Zagreb, 17. September. Kroatiens Premierministerin Jadranka Kosor (rechts) erhält von ihrem polnischen Amtskollegen Donald Tusk eine Kopie des EU-Beitrittsvertrags für Kroatien.

EU-Beitritt: Vom Traum zum Albtraum?

Am 4. Dezember wählt Kroatien sein neues Parlament. Ein paar Tage danach soll Zagreb seinen EU-Beitrittsvertrag unterzeichnen. Bevor das Land ab Juli 2013 zur Union gehört, sind tiefgreifende Reformen vonnöten. Aber weder Regierung noch Opposition scheinen bereit, den Wählern reinen Wein einzuschenken.

Veröffentlicht am 1 Dezember 2011 um 15:59
Zagreb, 17. September. Kroatiens Premierministerin Jadranka Kosor (rechts) erhält von ihrem polnischen Amtskollegen Donald Tusk eine Kopie des EU-Beitrittsvertrags für Kroatien.

Kroatien ist weder Griechenland noch Spanien. Ministerpräsidentin Jadranka Kosor ist nicht Giorgos Papandreou oder José Luis Zapatero. Und der sozialdemokratische Oppositionschef Zoran Milanovic gewiss kein Lukas Papademos, Mario Monti oder Mariano Rajoy.

Kroatien, ein bescheidenes Mittelmeerland am Rande Zentraleuropas. Die Schulden, Arbeitslosigkeit, Rezession und die endlose Reihe politischer Skandale, die es erschüttern, haben sicherlich keinen Einfluss auf das Schicksal des Euro. Sogar der sonst so kritische Spiegel findet, dass Kroatien seine nicht ohne Schwierigkeiten errungene Eintrittskarte in die Union verdient hat.

Kroatien, ein bankrotter Beitrittskandidat?

Die wirtschaftliche Lage Kroatiens verschlimmert sich. Aber Europa und Washington sind mit gravierenderen Problemen konfrontiert und sorgen sich nicht darum, dass die kroatische Verschuldung (sie liegt bei 57 Prozent des BIP) bereits die Grenze dessen erreicht hat, was für die Konvergenzkriterien mit dem Euro noch vertretbar ist, dass die Arbeitslosigkeit auch in der touristischen Hochsaison weiter steigt, dass es keine Anzeichen wirtschaftlicher Erholung gibt und dass die Bonitätsnote am 15. März ihren ersten ernsthaften Test überstehen muss, während die Renditen auf Staatsanleihen sich bereits der 7-Prozent-Marke nähern.

Alle Wirtschaftsindikatoren, welche die Euro-Krise auslösten, sind in Kroatien erreicht (wenn nicht gar überschritten), auch wenn die Verschuldung geringer als die Griechenlands ist, die Arbeitslosigkeit nicht die Rekordwerte Spaniens und die Zinsen auf Staatsanleihen nicht die schwindelnden Höhen derer Italiens erreichen. Kroatiens Verschuldung liegt unter dem Durchschnitt der Euro-Länder, doch das Wachstum stagniert, die Reformen werden ausgesetzt, ebenso wie die Investitionen in neue Technologien. Die Investoren kehren dem Land den Rücken. Bis zum EU-Beitritt (im Juli 2013) muss zudem noch die Sanierung und Privatisierung der Werften unter Dach und Fach gebracht werden. Sollte sich die Konjunktur nicht beleben und die Staatsverschuldung [derzeit zwischen 15 und 17 Milliarden Kuna, entspricht 2 bis 2,3 Milliarden Euro] weiter steigen, wird Kroatien 77 und nicht 7 Jahre brauchen, um ein Euro-Land werden zu können.

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Noch ist Kroatien nicht am Rand des Bankrotts, aber mit der derzeitigen Politik wird es in drei oder vier Jahren soweit sein, meint Zelijko Lovrincevic, Berater für Wirtschaftsfragen von Ministerpräsidentin Jadranka Kosor. Für Mate Crkvenac, dem ehemaligen Finanzminister der vorangegangenen sozialdemokratischen Regierung [zwischen 2000 und 2004] sei die wirtschaftliche Lage Kroatiens schlechter als im Jahr 2000 und der Lebensstandard der Kroaten um mindestens 20 Prozent gesunken.

Ein böses Erwachen für die Kroaten?

Während die Krise die "großen" Länder plagt, kann es von Vorteil sein, ein "kleines" Land zu sein. Außer wenn man, wie Kroatien, das einzige Land der Region ist, dem Rezession droht. Zumal Kroatien neben Slowenien lange Zeit Motor der wirtschaftlichen Entwicklung in der Region war. "Kleine" Länder sind weniger anfällig als die "großen". (Man sehe sich nur einmal an, welche Ängste der Fall Italien, drittgrößte Volkswirtschaft der Union, schürt). Doch sobald Kroatien der Union angehört, gelten für das Land dieselben Regeln.

Demnach wird Zoran Milanovich, den die Umfragen als Sieger der Parlamentswahlen vom 4. Dezember handeln, gezwungen sein, wie zuvor Mario Monti oder Lukas Papademos nach Brüssel oder Luxemburg zu reisen. Und sollten die von Brüssel jüngst vorgeschlagenen Haushaltskontrollen durchgesetzt werden, dann wird auch er gezwungen sein, seinen Haushalt der Europäischen Union zur Prüfung vorzulegen, bevor das kroatische Parlament darüberabstimmen kann.

Spaniens neuer Ministerpräsident Mariano Rajoy hat öffentlich erklärt, dass er Brüssel gehorchen werde. Er hat die Zukunft Spaniens an die Europäische Zentralbank geknüpft. In Kroatien hingegen träumt man immer noch davon, ohne zusätzliche Verpflichtungen ein Euro-Land zu werden. Im Gegenteil. Man verkündet, dass sich nichts ändern werde — vor allem bei den Privilegien bestimmter Bevölkerungsschichten. Oder man verspricht, dass durch dieVeränderungen keine zusätzlichen Kosten entstehen werden. "Niemand wird entlassen werden", tönt es vollmundig. Es wird ein böses Erwachen für Kroatien geben. (j-s)

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