Europa hat seine Bürger verloren

Das Eurobarometer zeigt, was die Wahlergebnisse in den einzelnen Euro-Ländern nur Stück für Stück verraten haben: die Krise hat das Vetrauen in die EU zerstört. Nach dem Euro, muss jetzt das Vetrauen Europas gerettet werden. Am besten vor den Wahlen 2014

Veröffentlicht am 11 März 2013 um 16:26

Die Rettung des Euro setzte zwei Maßnahmen voraus: eine klare politische Entscheidung, die den Mutmaßungen über die Zukunft der Einheitswährung ein Ende setzt, und ein Finanzinstrument, das die Glaubhaftigkeit des Versprechens gewährleistet.

Nach jahrelangen Zweifeln, Fauxpas und Fehlern haben die europäischen Staats- und Regierungschefs 2012 beide Voraussetzungen erfüllt. Die Entscheidungen retteten den Euro, der am Rand des Abgrunds stand, und lenkten ihn auf den Weg der Stabilität zurück, den er in den letzten Jahren verlassen hatte.

Für die zumindest vorübergehende Solidität des Euro sprechen die unbedeutenden Auswirkungen der chaotischen Zustände, die seit den Wahlen in Italien vorherrschen. Denken wir nur an die Krise, die Yorgos Papandreu 2011 auslöste, als er beschloss, eine Volksbefragung über den von der Troika diktierten Sparkurs zu veranstalten.

Infolge seiner Ankündigung schoss die Ungewissheit an den Finanzmärkten steil in die Höhe und kletterte auf ein Niveau, das nicht einmal nach den Attentaten vom 11. September in den USA erreicht worden war. In Italien dominiert zweifelsohne das Chaos, aber der Euro hat bislang noch nicht darunter gelitten.

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Das Ergebnis des Urnengangs in Italien bezeugt jedoch nicht nur die Stärke des Euro, sondern auch die politische Schwäche Europas und deutet damit auf eine gefährliche Legitimitätskrise, die sich von Wahl zu Wahl verschärft.

Krise des Vertrauens

Der Eurobarometer, die halbjährliche Meinungsumfrage der Europäischen Kommission, unterstreicht, dass die Krise das Vertrauen der Europäer zur Union erschüttert hat.

2007, das heißt vor Ausbruch der Krise, belief sich das Nettovertrauen zur EU (also die Differenz zwischen dem Anteil der Befragten, die der EU vertrauen, und denen, die ihr nicht vertrauen) auf 42 Prozentpunkte (65 Prozent, die Vertrauen hatten, und 23 Prozent, die kein Vertrauen hatten). Heute liegt das Nettomisstrauen bei 52 Punkten (72 Prozent, die der EU misstrauen, und nur 20 Prozent, die ihr vertrauen). Eine beeindruckende Kehrtwende.

Der Übergang von 42 Vertrauens- zu 52 Misstrauenspunkten erfordert eine tiefergehende Analyse, besonders in Ländern, die traditionell sehr europafreundlich eingestellt sind. In Griechenland, Italien, Portugal, Irland und Zypern erregt die EU heute ein so überwältigendes Misstrauen wie in Spanien.

Die Skepsis dominiert allerdings nicht nur in den überschuldeten Ländern, sondern auch bei den Gläubigern und den finanziell besser gestellten Staaten: In Deutschland, Österreich, Frankreich, den Niederlanden und Finnland glauben die Bürger ebenfalls nicht mehr an die EU. Erschwerend kommt jedoch noch hinzu, dass die Befragten auch den anderen Ländern nicht mehr vertrauen. Alle scheinen zu verlieren und niemand zu gewinnen.

Deshalb stehen wir heute vor allem vor einem Problem der Legitimität. Im europäischen Rahmen, wo die kollektive Identität, die gemeinsamen Werte und die demokratischen Verfahren noch in den Kinderschuhen stecken, beruht die Legitimität vor allem auf der Wirtschaftsleistung.

Je schneller die Wirtschaft wächst, desto überzeugter unterstützen die Bürger die Integration der Union und umgekehrt. Die Legitimität des Systems ist also beinahe ausschließlich an das Wirtschaftswachstum gebunden. In Krisenzeiten ist dieses Potenzial schnell erschöpft.

Notwendigkeit politischer Integration

Diesem Problem stehen wir heute gegenüber. Der strenge Sparkurs mag die Haushaltsdefizite abbauen, aber die Schuldenberge werden nicht kleiner. Außerdem würgt er das Wachstum ab, erhöht die Arbeitslosigkeit und wird daher von der Bevölkerung nicht unterstützt.

Wenn zudem die Regierungen gezwungen werden, systematisch alle Wahlversprechen zu brechen, auf Grund derer sie gewählt wurden, und ohne Rücksicht auf ihre politische Ausrichtung dieselben politischen Maßnahmen zu ergreifen, wird auch die Legitimität der nationalen politischen Systeme untergraben.

In den geretteten Ländern verschleißen (wie in Spanien und in Portugal) oder zerfallen (wie in Griechenland und in Italien) die politischen Systeme, während in den Geberländern die Meinung vorherrscht, dass die südeuropäischen Staaten eine schwere Last sind, die die knapp vorhandenen Ressourcen aufzehren und den Fortschritt hemmen.

Vor diesem von Unlust und Misstrauen geprägten Hintergrund muss die EU nun die dringend nötige politische und wirtschaftliche Integration vorantreiben. Der Euro wurde gerettet, aber ohne eine Bankenunion mit Mechanismen zur Krisenlösung und paneuropäischen Einlagengarantien, ohne einen Haushalt, der diesen Namen verdient, ohne Zusammenlegung der Schulden und ohne wirksamere Koordination der Wirtschaftspolitik der einzelnen Mitgliedsstaaten wird die Einheitswährung nicht lang überleben.

Diese Entscheidungen setzen aber genau das voraus, was Europa heute fehlt: Vertrauen zur EU und Vertrauen zu den übrigen Mitgliedsstaaten. Damit Europa funktioniert, müssen die Bürger Nord- und Südeuropas, der Schuldner und der Gläubiger, der Kern- und der Randstaaten bereit sein, die europäischen Institutionen nicht nur mit geeigneten Finanzinstrumenten, sondern auch mit wirksamen und demokratisch legitimierten Regierungsinstanzen auszustatten.

Wenn die Steuern eines deutschen Bürgers die Einlagen eines spanischen Sparers und die Steuern eines spanischen Sparers die Steuern eines griechischen oder portugiesischen Sparers decken sollen, brauchen wir jedoch ein tiefes Vertrauen zu Europa, das uns derzeit abgeht.

Im Juni 2014, in ein wenig mehr als einem Jahr, werden die europäischen Bürger zu den Urnen gerufen. Wenn bis dahin das Vertrauen der Bürger zur EU nicht wiederhergestellt ist, könnte das Ergebnis ziemlich unerfreulich ausfallen. Die Rettung des Euro war unbedingt nötig, aber der Euro ist ein Mittel, kein Zweck. Der Zweck sind die Bürger: Eine EU-Währung ohne EU-Bürger hat wenig Sinn.

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