Auf der Telefonzelle „Ministerium für Zivilschutz“

Die Nazis des 21. Jahrhunderts

Während heute in London die Paralympischen Spiele beginnen, wirbt die Partei der Goldenen Morgenröte in Athen für Hassangriffe auf behinderte Menschen und Homosexuelle. Immigranten und ethnische Minderheiten wurden schon vorher ins Visier genommen. Die griechische Regierung und die EU verschließen die Augen vor dieser Stimmung, die an den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland erinnert.

Veröffentlicht am 30 August 2012 um 14:53
Auf der Telefonzelle „Ministerium für Zivilschutz“

„Nach den Ausländern seid ihr dran“. Das stand auf Flugblättern, die diese Woche in der schwulen Nachtklubszene von Athen auftauchten.

Die Gewalttaten gegen Immigranten und ethnische Minderheiten nehmen in ganz Griechenland zu und nun haben die Anhänger der ultrarechten Partei der Goldenen Morgenröte auch mit der Hetze gegen Homosexuelle und Behinderte begonnen.

Die Faschisten marschieren mit schwarzen Hemden und Leuchtfackeln durch Athen, terrorisieren ethnische und sexuelle Minderheiten, tragen ein Abzeichen, das wie ein zerlegtes Hakenkreuz aussieht, und beteuern ihre Verachtung für politische Prozesse.

Und doch werden sie in ganz Europa nach wie vor als simples Symptom der griechischen Wirtschaftskrise betrachtet.

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Früher trauten sich die rechten Schlägertypen nur in der Nacht, Immigranten anzugreifen. Heute tun sie es am helllichten Tag – ohne Furcht vor Konsequenzen, denn die gibt es nur selten.

In den letzten Wochen haben sowohl die Anzahl als auch die Heftigkeit der Angriffe zugenommen, doch wenn die Migranten die Attacken bei der Polizei melden, riskieren sie die eigene Verhaftung.

Nicht nur gelten fremdenfeindliche Verbrechen in Griechenland nicht als vorrangig, sondern ein großer Teil der Wählerschaft der Goldenen Morgenröte stammt auch aus den Polizeirängen.

Wahltagsbefragungen bei den Wahlen von Mai 2012 deuten darauf hin, dass in manchen Bezirken bis zu 50 Prozent der griechischen Polizeibeamten für die rassistische Partei stimmten, die heute sieben Prozent der Sitze im Parlament innehat.

Die Messerstechereien, Verprügelungen und Motorradangriffe sind so geläufig geworden, dass sich Immigranten in vielen Teilen der Hauptstadt nicht alleine auf die Straße wagen.

Griechenland hat schon lange einen hohen Anteil an Migranten – 80 Prozent der Menschen, die in die EU flüchten, gehen in griechischen Häfen an Land.

Doch nun fürchten Familien, die sich in diesem Land Sicherheit erhofften, um ihre Kinder. In dem Bericht „Hate on the Streets“ (Hass auf den Straßen) erklärte Human Rights Watch kürzlich, dass „sowohl nationale Behörden als auch die EU und die internationale Gemeinschaft überhaupt“ vor der fremdenfeindlichen Gewalt in Griechenland „weitgehend die Augen verschließen“.

Die Augen verschließen – das wäre schon schlimm genug. Doch nun verspricht der Minister für Öffentliche Ordnung, Nikos Dendias, hart gegen die Immigration vorzugehen, die er eine „Invasion“ und eine „Bombe auf die Grundmauern der Gesellschaft“ nannte.

Bezeichnenderweise beschrieb Dendias die Anwesenheit der Ausländer in Griechenland auch als eine bedeutendere Bedrohung als die Wirtschaftskrise – eine Botschaft, die er zweifellos in ganz Athen an die Wände plakatieren würde, wenn das möglich wäre.

Das Aufpeitschen des Rassismus ist zu einer Strategie geworden, mit der sich die Aufmerksamkeit einer verbitterten Bevölkerung von der Regierung und der Haushaltskrise ablenken lässt.

Wie so viele schwächer werdende Mitte-Rechts-Regierungen kopiert die Koalition der „Neuen Demokratie“ die Sprache der Rechtsextremisten und begünstigt die Fremdenfeindlichkeit der Öffentlichkeit, anstatt sie zu beschwichtigen.

Mit Dendias Unterstützung treibt die Polizei durch Razzien in Athen und den umliegenden Städten die Immigranten zusammen, verhaftet und deportiert Tausende von ihnen – ein Programm, das ohne offensichtliche Ironie nach dem griechischen Gott der Gastfreundschaft, Zeus Xenios, benannt ist.

Wie andere faschistische Gruppen behauptet auch die Goldene Morgenröte, dass sie die marginalisierte Arbeiterklasse vertritt. Wie rechtsextremistische Gruppen in ganz Europa erklärt sie sich zum Feind eines bankrotten demokratischen Systems und schlachtet den Zorn der Bevölkerung auf die neoliberale Misswirtschaft zu ihrem eigenen Nutzen aus.

Doch obwohl sie sich gegen die Sparpolitik ausspricht, hat sie keinen eigenen Wirtschaftsplan: Ihre Taktiken sind nur gewalttätig, entzweiend und ekelerregend rassistisch. Und die Regierungen von Griechenland und Europa scheinen dies als den sozialen Preis für einen anhaltenden Sparkurskonsens tolerieren zu wollen.

Die Europäische Union wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eingerichtet, um dem durch den Faschismus auseinandergerissenen Kontinent eine sozialwirtschaftliche Einheit zu garantieren.

Im heutigen Griechenland wird die Goldene Morgenröte als eine seriöse politische Partei behandelt, obwohl ihre Mitglieder auf demokratische Abläufe verzichten und dazu tendieren, im Fernsehen gegen politische Konkurrenten handgreiflich zu werden.

Noch lange, nachdem die nationalsozialistische Partei 1933 in Deutschland an die Macht gekommen war, nach dem Brand des Reichstags und nachdem antisemitische Gewalt zur offiziellen Staatsmethode wurde, waren die europäischen Regierungen über die Möglichkeit eines sozialistischen Deutschlands besorgter als über die eines faschistischen Deutschlands.

Fast bis zum Zweiten Weltkrieg war es für viele Weltpolitiker wichtiger, dass Deutschland seine Schulden abzahlte. Das Ziehen historischer Parallelen zum Nationalsozialismus ist eine abgedroschene rhetorische Technik, die Kommentatoren von links und rechts hinuntergezogen haben, indem sie den Vergleich in Diskussionen über Lebensmittelbeschriftung und überenthusiastische Verkehrskontrollen eingeworfen haben. Der vorliegende Fall hat jedoch nichts Rhetorisches.

Tatsächliche Faschisten in tatsächlichen schwarzen Hemden marschieren tatsächlich durch Athen, schwenken Hakenkreuze, brennen Fackeln ab und verstümmeln und ermorden Angehörige ethnische Minderheiten.

Die Regierungen der Welt reagieren mit erschreckender Gelassenheit, so lange die Griechen nur weiter die Schulden der europäischen Elite bezahlen. Wenn einem die Lektionen der Geschichte durch Auswendiglernen beigebracht werden, dann versäumt man sie leicht, wenn es am meisten darauf ankommt.

Dieses Mal muss sich Europa daran erinnern, dass der Preis für die Förderung des Faschismus bei weitem grausamer und teurer ist als alle Staatsschulden.

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