Emile Roemer, Kandidat der Sozialistischen Partei, war DIE Überraschung der Kampagne. Arnhem, 19. August 2012.

Für viele Überraschungen gut

Neuanfang oder Kontinuität? Am 12. September finden in den Niederlanden vorgezogene, von der Krise geprägte, Neuwahlen statt. Ministerpräsident Mark Rutte gilt als Favorit, doch die Konkurrenz aus dem linken Lager ist hart und versteht sich als Alternative. Für die niederländische Presse würde ein knapper Wahlausgang nur die politische Krise fortdauern lassen.

Veröffentlicht am 4 September 2012 um 15:24
Emile Roemer, Kandidat der Sozialistischen Partei, war DIE Überraschung der Kampagne. Arnhem, 19. August 2012.

Der Wahlkampf für die Parlamentswahlen am 12. September ist immer noch für Überraschungen gut. Laut einer Umfrage vom 3. September, liegt die VDD des liberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte noch vorn, mit voraussichtlich 35 der 150 Sitze in der Nationalversammlung. Jedoch scheint sein Hauptkonkurrent nicht mehr Emile Roemer zu sein, der Shooting Star der (linksradikalen) Sozialistischen Partei SP, welcher während des Sommers die Debatten prägte, sondern der Chef der Partei für Arbeit (PvDA) Diederik Samsom.

Eine Woche nach der TV-Debatte vom 26. August, bei der sich der Chef der Sozialisten als weniger wortgewandter Mann als sein Konkurrent der Partei für Arbeit entpuppte, notiert NRC Handelblatt:

Jeder Wahlkampf kennt einen entscheidenden Moment. Für eine Mehrheit vom politischen Insidern hat dieser stattgefunden: Es war die RTL-Debatte, welche das Ende des Duells zwischen VVD und SP brachte. Aber es können noch Fehler von den Parteichefs gemacht werden, oder neue Kaninchen aus dem Hut gezaubert werden. Darüber hinaus kann ein externes Ereignis, wie eine Verschärfung der Eurokrise, die Wahllandschaft dramatisch verändern.

Der enge Wahlkampf sei aber auch Zeichen einer „Spaltung“ der politischen Landschaft, die sich als gefährlich herausstellen könnte, meint Trouw:

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Die große Krise der niederländischen Politik wird damit bestätigt, wenn nicht gar vertieft. Vier, wenn nicht mehr, Parteien in der Mitte und ein Haufen kleiner Parteien um sie herum. Elf, wenn nicht mehr, Fraktionen im Parlament, und das alles angesichts der Notwendigkeit, eine Lösung auf die größte wirtschaftliche Krise seit Endes des Zweiten Weltkriegs zu finden.

Auch wenn die Eurokrise eines der Themen der Debatten war und Emile Roemer mit seiner Opposition gegen die Sparpolitik in Europa punkten konnte, scheinen heute innenpolitische Themen den Wahlkampf zu dominieren: Kürzungen im Gesundheitswesen, sinkende Kaufkraft und steigende Arbeitslosigkeit. Zu Unrecht, meint Paul Scheffer in einem Kommentar des NRC Handelblad:

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Wir schauen auf eine Bühne, wo sich die Parteichefs einen Schlagabtausch liefern und wissen doch, dass die eigentlichen Akteure woanders sind. Die Ergebnisse der französischen und griechischen Wahlen oder die Entscheidungen der EZB sind wichtiger für die Zukunft unseres Landes, als unsere eigenen Wahlen. ... Mein Unbehagen hat mit dem Ausweichen der Parteichefs vor der eigentlichen Frage zu tun: Welche Idee von Europa haben ihre Parteien ? ... Wir können nicht mehr auf eine Vision über die „Ziel und Zweck“ der europäischen Integration verzichten. Mit anderen Worten: Welche Form soll die Europäische Union eigentlich bekommen?

Das Fehlen der europäischen Frage hat vielleicht damit zu tun, dass die Bevölkerung wegen der zahlreichen Veränderungen andere Sorgen haben. Wie immer die Wahlen auch ausgehen mögen, die Sieger werden alle Mühe haben, die neuen Reformen den krisengebeutelten Niederländern zu vermitteln, warnt ein Kommentator des Volkskrant:

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Der verwöhnte Niederländer wird sich auf härtere Zeiten einstellen müssen. Sein Renteneintrittsalter wird steigen, während seine lebenslang eingezahlte Pension sinken wird. An eine Festanstellung braucht er auch nicht mehr zu denken. Kündigungsschutz und Arbeitslosenversicherung lösen sich in Luft auf. Sein Eigenheim ist weniger wert, seine Krankenversicherung wird immer teurer für immer weniger Leistungen. ... Wenn „wir“ nicht die Verlierer der neuen globalen Weltordnung sein wollen, dann muss Europa sich zusammenreißen und als Global Player mit einer Stimme sprechen. Das ist jedoch ein wenig inspirierender Gedanke, da er realitätsfern ist: das „Wir Europäer“ gibt es nicht.

Auf alle Fälle wird die Bildung der neuen Regierung langwierig und schwierig. Der Chef der Partei für Arbeit Diederik Samsom hat bereits angekündigt, dass er sich nicht an einem Kabinett beteiligen werde, das „nicht meinen Namen trägt“, berichtet NRC Handelsblad. Geert Wilders Partei für Freiheit (PVV), welche die Minderheitsregierung tolerierte, ohne an ihr beteiligt zu sein und diese schließlich zu Fall brachte, scheint an Boden einzubüßen. Derzeit werden der PVV 18 Sitze gegenüber den heutigen 24 prognostiziert. Die Partei könnte nur noch eine Nebenrolle spielen. Käme es zu einer Koalition aus VVD, CDA Christdemokraten, D66 Zentrum und der PvDA, notiert Trouw, „würde Wilders schlimmster Albtraum Wirklichkeit“. Darüber hinaus, analysiertdas Blatt:

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Ein Problem, das nicht mit einer Regierung der politischen Mitte gelöst wird, ist die Tatsache, dass die beiden Parteien des politischen Rands nicht im Mitte-Kabinett vertreten sein werden. Die Frage ist, wie sich der politische Frust ausdrücken wird. Wahrscheinlich über eine harte Opposition (PVV) und außerparlamentarische Aktionen (SP).

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