Europäische Kommission

„Junker möchte das Ruder in die Hand nehmen“

Veröffentlicht am 13 September 2014 um 09:41

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Am 10. September stellte der designierte Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker seine Mannschaft vor. Seine Ankündigung wurde von der Mehrheit der Medien mit einer Mischung aus Neugierde und Skeptizismus aufgenommen.

Für De Volkskrant ist die Kommission Junckers „politisch schweres Geschütz“: fünf ehemalige Premierminister, vier ehemalige Vizepremiers und „eine Handvoll talentierter Minister“. Diese Mannschaft werde, „zumindest auf dem Papier ein Gegengewicht zu den Staats- und Regierungschefs, die in der EU immer mehr das Sagen haben, sein.“ Die niederländische Tageszeitung bezeichnet die Juncker-Methode als „revolutionär“: „Er beendet die seit Jahrzehnten andauernde Art, wonach jeder Kommissar Alleinherrscher über seine Dossiers war.

Lluis Bassets, der Vizedirektor von El País, meint, dass es zweifellos die „Kommission Juncker“ ist, da der ehemalige luxemburgische Premierminister wahrhaftig ausgesucht hat, wen er an seiner Seite haben wollte. Für die spanische Tageszeitung ist das ein Zeichen, dass „Juncker das Ruder in die Hand nehmen möchte“ und dass er „nicht mehr der deutschen Leitung unterliegt.

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Juncker hat nicht nur seine Kommissare persönlich ausgesucht – seine Kommission trägt auch die Handschrift seiner politischen Familie, wie die Financial Times aufzeigt. Juncker hat nämlich

seine mitte-rechts Alliierten an den Schlüsselpositionen der zukünftigen europäischen Exekutive platziert, was andeuten könnte, dass der Franzose Pierre Moscovici, der einzige mitte-links Politiker in der Gruppe, Schwierigkeiten haben könnte, die europäische Antwort auf die Wirtschaftskrise zu ändern. Moscovici hat [...] den wertvollen Posten für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten bekommen – er wird jedoch in der Wirtschaftsmannschaft von Anhängern der budgetären Disziplin umgeben sein. Außerdem nominierte Juncker Franz Timmermans, den niederländischen Außenminister, zum „ersten Vizepräsidenten“. Dieser wird, als „rechte Hand des Präsidenten“, sicherstellen, dass sich die neue Kommission auf eine Handvoll an Prioritäten konzentriert – eine klare Nachricht an den immer größer werdenden Euroskeptizismus. In Den Haag war Timmermans jener der stärksten Befürworter eines Verbleibs der Macht in den Hauptstädten, anstatt sie nach Brüssel zu transferieren.

Das amerikanische Internetportal für Wirtschaftsnachrichten Quarz urteilt seinerseits über Nominierung von Moscovici für Wirtschaftsangelegenheiten – „wo er weniger Sparmaßnahmen und mehr wirtschaftsfördernde Politik fordern sollte“ – und des Briten Jonathan Hill für die Finanzabteilung – „ein großes Zugeständnis an die mächtige Finanzlobby in London“: [[„Die EU hat die Füchse beauftragt, den Hühnerstall zu beaufsichtigen.“]]

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In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt der Kolumnist Werner Mussler dass Juncker sich

der Frage nicht entziehen [kann], warum Moscovici ein für sein Land absolut zentrales Dossier bekommt, während der deutsche Kommissar Günther Oettinger eine zwar sehr wichtige, aber zugleich recht wolkig definierte Zuständigkeit („digitale Wirtschaft und Gesellschaft“) erhält.

Ludwig Greven in Zeit Online bezeichnet die Postenvergabe sogar als „Affront gegen Merkel“.

Wirtschafts- und Währungskommissar wird – trotz [Merkels] anfänglichen Widerstands – der frühere französische Finanzminister Pierre Moscovici. Angela Merkel hatte das eigentlich verhindern wollen, weil sie den Sozialisten für die hohe Verschuldung in seinem Heimatland mitverantwortlich macht und ihm daher nicht zutraut, gegenüber der eigenen Regierung in Paris und anderen Schuldenländern wie Italien die Einhaltung des Stabilitätspakts durchzusetzen. Juncker aber ignorierte diese Bedenken und folgte dem Wunsch des französischen Präsidenten François Hollande.

Für Le Monde ist die Arbeit, die Jean-Claude Juncker erwartet, nichts weniger als „immens – so geschwächt kommt die Institution, die eigentlich das europäische Ideal tragen sollte, aus den zehn Jahren Präsidentschaft des Portugiesen José Manuel Barroso.

Die französische Tageszeitung schreibt dass

die Kommission, seit sie 28 Kommissäre – einen pro Mitgliedsstaat – hat, formlos geworden [ist]. Sie ist unfähig, einen wahrhaftigen europäischen Kurs festzulegen. Sie hat während der Eurokrise keine einzige Initiative ergriffen, und ließ die Staats- und Regierungschefs alleine, [...] mit der Europäischen Zentralbank, die Rettung des Euros entscheiden.

Für die Le Monde hat der neue Präsident der Kommission „drei zentrale Missionen“: Erstens, die „Konsolidierung des Euro“, wofür er „Vermittler zwischen den Kranken und den Gesunden, zwischen Frankreich und Deutschland, sein muss“; Seine zweite Aufgabe: Juncker werde „Großbritannien in Europa behalten müssen“, da sonst „dessen Ausscheiden der Welt das Scheitern des europäischen Projekts vor Augen führen würde.“ Schlussendlich werde er eine „gemeinsame Immigrationspolitik einführen müssen. Der Hass gegenüber der EU ist oft eine Maske für einen Reflex des Abstoßes einer als unkontrolliert empfundenen Immigration.

Der ehemalige Premierminister Luxemburgs „ist nicht dafür da, Generalsekretär der 28 zu sein“, schlussfolgert Le Monde: „Er muss das verkörpern, was sie gemeinsam machen wollen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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