unknows Medienecho zum EU-Jobgipfel in Berlin

”Hilf dir selbst, Europa hilft dir nicht”

Veröffentlicht auf 5 Juli 2013 um 10:59

Das von Angela Merkel initiierte Treffen zum Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit hat die europäische Presse nicht überzeugt. “Les Echos” aus Frankreich wittert Wahlwerbung für die Kanzlerin und für die slowakische “Hospodárske noviny” wirkt das alles wie “Make-up über einem bösen Ausschlag”.

Einig ist sich Europas Presse zunächst darüber, dass der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit oberste Priorität haben sollte. So erinnert der Leitartikler von “La Vanguardia” aus dem krisengeplagten Spanien zunächst noch einmal an das Ausmaß des Problems:

Im Mai waren 23,9 Prozent der jungen Leute unter 25 Jahren in der EU arbeitslos, mitten in einer Rezession, die bereits 18 Monaten andauert. Griechenland steht in dieser Gruppe mit 59,2 Prozent an der Spitze, dicht gefolgt von Spanien mit 56,5 Prozent und Portugal mit 42,1 Prozent. Diese Zahlen sind inakzeptabel und stellen eine Gefahr für die Zukunft des Europaprojekts dar.

Doch ist es der Zeitpunkt dieses Gipfels, der die Kommentatoren skeptisch macht. Zweieinhalb Monate vor den Bundestagswahlen liegt der Verdacht nah, dass Angela Merkel sich durch den Gipfel ein neues Image verschaffen wollte, meint die ”Financial Times” aus London:

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Man war sichtlich darum bemüht, eine mildere Seite von Kanzlerin Merkel zu zeigen, die sich auch mehr um soziale Belange bekümmert. Am Rande Europas gilt sie als Architektin einer Sparpolitik, die die meisten Euro-Mitgliedstaaten in die Rezession gestürzt hat. Kanzlerin Merkel wurde daraufhin unverzüglich von der Opposition angegriffen, sie nutze die Gelegenheit zu Wahlkampfzwecken aus. Außerdem versuchte sie der Kritik in Ländern wie Griechenland und Spanien entgegenzuwirken, die Deutschland vorwerfen, es habe nicht geschafft, ihnen bei der Überwindung ihrer Wirtschaftskrise zu helfen.

Die französische Wirtschaftszeitung “Les echos” versucht zumindest an den guten Willen der Kanzlerin zu glauben, kommt dann aber doch zum gegenteiligen Schluss :

Beim Berliner Jobgipfel hat Angela Merkel den 18 angereisten Staats-und Regierungschefs, sowie den Arbeitsministern der Union den Beweis dafür geliefert, dass Deutschland seine Führungsrolle auch im sozialen Bereich spielen kann, und seine Partner eben nicht nur dazu aufruft, den Gürtel enger zu schnallen. Darüber sollten wir uns freuen! [...] Allerdings werden die gestern in Berlin inszenierten guten Vorsätze und der höfliche Meinungsaustausch nicht ausreichen. [...] Und obwohl dieser Mini-Gipfel in Berlin eine europaweite Prämiere darstellt, fehlt es einfach an konkreten und unmittelbaren Projekten. [Folglich scheint das Treffen eher] ins Leere zu zielen und gleicht doch einem Versuch Angela Merkels... ihren Wahlkampf einzuläuten.

Immerhin gute Absichten hätten die nach Berlin gereisten europäischen Regierungschefs, Banker, Gewerkschafter, Arbeitgeber und EU-Spitzen verfolgt, meint die italienische Wirtschaftszeitung ”Corriere della Sera”, auch wenn am Ende wenig Konkretes dabei heraus gesprungen ist:

In Berlin wurde der Ton für große Anlässe angeschlagen, um alle zum Handeln zu drängen, damit die Armee der Arbeitslosen reduziert wird. […] Das Berliner Gipfeltreffen war insofern nützlich, dass Strategien in den Mittelpunkt gerückt wurden, die Erwerbstätigkeit begünstigen und positive Erfahrungen, die einige Ländern schon umgesetzt hatten, bewertet wurden. Doch außer guten Absichten kam dabei nicht viel heraus.

Die slowakische Tageszeitung “Hospodárske noviny” aus Bratislava nimmt kein Blatt vor den Mund. ”Hilf dir selbst, Europa hilft dir nicht”, lautet ihr Fazit aus dem Job-Gipfel im Kanzleramt:

Eine Garantie für die Jugend, so wie sie die EU versteht, bringt keine Lösung. Sie ist eher wie Make-up über einem bösen Ausschlag. Ein paar Tausend junge Leute werden aus den Arbeitslosenlisten herausgenommen und verschwinden aus der Statistik. Die Ursache des Problems behebt das allerdings nicht – weil das auch gar nicht angestrebt wird. Das Programm soll Geld für Schulungen bringen oder Unternehmen dafür bezahlen, dass sie junge Leute für einen bestimmten Zeitraum einstellen. Doch viele Firmen bieten bereits Einführungsschulungen und Praktika an. Wenn eine Regierung ein Unternehmen dafür bezahlt, dass es Leute anstellt, die es nicht braucht, dann wird eine solche Maßnahme nicht länger anhalten als der Staat dafür zahlt. Das ist verschwendetes Geld, das weder dem Unternehmen noch den jungen Menschen weiterhilft.

“La Vanguardia” hingegen lobt die „großen Fortschritte, die bei dem Gipfeltreffen in Bezug auf die Beschaffung von Geldern zum Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit” gemacht wurden. „Die am 28. Juni in Brüssel beschlossenen 8 Milliarden Euro wurden auf 24 Milliarden aufgestockt”, berichtet das Blatt:

Die Gelder sollen hauptsächlich dazu dienen, die Sozialversicherungsbeiträge zu senken, wie es Mariano Rajoy mit großem Nachdruck gefordert hatte, da die Sozialversicherung die Unternehmen stark belastet. […] Infolge der allgemeinen Enttäuschung über das mickrige Budget wurde der in Brüssel beschlossene Betrag gestern gestern gleich verdreifacht. Darüber hinaus soll die Europäische Investitionsbank über drei Jahre lang je 6 Millionen Euro bereitstellen, mit denen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die junge Menschen einstellen, Kredite gewährt werden können. Der Betrag hätte höher ausfallen können [...], dürfte aber die dringendsten Probleme lösen.

Auch “Diário económico” aus Portugal, wo die Jugendarbeitslosigkeit derzeit über 40% liegt, begrüßt die von der EU “großzügig” zur Verfügung gestellten Mittel, weist jedoch darauf hin, dass die strukturell bedingte Jugendarbeitslosigkeit in dem Land nicht durch Geld gelöst werden kann:

Warum haben junge Menschen, besonders in Südeuropa, so große Schwierigkeiten, eine erste Arbeit zu finden? Fehlt es an entsprechenden Maßnahmen? Nein. Der Nachwuchs ist mit einem System konfrontiert, das diejenigen schützt, die bereits eine Stelle haben. Nur jene leiden, die aus dem System ausgeschlossen sind, Arbeitslose und junge Menschen, die noch nicht auf dem Arbeitsmarkt Fuß gefasst haben. [...] Die südeuropäischen Länder, insbesondere Portugal, verlangen Subventionen, statt ihren Arbeitsmarkt flexibler zu gestalten. [...] Wenn das Fest der von den Regierungen und Jugendorganisationen begrüßten Maßnahmenpaketen zu Ende geht, bleibt nur Ernüchterung, weil das Problem im Grunde genommen nicht gelöst wurde.

Katja Petrovic

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