Nachrichten Humor in Europa (2/10)
Paolo Villaggio ist der Ugo Fantozzi in „Fantozzi contro tutti“ von Neri Parenti und Paolo Villaggio (1980).

Italienische Selbstironie, ein Nationalsport

Beißender Spott gehört zu Italien wie die „commedia dell'arte“ und der Karikaturist Altan. Im zweiten Teil seiner Serie über Humor sagt Le Monde den Archetypen der italienischen Gesellschaft noch ein langes Leben voraus.

Veröffentlicht am 21 August 2012 um 14:20
Paolo Villaggio ist der Ugo Fantozzi in „Fantozzi contro tutti“ von Neri Parenti und Paolo Villaggio (1980).

Woche für Woche karikaturiert Zeichner Francesco Tullio Altan in der Wochenzeitung L'Espresso Menschen mit dicken Bäuchen und Nasen. In der ihm gewidmeten Ausstellung vom 30. Juni bis 7. Oktober im Museum für Satire und Karikatur in Forte die Marmi (Toskana) sieht man beispielsweise zwei sitzende Männer in Unterhemden. Der erste sagt: „Die Italiener sind zu individualistisch.“ Antwortet der zweite: „Das geht mich doch nichts an … das ist ihr Problem.“ Hiermit illustrierte Altan zwei Merkmale des italienischen Humors: das Aufzeigen der eigenen Fehler und die Fähigkeit, über diese zu lachen.

Die Italiener machen sich über sich selbst lustig, rückhaltlos oder voller Ironie, immer jedoch mit einer Form von Nachsicht. Egal ob im Norden oder im Süden. Sie sind für sich selbst eine unerschöpfliche Quelle vorbehaltlosen Lachens. Ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Laster (Zwietracht, Unorganisiertheit, keinen Sinn für Gemeinwohl, Falschheit usw.) grämen die Italiener entweder, oder sie geben Gelegenheit, sich in Szene zu setzen.

Verherrlichung der schlechten Eigenschaften

Ugo Fantozzi, der im Kino von Schauspieler Paolo Villaggio dargestellt wird, ist in Frankreich so gut wie unbekannt. Es handelt sich um einen Büroangestellten, dem ständig Missgeschicke passieren. Er ist das perfekte Beispiel für diese Verherrlichung der schlechten Eigenschaften (Faulheit, Gewieftheit usw.) „Wer über Fantozzi lacht,“ erklärt Giovannantonio Forabosco, Leiter des Zentrums für Humorforschung in Ravenna (Emilia Romagna), „lacht über sich selbst.“

Italien, das Land der tausend Glockentürme, ist auch dafür bekannt, dass sich die Bewohner des Nordens gerne über diejenigen des Südens lustig machen und umgekehrt. So gab es hier vom französischen Film Willkommen bei den Sch'tis zwei Versionen, die beide gleich viel Erfolg hatten: Willkommen im Süden und Willkommen im Norden.

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„Ethnische“ Neckereien dieser Art gibt es jedoch auch auf wesentlich engerem Raum. In Bergamo macht man sich gerne über die Einwohner des 40 km entfernten Brescia lustig, und in Florenz über die Einwohner Sienas. Diese beiden Städte in der Toskana standen sich im Laufe der Geschichte Jahrhunderte lang feindlich gegenüber.

Ständiger Sarkasmus

Bereits im 19. Jahrhundert stellte der Dichter Giacomo Leopardi (1798-1837) in seinem Über den heutigen Stand der Sitten in Italien Überlegungen zur Besonderheit des italienischen Humors an „Die Italiener machen sich über das Leben lustig wie kein anderes Land, mit mehr Aufrichtigkeit, einer tieferen Überzeugung, mit mehr Verachtung und Gefühlskälte, da das Leben in ihren Augen wesentlich weniger Wert hat als in den Augen der Anderen,“ erklärte er. Diese Fähigkeit, sich übereinander lustig zu machen, war für ihn ein Zeichen für „bewusste Hoffnungslosigkeit“, ständigen Sarkasmus, der zum Verfall persönlicher und sozialer Beziehungen führt.

In den 1970er Jahren zählten italienische Komödien (Commedia all'Italiana) zu den Kinoschlagern. Sie illustrierten perfekt diese Satire, die so bitter ist, dass sie schon fast ins Unangenehme umschlägt. Die Archetypen stammen aus der Commedia dell’Arte (der stehlende Diener, der dumme Karabiniere, der geizige Herr), wo sie wiederum dem lateinischen Theater nachempfunden waren. Die Italiener machen sich also bereits seit über zweitausend Jahren vorbehaltlos übereinander lustig. Und das wird sich sobald nicht ändern.

Zum Teil 1 der Serie: Deutsche Satire oder „politische Hygiene“

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