In einem Wahlbüro in Sofia während der Parlamentswahlen am 12. Mai 2013

Generalprobe für die Europawahlen 2014

Die am 27. Mai vorgestellte neue Regierung Bulgariens besteht vor allem aus Technokraten. So gelingt es den Sozialisten doch noch, sich als Wahlsieger zu behaupten. Ein Ergebnis, das sich sowohl auf die nationalen Wahlen in der EU als auch auf die Europawahl im kommenden Jahr auswirken wird.

Veröffentlicht am 27 Mai 2013 um 15:31
In einem Wahlbüro in Sofia während der Parlamentswahlen am 12. Mai 2013

In dem Augenblick, in dem dieser Artikel geschrieben wurde, ist noch immer unklar, wer in Sofia in Zukunft regieren wird. Nach dem unentschiedenen Wahlausgang vom 12. Mai ist es gar nicht so einfach, die richtige Formel für diese [knifflige] Gleichung zu finden. Dabei steht viel auf dem Spiel. Nicht nur für unsere Nachbarn südlich von der Donau, sondern auch für die ganze Europäische Union.

Tatsächlich ist es nämlich so, dass diese vorgezogene Wahl in Bulgarien als eine Art Generalprobe für die kommende Europawahl betrachtet werden kann.

In jedem Fall ist die zukünftige Zusammensetzung der Versammlung, die über die Zukunft der Europäischen Union entscheiden wird, einer der Dreh- und Angelpunkte. Zumal dem Bürger der Europäischen Union bei der Wahl des Europäischen Parlaments 2014 eine völlig neue Aufgabe zukommt: [Mit seiner Stimme für] eine der großen politischen Familien Europas entscheidet er erstmals mit, welchen Kandidaten [die jeweilige Partei] in den Wettkampf um die Präsidentschaft der Europäischen Kommission schickt. Bei der Wahl 2014 handelt es sich um die erste Europawahl seit den Änderungen des Vertrags von Lissabon, die der gesetzgebenden Versammlung in Brüssel und Straßburg verstärkte Befugnisse verliehen haben.

Wer bekommt Bulgariens Stimme?

Wie sich [das Ganze] auf die Praxis auswirkt, hat sich bereits bemerkbar gemacht. Beispielsweise haben sich die Verhandlungen zwischen dem Parlament und dem Rat zunehmend intensiviert, und zwar im Bezug auf sehr unterschiedliche Themen. Vor allem über das Thema EU-Haushalt 2014-2020 haben die Medien berichtet.

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Bei der Ernennung des Kommissions-Präsidenten spielt der Europäische Rat noch immer die entscheidende Rolle. Allerdings muss er diese Entscheidung nun im Einklang mit den Wahlergebnissen der Europawahl treffen. Andernfalls könnte es dem vom Rat vorgeschlagenen Kandidaten schwerfallen, die erforderliche Mehrheit im Europäischen Parlament zu erreichen.

Folglich ist es wichtig zu wissen, wer Bulgarien im Europäischen Rat vertritt. Anders als das für Rumänien der Fall ist, werden die Bulgaren nämlich von ihrem Regierungschef und nicht von ihrem Staatsoberhaupt repräsentiert, auch wenn dieser wie bei uns in einer allgemeinen Abstimmung gewählt wird. Die Frage ist also: Welche [europäische] politische Familie wird in diesem Rat, der den Präsidentschaftskandidaten für die Kommission vorschlägt, mit Bulgariens Stimme rechnen können?

Für die Sozialisten steht viel auf dem Spiel

Bisher scheint die Waage offensichtlich in Richtung Sozialisten auszuschlagen, zumal der [Sozialist Mihail Mikow] in Sofia gerade das Amt des Parlamentspräsidenten übernommen hat. Es wäre folglich denkbar, dass sich eine parlamentarische Mehrheit um den Sozialisten Sergej Stanischew finden würde. Aber greifen wir mal nicht zu weit vor. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass Stanischew auch die europäischen Sozialisten anführt [indem er das Amt des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Europas, der SPE bekleidet].

Genau aus diesem Grund steht für die Sozialisten ja auch so viel auf dem Spiel. Es wird sogar gemunkelt, dass Martin Schulz’ Bewerbung für das Amt des Kommissions-Präsidenten von Sofia initiiert würde. Der Deutsche ist derzeit Präsident des Europäischen Parlaments und war Vorsitzender der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D).

Dabei sollten die Sozialisten doch eigentlich großes Interesse daran haben, ihre Feierlichkeiten da zu organisieren, wo ihre Kollegen Siege davon tragen, und nicht da, wo sie besiegt werden. Tatsächlich ist es nämlich so, dass die bulgarischen Sozialisten den Kampf um die Urnen gar nicht gewonnen haben. [Sie haben nur 27 Prozent der Stimmen erreicht, d. h. drei weniger als die Partei des früheren Regierungschefs Bojko Borissows, der zu Beginn des Jahres zurückgetreten war. Stanischew blieb folglich kaum eine andere Wahl als den Sieg davonzutragen, d. h. die Verhandlungen um die Regierungsbildung für sich zu entscheiden.

Auch für Bukarest ist 2014 entscheidend

Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass die bulgarischen Wahlen für Martin Schulz zwar entscheidend, und ihr Ausgang bedeutsam ist, die Wahlen in seinem eigenen Land, Deutschland, aber noch viel folgeschwerer sein werden. Schließlich ist es praktisch unmöglich, dass der einstige Vorsitzende der europäischen Sozialdemokraten für das Amt des Kommissions-Präsidenten vorgeschlagen wird, solange seine eigene Partei nicht zur Koalitionsregierung ihres eigenen Landes gehört. (Und angesichts der momentanen Lage ist nur schwer vorstellbar, dass die SPD die Wahlen in Deutschland haushoch gewinnen wird.)

Aber auch für Bukarest steht in diesem Wahljahr 2014 ganz besonders viel auf dem Spiel. Es ist ein Jahr, in dem das Europäische Parlament und der Präsident gewählt werden. Und bis dahin könnte es im Herbst noch ein Referendum geben, mit dem die Verfassung abgeändert werden könnte.

Die politische Krise, die Rumänien im Sommer 2012 überwältigte hat deutlich gemacht, welch entscheidende Rolle die Europäische Kommission für das innenpolitische Geschehen spielt. Letztendlich kann es all diese Fraktionen, die sich in Bukarest um die Macht bemühen, also gar nicht so gleichgültig lassen, wer am Ende das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission übernimmt.

Neue Regierung in Sofia

Die Sozialisten, welche als zweitstärkste Kraft aus den Wahlen vom 12. Mai hervorgegangen sind, haben den ehemaligen Finanzminister Plamen Orescharski zum Ministerpräsidenten ernannt. Der scheidende konservative Regierungschef Bojko Borissow war aufgrund fehlender Unterstützung im Parlament von seinem Amt zurückgetreten.

Orescharski dürfte am 27. Mai ein aus Technokraten bestehendes Kabinett vorschlagen, um das Land aus der politischen und wirtschaftlichen Krise zu führen. Am 28. Mai soll das Parlament dieser Regierung zustimmen, berichtet 24 Chasa. Einer möglichen Koalition aus Sozialisten und der Partei der muslimischen Minderheit und der ethnischen Türken (MDL) fehlt für die absolute Mehrheit noch ein Sitz im Parlament. Orescharski erhofft sich die Unterstützung oder Enthaltung der Abgeordneten anderer Parteien.

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