EU Spitzenposten

Ist dies das „dream Team“?

Veröffentlicht am 1 September 2014 um 07:43

Nach dem Barroso-Van Romuy-Ashton Trio kommt jetzt das Juncker-Tusk-Mogherini Trio“, schreibt der Korrespondent der Tageszeitung Libération, Jean Quatremer, in seinem Blog, am Tag nachdem der polnische Premier Donald Tusk (57) zum Präsidenten des Europäischen Rates und die italienische Außenministerin Federica Mogherini (41) zur Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik ernannt wurden.

Quatremer schreibt:

Noch wissen wir nicht, ob es sich um ein „dream Team“ handelt. Sicher ist jedoch, dass dieses neue Führungstrio viel Phantasie und Kreativität beweisen müsste, um schlechter zu sein als seine Vorgänger. [...] Dass die Wahl auf Tusk und Mogherini fiel, ist in Anbetracht der derzeitigen Schwächen der EU nicht selbstverständlich: Beide sind für eine Starke Union, vor allem in der Verteidigungspolitik. [...] Die Wahl von Tusk wirft einige Fragen auf: Tusk kommt aus einen nicht-Euro Land, wird jedoch Treffen der Euro-Staaten leiten müssen, was zumindest oberflächlich komisch ist. Außerdem ist der Bewunderer von Reagan und Thatcher sozial nicht besonders progressiv, was symbolisch beunruhigend ist: Er ist gegen Abtreibung, gegen die Heirat gleichgeschlechtlicher Paare und gegen Sterbehilfe. Er spricht schlecht Englisch und gar nicht Französisch – die beiden Arbeitssprachen der EU –, konversiert jedoch fließend auf Deutsch und Russisch. Vorwürfe, die man Mogherini nicht machen kann. Diese leidet ausschließlich unter ihrer relativen Unerfahrenheit in der Außenpolitik (irgendwann muss man seine Karriere eben beginnen...).

Die Ernennung von Tusk und Mogherini „trägt klar die Handschrift Berlins“, meint Quatremer:

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Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel war für Tusk, einen Unterstützer Ostdeutschlands. [...] Sie war auch für Mogherini, die Kandidatin des italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi, nachdem sie versichert bekam, dass eine Deutsche dem Franzosen Pierre Vimont an der Spitze des europäischen auswärtigen Dienstes, dem Exekutivarm des EU Außenministers, nachfolgen werde. Das ist sicherlich eine der großen Lehren der letzten Zeit: Deutschland dominiert die Europäische Union, was nicht zuletzt durch die seit 2010 auferlegte Wirtschafts- und Budgetpolitik sichtbar wird. [...] Deutschland beansprucht für sich den Kabinettchef von Jean-Claude Juncker, sowie die Präsidenten des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der Europäischen Investitionsbank (EIB)... Und dank des Schwächelns Frankreichs, das, von 74 Abgeordneten, 24 Front-National Mitglieder nach Strasbourg schickte, wurde Strasbourg de facto die dritte Kammer des deutschen Parlaments.

Insofern schlussfolgert der Journalist, dass man fast sagen kann, dass

die Union von Berlin aus regiert wird: Berlin ernennt die Schlüsselposten der EU, entscheidet über den Rhythmus für weitere Vertiefung der Union und diktiert die Politik. [...] Können die EU-Staaten lange akzeptieren, unter der Fuchtel Deutschlands zu leben? Wer die Frage stellt, der antwortet auch darauf.

Die Ernennung Mogherinis ist „ein Erfolg für Italien und eine Anerkennung für Matteo Renzi, der den rotierenden Vorsitz der Union inne hat und als Leader auf der Suche nach Bestätigung ist.“, schreibt der Kommentator der La Stampa, Cesare Martinetti. Die italienische Ministerin werde allerdings dem „unterschwelligen Skeptizismus“ in Europa begegnen müssen. „*Grund für die Ratlosigkeit, die in den letzten Tagen von der Financial Times des Le Monde – um nur die letzten zu nennen, die vom Profil der Hohen Kommissarin enttäuscht sind – geäußert wurde: Sie sei unbekannt und habe nur bescheidene internationale Erfahrung.”

In der Tat, schreibt Martinetti weiter:

„Die Italienerin wird das erreichen müssen, was sie bis jetzt als Außenministerin nicht erreicht hat: Glaubwürdigkeit, Charisma und Anerkennung von den Balten bis nach Portugal, und von Finnland bis nach Zypern. Dafür bedarf es keiner Politik der Synthese und des Bedauerns in der sich zwar jeder wiederfindet, die jedoch keine Ergebnisse liefert. Es bedarf einer Außenpolitik die Europa und seine Interessen in der Welt vertritt. Die bisherige Hohe Repräsentantin, die britische Lady Catherine Ashton, hat dies ebenso wenig erreicht wie der Spanier Javier Solana.

Die Ernennung von Tusk und Mogherini „*folgen, ganz nach der Brüsseler Tradition, einer Logik des Gleichgewichts zwischen politischen und geographischen Regionen. Es ist logisch, dass das so ist“, schreibt Martinetti weiter.

Das wahre Problem ist, was die EU sein möchte: Eine Summe von Staaten, die sich gegenseitig ausgleichen, oder ein einheitliches und solidarisches Wesen? In diesem Punk sieht man leider keine Fortschritte gegenüber dem üblichen zwischenstaatlichen Geplänkel, das die europäische Politik seit einigen Jahren prägt. Diese Politik ist Ausdruck von unscheinbaren Männern und Frauen, die die Initiativen und Entscheidungen der Regierungen nicht in den Schatten stellen sollen. Die Seele der EU ging in Bürokratie und Buchhaltung verloren.
Um einen qualitativen Sprung in der Außenpolitik zu erreichen brauchte es einen „großen Wurf“. Wird Mogherini im Stande sein, jene „Telefonnummer“ zu bieten, von der Kissinger ironisch meinte, sie nie gefunden zu haben, als er das abstrakte Konstrukt „Europa“ erreichen wollte?

Übersetzt von Yann Schreiber

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