Lobbyisten oder Politiker, wer regiert die EU?

Interessengruppen rund um die Institutionen der EU gibt es wie Sand am Meer, doch welche Rolle spielen sie? Sind sie immer die Gewinner? Der Groene Amsterdammer widmet dem Kräfteverhältnis zwischen EU und Lobbyisten eine Analyse. Zweiter Teil der Studie zum Thema Euromythen.

Veröffentlicht am 24 Juli 2012 um 10:32

Die Frage ist nicht, ob es zu viel Lobbyisten in Brüssel gibt. Es ist so.

Die meisten Experten sind sich einig, dass zwischen fünfzehn und zwanzigtausend Lobbyisten in Brüssel herumlaufen. Auch wenn das sehr viele sind, ist die am meisten gehörte Reaktion: In Den Haag sind auch viele Lobbyisten, nur halt verborgen. In Brüssel ist dagegen alles bewusst offen.

Lobbyisten und Interessenvertreter werden im frühen Stadium zum Mitdenken an den Entscheidungen eingeladen. Die Gesetzentwürfe werden frühzeitig öffentlich bekannt gemacht mit der Bitte um Vorschläge. Das klingt jetzt alles sehr beängstigend, aber es gibt auch noch mehr zu sagen. Die Europäische Kommission kann kein kleiner, effizienter Apparat sein, der alles selber macht. Mit anderen Worten: das Wissen von Industrie und Außenstehenden ist notwendig. Noch mehr von Belang ist, dass sich die Europäische Kommission auf diese Weise Unterstützung und Verbündete schafft. Die Beteiligung verschiedener Interessengruppen sei eine gute Sache, meinen die Befürworter.

In manchen Bereichen fehlt die Balance

Aber die Frage ist, ob es ein level playing field, sprich einheitliche Wettbewerbsbedingungen, für die verschiedenen Interessengruppen gibt. Ob ein großer, reicher Industrieverband über denselben Einfluss verfügt, wie ein kleiner, armseliger Watch Dog. Kritiker sagen, dass sei sicherlich nicht der Fall. „Acht von zehn Mal gewinnt der mit dem meisten Geld“, sagt Erik Wesselius von Corporate Europe Observatory. „Es gibt zu viele Beispiele von Berichten, die kaputt gemacht wurden und von denen die Autoren am Ende Abstand genommen haben.“ Er nennt als Beispiel das Ampelsystem für die Kennzeichnung von Lebensmitteln: grün für gesund, rot für ungesund. Am Ende wurde es verworfen. „Das hatte nur mit dem gigantischen Widerstand der Lebensmittelindustrie zu tun“, sagt Wessilius.

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Film- und Musikindustrie rechnen mit dem Schlimmsten

In manchen Bereichen fehlt die Balance offenbar völlig. „Citigroup ist mit vierzig Leuten in Brüssel“, sagt der ehemalige Lobbyist Pim van Ballekom. Derweil es kaum Watch Dogs für die Finanzbranche gibt. Das Kräfteverhältnis ist auch im Einzelhandels-, Logistik- und Lebensmittelgewerbe verzerrt. In anderen Bereichen, wie Umwelt und Menschenrechte, sind die Nichtregierungsorganisationen stärker vertreten. Im Internetbereich sind kleine Aktionsgruppen aktiv, so unlängst zu sehen beim Gesetzesentwurf zur Eindämmung der Piraterie (ACTA). Die Großindustrie (Film, Musik) befürchtet das Schlimmste.

Lesen Sie den ersten Teil der Euromythen: “Demokratiedefizit kleiner als gedacht”

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