„In Europa ohne Janukowitsch”. Während der pro-europäischen Demonstration, an der über 100 000 Personen teilgenommen haben. Kiew, 24. November

Janukowitsch hat sich verzockt

Indem die Ukraine die Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens ablehnte, wollte der ukrainische Präsident den Preis hochtreiben, um mehr Geld und Unterstützung von den Europäern zu bekommen. Nun ist er gefangen zwischen Russland und seinem eigenen Volk, welches auf den Strassen demonstriert, glaubt ein Kiewer Kolumnist.

Veröffentlicht am 25 November 2013 um 20:03
„In Europa ohne Janukowitsch”. Während der pro-europäischen Demonstration, an der über 100 000 Personen teilgenommen haben. Kiew, 24. November

Die Mehrzahl der Beobachter ist überzeugt, dass die Ereignisse vom 21. November das Ende des „europäischen Traumes” eingeläutet haben. Einige wollen allerdings glauben, dass Präsident Wiktor Janukowitsch seine „Karten noch nicht auf den Tisch gelegt hat”, den Preis weiter hochtreibt und mit den Nerven der EU spielt, um einige Stunden vor dem Gipfeltreffen in Vilnius noch einen Trumpf aus dem Ärmel zu ziehen. Ein heute durchaus vorstellbares Szenario.

Wiktor Janukowitsch ist nicht gerade für seine Improvisationsleidenschaft bekannt. Hat er also vorher jeden Schritt mehrmals durchdacht? Ein guter Spieler weiß, wann er nicht mehr bluffen sollte und wie weit er das Spiel ausreizen kann. Dafür muss man aber auf seine Mitspieler achten und nicht nur auf sich selbst konzentriert sein. Janukowitsch hatte bereits alle Trümpfe in der Hand, als er sich entschloss, die Partie durcheinanderzubringen, in der Hoffnung, den gesamten Gewinn einzuheimsen. Aber was war sein Einsatz? Das Schicksal der Ukraine, unsere Zukunft.

Drei Hypothesen könnten die Vorgehensweise des Staatschefs erklären. A: Janukowitsch hat verstanden, dass sich die EU nicht mehr weiter bluffen lässt. Der Plan, von der Union im Gegenzug für die Zurückweisung Russlands und der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mehr Geld und Unterstützung zu bekommen, ist nicht aufgegangen.

Schwarzer Donnerstag

B: Janukowitsch hat sich verzockt und das psychologische Gespür seiner Mitspieler unterschätzt. Der EU hat sein Feilschen sehr missfallen und Moskau hat ihm sein ewiges Hin und Her nicht verziehen. Der Kreml zwingt ihn für eine Rückkehr in seinen Schoss drakonische Finanzbedingungen auf und die Ukraine müsste für die allenfalls schlechte Suppe, die ihr serviert würde, hart arbeiten. [[Janukowitsch hat nicht verstanden, dass ihm die Pokerpartie entglitten ist]]. Wie ein kürzlich in der Metro zu sehender Werbeslogan so schön sagt: „Poker — ein intelligentes Spiel.”

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C: Janukowitsch blufft einfach weiter. Noch ist alles offen. Er flirtet mit Russland und glaubt, den Westen so zu beeindrucken. Denn die EU soll alle seine Bedingungen akzeptierten, wenn er die letzte Kehrtwende macht.

Wenn der Weg in die Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist, führt der Weg ins Paradies vielleicht über zweifelhafte Absichten? Hoffentlich ist das die Schlussfolgerung aus diesem „schwarzen Donnerstags”. Hat nicht Janukowitsch mit seinen Manövern das Land dazu gebracht, an eine nahe Zukunft in Europa zu glauben? Die Antwort ist eindeutig: heute trifft das Volk die Wahl und nicht eine einzelne Person. Ein Volk, dass sich nun verteidigen muss.

Der „schwarze Donnerstag” war für uns ein Test auf dem Weg zur europäischen Integration. Wir sind nicht mehr in Gedanken versunken, sondern handeln. Trotz Verwirrung, Angst, Ungläubigkeit, Apathie, Müdigkeit und Frustration glauben wir weiter daran.

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