Touareg-Geländewagen werden vom Fließband in die Testateliers des VW-Werks in Bratislava transportiert.

Lösungen, um nicht wie Detroit zu enden

Genau wie Detroit ist auch die slowakische Wirtschaft von der Automobilindustrie abhängig. Um zu verhindern, dass sie das gleiche Schicksal erleidet wie die amerikanische Metropole, sollte sie sich neu orientieren und Produkte mit hoher Wertschöpfung herstellen.

Veröffentlicht am 1 August 2013 um 10:17
Touareg-Geländewagen werden vom Fließband in die Testateliers des VW-Werks in Bratislava transportiert.

Die Nachricht über den Bankrott Detroits, der Hauptstadt der [US-amerikanischen] Automobilindustrie, wirft Fragen auf: Wer ist als nächstes dran? Wir, der weltweit größte Automobilproduzenten im Verhältnis zu unserer Bevölkerungszahl?

Halten wir zunächst einmal fest, dass wir das, was sich in Detroit abspielt, bereits schon einmal durchlebt haben. Zu einer Zeit, als unser Hauptexportsektor die Rüstungsindustrie war. Mit der Auflösung des Warschauer Pakts und des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (Comecon) der Ostblockländer brach dieser [Industriezweig] nämlich unmittelbar nach 1989 zusammen.

In nur drei Jahren stieg die Arbeitslosenquote in einigen industriellen Kerngebieten von 0 auf 12 Prozent und erreichte in den Randregionen sogar 20 Prozent. Sie haben sich bis heute nicht von dieser Liquidation der Industrie erholt. Was das Wirtschaftssystem der Slowakei gerettet hat? Eine zweite Industrie-Welle, die auf die Ankunft ausländischer Investoren folgte und sich vor allem in den Jahren nach der Jahrtausendwende ereignete.

Rettung durch Spezialisierung

Fahrzeughersteller und Elektrotechnik-Unternehmen haben sich keinesfalls auf jungfräulichem Boden niedergelassen, sondern konnten sich vielmehr auf eine starke Industrie-Tradition im Maschinenbau, sowie ein umfassendes technisches Know-how der slowakischen Arbeitskräfte stützen.

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Fremdkapital ermöglichte der slowakischen Maschinenbauindustrie und den Herstellern von Rüstungsgütern in den Rüstungsfabriken und Elektronik-Unternehmen eine buchstäbliche Wiedergeburt. [[Um sich durchzusetzen, muss ein kleines Land in der Lage sein, sich auf eine begrenzte Anzahl von Produkten konzentrieren zu können]], für diese aber eine hohe Fertigungsqualität gewährleisten.

Es stimmt, dass wir wirtschaftlich gesehen ganz erheblich von einer recht geringen Anzahl von Exportsektoren abhängig sind. Die Erzeugnisse, die bei der Automobilfertigung (also auch Einzelteile), im Unterhaltungselektronik-Sektor und in der Maschinenbaubranche hergestellt werden, machen jeweils 22 Prozent, 21 Prozent und 10 Prozent aller unserer Ausfuhren aus. Nur dank der Spezialisierung sind wir in der Lage, massenweise Qualitätserzeugnisse zu erschwinglichen Preisen herzustellen und uns so auf den europäischen und inzwischen auch russischen und chinesischen Märkten zu behaupten.

Weniger Importe, mehr Hausgemachtes

Allerdings tauchen da immer wieder die gleichen dringenden Fragen auf: Und Detroit? Und unsere Rüstungsbetriebe in der Zeit nach 1989? Sind wir nicht dazu verurteilt, das gleiche Szenario noch einmal zu erleben?

Um darauf antworten zu können, muss zunächst einmal berücksichtigt werden, dass das Automobil ein äußerst komplexes Produkt ist, das sich aus einer Vielzahl von Bestandteilen zusammensetzt (Motor, Reifen, Windschutzscheibe, aber auch elektronische Steuerungs- und Navigationssoftware). Zu Zeiten Henry Fords konnte eine einzige Fabrik noch die Herstellung der meisten Fahrzeugkomponenten gewährleisten. Heutzutage braucht es eine Vielzahl von Zulieferern,
d. h., externe Dienstleistungsunternehmen, welche die Montagewerke beliefern.

In dem Augenblick, in dem das Unternehmen Volkswagen sich vor 20 Jahren auf slowakischem Boden niederließ, musste es ungefähr 90 Prozent seiner Bestandteile importieren. Gegenwärtig machen die Einfuhren von Fahrzeugteilen in der slowakischen Automobilindustrie noch 60 Prozent der Gesamtkosten des Enderzeugnisses aus.

Was diesbezüglich wirklich bedeutsam ist, ist die Tatsache, dass der Anteil an Importen abnimmt, während die Anzahl der in der Slowakei hergestellten Einzelteile und Ersatzteile zunimmt. Für die Slowakei ist das zweifelsohne eine sehr gute Nachricht. Denn desto grösser unsere Fähigkeit ist, Einzelteile und Ersatzteile selbst herzustellen, desto weniger Arbeitslose gibt es. Und was noch viel wichtiger ist: Die unterschiedlichen Industriebereiche (die Automobil-, Elektronik-, Eisen- und Stahl-, sowie die Kunststoffindustrie, usw.) bilden ein zunehmend dichteres und komplexeres Netzwerk der Zusammenarbeit, dessen Bestandteile immer enger miteinander verflochten sind.

Lehren aus Detroit ziehen

Allerdings ist die Situation unserer Industrie alles andere als optimal. Auch wenn wir uns darüber freuen sollten, dass sich in der Slowakei immer mehr Zulieferer für Fahrzeug- und Elektronikhersteller niederlassen, darf dennoch nicht vergessen werden, dass die meisten von ihnen schon immer zu den ausländischen Partnern der multinationalen Unternehmen gehörten. [[Für slowakische Unternehmen ist es ausgesprochen schwierig, in das Lieferanten- und Kundennetzwerk der weltweit agierenden Konzerne einzudringen]]. Und die ausländischen Lieferanten machen bei uns nichts anderes als zu produzieren.

Wegweisende und überaus gewinnbringende Tätigkeitsbereiche wie das Design, Finanzdienstleistungen, Forschung und Entwicklung werden nicht ausgelagert. Leider haben wir in diesem Bereich nicht wirklich viel zu bieten. Genau hier liegt unsere größte Herausforderung für die kommenden zehn Jahre. Schließlich liegen diejenigen, die der Meinung sind, dass die Automobil- und Fernsehfabriken eines Tages nicht mehr da sein werden, gar nicht so falsch mit ihrer Prognose. Ganz besonders hart wird es „wirtschaftlich primäre“ Aktivitäten wie die einfache maschinelle Fertigung oder die Montage [der Einzelteile] treffen, mit denen nur ein geringer Mehrwert erzielt wird.

Weil wir preiswert sind, sind wir auch heutzutage noch wettbewerbsfähig. Allerdings trifft das beispielsweise noch viel mehr für die Rumänen und Ukrainer zu, die uns eines Tages diese Art von Aktivitäten streitig machen werden. Um das zu verhindern, sollten wir alles daran setzen, unsere Produktionsweise umzustellen und Fahrzeugkomponenten und Fernsehgeräte mit höherem Mehrwert zu fertigen. Schließlich würde dies bedeuten, dass Detroits' Schicksal und unsere eigene Geschichte uns als Warnzeichen gedient, und wir es geschafft hätten, daraus die richtigen Lehren zu ziehen.

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