen, für die meisten ist das jedoch Luxus.

Doch ein Wandel ist möglich, sogar für den Massenmarkt. Das Image von McDonald’s wurde 2003 durch Enthüllungen über minderwertige Fleischverarbeitung in Eric Schlossers Buch Fast Food Nation beeinträchtigt. Heute bezieht das Unternehmen das gesamte Rindfleisch, das in den britischen Zweigstellen serviert wird, direkt aus 17.500 Rinderzuchtbetrieben in Irland und Großbritannien, mit Langzeitverträgen. Viele andere Lebensmittelfirmen führen ähnliche Abkommen ein.

Angesichts der Rufschädigung, die den Supermärkte und Restaurantketten offensichtlich droht, wenn sie derartige Dinge dem Zufall überlassen – oder einem beliebigen Lieferanten, der einen anonymen Brocken Fleisch anbietet –, klingt das nach einem guten Investment.

Meinung

Pferdefleisch-Lasagne und Subprimes: zwei Übel, eine Ursache

Was haben die Subprime-Krise und der Pferdefleisch-Skandal gemeinsam? „Beide sind eine unglückliche, aber logische Folge der Globalisierung“ und der fehlenden internationalen Spielregeln. NRC Handelblad meint, dass in beiden Sektoren die Selbstregulierung versagt und zu „Exzessen“ geführt habe:

Von den 55.000 Agrarverordnungen der EU betreffen 30.000 die Lebensmittelsicherheit [...], doch sind diese Regeln schwer durchzusetzen. Das wussten die Politiker im Voraus. Die Idee war: Landwirte, Hersteller und Supermärkte könnten jeden Moment von der Lebensmittelaufsicht kontrolliert werden. Deshalb würden sie schon selbst für Ordnung sorgen, da es in ihrem eigenen Interesse sei. Diese Form der Selbstregulierung [...] war auch in der Finanzbranche gang und gäbe. Die Politiker, die in den Achtziger- und Neunzigerjahren für die Deregulierung und Internationalisierung des Bankensektors verantwortlich waren, zählten auch auf eine Selbstregulierung der Branche. Die Exzesse wurden ihnen erst bewusst, als es zu spät war. Das System war nicht gut durchdacht: die Risiken wurden unterschätzt.

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