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Russischer Triumph über die Ukraine nur von kurzer Dauer

Russland mag sich viel darauf eingebildet haben, dass die Ukraine das Assoziierungsabkommen mit der EU letztendlich doch nicht unterzeichnen wollte, doch die dadurch entfesselte Welle von Volksprotesten droht die Regierung zu stürzen und in Moskau Demokratiestimmung aufzuwirbeln.

Veröffentlicht am 3 Dezember 2013 um 17:26

Die Demonstrationen in der Ukraine sind sowohl eine Demütigung als auch eine Drohung für Putin. Der russische Präsident mag ja die tiefen kulturellen und historischen Bande zwischen der Ukraine und Russland preisen, doch er muss feststellen, dass Zehntausende von Ukrainern sich lieber eisigen Temperaturen und fliegenden Schlagstöcken aussetzen als sich weiter in den russischen Einflussbereich ziehen zu lassen.

Darüber hinaus ist es eine potentiell klare Lektion für Russland, wenn schon wieder ein Volksaufstand drohen kann, eine korrupte und zuweilen tyrannische Regierung in der Ukraine zu stürzen. Schließlich ist es keine zwei Jahre her, dass Demonstranten auf Moskaus Straßen gegen Putins Wiedereinsetzung protestierten und seine Partei, Einiges Russland, als „Partei der Gauner und Diebe“ bezeichneten.

Ein Aufstand zugunsten der EU in der Ukraine gefährdet auch Präsident Putins globale Zukunftsvision für Russland. Sein außenpolitisches Hauptziel ist der Aufbau eines Einflussbereichs für Russland, der den Großteil der alten Sowjetunion abdeckt. Die Ukraine – mit ihren 45 Millionen Einwohnern, einem großen Landesgebiet, wirtschaftlichen Ressourcen und einer langjährigen Bindung an Russland – soll in dieser Krone das Juwel sein. Sie ist viel wichtiger als Moldawien oder Weißrussland. Wenn sich die Ukrainer dem Westen statt dem Osten zuwenden, dann ruiniert das Putins Außenpolitik.

Zuckerbrot und Peitsche

Dabei hat die russische Regierung die Schuld an diesem Umschwung nur sich selbst zuzuschreiben. Sie hat ein geschmackloses Tauziehen mit der EU um das Schicksal ihres Nachbarlandes arrangiert und dabei die offensichtlichen Lehren aus der ursprünglichen Orangenen Revolution vergessen: [[Wenn man versucht, die Zukunft der Ukraine über die Köpfe ihrer Bevölkerung hinweg zu entscheiden, dann können die Ukrainer in so großen Zahlen auf die Straße gehen, dass sie die politische Richtung ihres Landes ändern können.]]

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In der Bemühung, die Ukraine davon zu überzeugen, doch nach Moskau und nicht nach Brüssel zu sehen, hatten sich die Russen Janukowitschs Regierung mit Zuckerbrot und Peitsche genähert. Im Sommer wurden Handelsbeschränkungen für ukrainische Waren erlassen, um zu zeigen, mit welchem hohem Preis das Land rechnen müsse, falls es Russland den Rücken kehrte. Gleichzeitig appellierten die Russen direkt an die finanziellen Interessen der Ukraine – und dabei insbesondere die der ukrainischen Elite.

Zwei Zusammenkünfte zwischen Putin und Präsident Wiktor Janukowitsch scheinen den Ausschlag gegeben zu haben, um den ukrainischen Regierungschef davon zu überzeugen, dass es in seinem Interesse – und dem seiner Familie und nahestehender Personen – lag, sich auf Moskaus Seite zu schlagen. Die Nähe zur Macht ist in der Ukraine oft ein Weg zum Reichtum. Der Sohn des Präsidenten, Alexander, eigentlich gelernter Zahnarzt, ist heute ein sehr reicher Geschäftsmann mit guten Beziehungen.

Manipulierter Volksaufstand?

Der Moment, an dem der ukrainische Staatschef ankündigte, er werde das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht unterzeichnen, muss Moskau wie ein köstlicher Sieg vorgekommen sein. Doch der Triumph war von kurzer Dauer. Selbst wenn es Janukowitschs gewalttätiger Polizei gelingt, die Opposition zum Schweigen zu knüppeln, wird die ukrainische Regierung schwere Wunden davontragen – und die ganze Idee einer eurasischen Union verunglimpft sein.

Vielleicht hat sich Putin ja verkalkuliert, weil er an seine eigene Propaganda zur Orangenen Revolution geglaubt hat. Seiner Ansicht nach war letztere nämlich gar kein echter Volksaufstand, sondern ein von westlichen Geheimdiensten fabriziertes Ereignis, das mit der Hilfe nichtstaatlicher, von den USA und der EU finanzierter Organisationen zustande kam. Für Putin waren die so genannten „Farbrevolutionen“ doppelt schlimm: Erstens drohten sie, der natürlichen russischen Machtsphäre Staaten zu entziehen und sie in den Einflussbereich des Westens zu bringen. Zweitens konnten sie als Vorbild für ähnliche Aufstände in Russland selbst dienen. Als im Winter 2011/2012 Demonstrationen gegen dubiose Wahlen in Russland ausbrachen, reagierte der Kreml tatsächlich, indem er hart gegen die westlichen NGOs vorging, die seiner Behauptung nach die Lage aufgerührt hatten.

Der Gedanke, ein Volksaufstand könne tatsächlich vom Volk ausgehen – und nicht hinter den Kulissen manipuliert werden – scheint für Putins Regierung schwer begreiflich zu sein. (In gewisser Weise ist dies erstaunlich, angesichts Russlands eigener Geschichte – aber vielleicht auch nicht so erstaunlich, betrachtet man die Rolle, welche die Verschwörungen in der bolschewistischen Machtergreifung von Oktober 1917 gespielt haben).

Ein zivilisatorischer Kampf

Diese beschränkte, konspirative Auffassung der ursprünglichen bunten Revolutionen hat Moskau vielleicht für andere unangenehme Überraschungen auf den ukrainischen Straßen anfällig gemacht. Hier engagieren sich ganz gewöhnliche Menschen, um Geschäfte zu vereiteln, die von Anführern, die sie als korrupt und unrechtmäßig betrachten, über ihren Kopf hinweg abgeschlossen wurden.

[[Als russischer Nationalist argumentiert Putin gerne, Russland sei eine einzigartige „Zivilisation“ – und zwar eine andere als Europa.]] Demzufolge geht es beim Kampf um die Ukraine für ihn nicht nur um Wohlstand oder Machtpolitik – der Kampf ist zivilisatorisch. Die Idee, dass sich die ukrainische Mittelkasse, zumindest in der Hauptstadt und im stärker entwickelten westlichen Teil des Landes, mehr zu den Zivilisationen in Warschau, Berlin und London hingezogen fühlt als zu Moskau, ist für russische Nationalisten im Kreml und darüber hinaus eine Beleidigung.

In Wirklichkeit wäre die Aussicht auf eine Ukraine, die sich dem Rest Europas annähert – und dabei mehr Wohlstand und eine bessere Regierung erlangt – letztendlich im Interesse Russlands. Sie könnte als Vorbild für die zukünftige Entwicklung von Russland selbst dienen. Doch aus genau diesem Grund bedrohen die Ereignisse in der Ukraine die persönlichen Interessen und Ideologien von Präsident Putin und seinem Umfeld zutiefst.

Aus Moskau gesehen

„Der Westen schielt schon immer auf die Ukraine“

Das südliche Land am Schwarzen Meer und seine 45 Millionen Einwohner seien schon immer ein „erlesener Bissen“ gewesen, schreibt der verrufene russische Schriftsteller und Oppositionelle Eduard Limonow in einer von Iswestija veröffentlichten Kolumne.
Die Ukraine sei „weit größer als Polen“ und es habe den Westen immer schon nach ihr gelüstet, so heißt es weiter. Anfang der 2000er Jahre kehrte Limonow, der lange in Paris und New York lebte, nach Moskau zurück und gründete dort eine „nationalbolschewistische“ Partei, um die verlorene Größe Russlands zu propagieren. „Erinnern Sie sich an die Schlacht bei Poltawa, im Jahr 1709. Puschkin hat ein Gedicht darüber geschrieben. Und wer war gegen uns? Schweden und Polen. Dieselben, die 300 Jahre später alles daran setzen, die Ukraine in den Schoß Europas zu ziehen.“ Und dann, abschließend:

Wir sehen ganz deutlich, dass sich die Geschichte wiederholt, kampflustig und kompetitiv, als wäre nichts passiert; dass der Westen uns auf den Füßen herumtrampelt und dass sich seine aggressive Art im Lauf der Jahre keineswegs verändert hat. Der Westen schluckt unsere ehemaligen Republiken, eine nach der anderen, und fordert uns ständig heraus. Heute ist es an uns, ihn herauszufordern.

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