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"Sind wir zu streng mit Griechenland?"

Veröffentlicht am 17 Februar 2012 um 14:26

Das gespannte Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland war diese Woche ein Thema in Europas Presse. Das Bild vom bösen Deutschen sei bloße "Propaganda", fand die Presse aus Wien. Ernstnehmen sollte Deutschland es trotzdem, riet die Times.

Es knallte diese Woche. In den Straßen Athens wie in den Büros von Ministern. Im griechischen Parlament nahmen die Abgeordneten zwar den drakonischen, von der Troika geforderten Sparplan an. Aber vor dem Gebäude brannten die Läden. “Die Nerven in Griechenland liegen blank”, schrieb der Guardian. "Die Suche nach einem Sündenbock läuft”, notierte die Times. Und Deutschland schien den Anforderungen gerecht zu werden.

So reichte der Ausbruch des griechischen Finanzministers Evangelos Venizelos, Griechenland werde erpresst und gedemütigt, damit [der Guardian titelte](http:// http://www.guardian.co.uk/business/2012/feb/15/greek-german-hostility-eurozone-crisis): Die Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland hätten ein neues Tief erreicht.

Es mag nie Liebe zwischen Deutschland und Griechenland gewesen sein, aber am Mittwoch wurde klar, dass das Verhältnis zwischen Europas Zahlmeister und seinem überschuldetsten Staat eine neue Stufe der Feindseligkeit erreicht hat. Drei Jahre nach Beginn der Krise wird deutlich, dass die Diplomatie, die jegliche Lösungsversuche der Krise dominierte, ersetzt wurde durch Zorn und Erbitterung. Und nicht nur in den Hauptstädten des nördlichen Teils Europas.

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Das [sah](http:// http://abonnes.lemonde.fr/idees/article/2012/02/14/l-allemagne-et-la-chine-puissances-malgre-elles_1643164_3232.html) in Paris [Le Monde](http:// http://abonnes.lemonde.fr/idees/article/2012/02/14/l-allemagne-et-la-chine-puissances-malgre-elles_1643164_3232.html) genauso, und empfahl jedem, der sich mal so richtig Angst machen wolle, auf eine Straße im Süden Europas zu gehen, am besten in Athen.

Wenn Wladimir Putin oder Viktor Orban sich von der westlichen Presse schlecht behandelt fühlen, dann sollten sie einfach mal in Griechenland vorbeigucken. In ihrem Unglück haben die Griechen die perfekte Zielscheibe gefunden, der sie ihre ganze Wut entgegenschleudern können, in derselben Manier, mit der man Puppen mit Nadeln durchlöchert: Angela Merkel. In jeder erdenklichen Weise taucht sie dort auf, am liebsten mit Wächtern in Nazi-Uniform an ihrer Seite, und gelegentlich mit einem kleinen braunen Bärtchen. Über die Kanzlerin hinaus dehnt sich die Schande auf die Gesamtheit ihrer Landsleute aus, die deutschen “Besatzer” und die historischen Fehler, die nie gebüßt sind.

Sicher verhalte sich Deutschland manchmal ungeschickt, sich seines Gewichtes nicht bewusst, wie es den Riesen eben eigen sei, kommentierte das Pariser Blatt und kam zu dem mitfühlenden Schluss: Trotz aller Euro-Krise und erwünschter Führungsrolle gelte für Deutschland immer noch das Paradox: Demut heucheln.

Das deutsche Dilemma geht so: Handeln und sich den Karikaturen preisgeben, oder nicht handeln, und die Vorwürfe einstecken. Das kann schon zu leichter Schizophrenie führen.

Jenseits der TV-Kameras feinden aber bei weitem nicht alle Griechen die Deutschen an, stellte die Financial Times klar. Die bittere Wahrheit sei einfach, dass das tief vom Krieg traumatisierte kleine Land in der Nachkriegszeit immer irgendwie von den Deutschen abhängig war: Hunderttausende Griechen fanden eine Arbeit in der BRD, und selbst die nationale Fußball-Legende ist fest mit dem Namen Otto Rehhagel verbunden. Aber:

Nicht alles ging immer glatt. 1957 verhafteten die griechischen Behörden Maximilian Merten, den ehemaligen Kriegsverwaltungsrat in Thessaloniki. Ihm wurde wegen Kriegsverbrechen der Prozess gemacht, er wurde zu 25 Jahren Haft verurteilt und dann schnell freigelassen. Erst als 1990 die betreffenden Archive geöffnet wurden, kam heraus, dass die griechische Regierung ihn im Tausch freigelassen hatte: um die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Westdeutschland zu sichern.

Wie diese Episode zeigt muss ein kleines Land wie Griechenland in seinen Beziehungen zu seinem größeren Land wie Deutschland oft Kompromisse akzeptieren. Die heutigen Ausbrüche der Griechen gegen Deutschland sind ein Zornesschrei aus einem Land, dass genau weiß, dass es so viele Fehler begangen hat, dass sein Schicksal nun in großem Maße in den Händen von Außenstehenden liegt.

Für die Presse aus Wien war der Befund ein anderer: Die Angst vor den bösen Deutschen, schrieb sie, sei bloße Heuchelei, Propaganda gar.

In Wahrheit geht es um zwei konträre Strategien, den Euro zu retten und Europa wieder wettbewerbsfähig zu machen. Die Deutschen haben gar nicht so solide Finanzen, aber die Einnahmen sprudeln, weil die Wirtschaft wächst. Und das verdanken sie den Strukturreformen der Agenda 2010. Ihre guten Erfahrungen geben sie weiter, was nicht nur zu ihrem Vorteil ist: Wenn Frankreich und Italien wieder zu Kräften kommen, haben die Deutschen auch wieder ernsthafte Konkurrenz. Und wenn sie für Fehlentwicklungen bei anderen haften sollen, fordern sie Reformen ein. Auf jeden Fall laufen die Fronten nicht zwischen Nationen, sondern zwischen Konzepten – in einem Währungsraum, wo jede falsche Weichenstellung alle aus der Bahn wirft.

Die italienische Wirtschaftszeitung [Il Sole 24 Ore überlegte](http:// http://www.ilsole24ore.com/art/notizie/2012-02-15/faccia-feroce-soliti-noti-064400.shtml?uuid=AaxzM1rE) dennoch, ob nicht etwas mehr Milde geraten sei. “Immer dieselben fletschen die Zähne”, titelte die Zeitung – und meinte damit den Norden Europas.

Sind wir zu streng mit Griechenland? Europa bekommt langsam immer deutlichere Zweifel. [...] Die Revolte in Athen, brennende Gebäude, die Verzweiflung in den Straßen beeindruckt die Tugendhaften im Norden wenig. Der Zusammenstoß zwischen der blinden Unnachgiebigkeit der Einen und den zyklopischen Anstrengungen, die den Griechen ohne jeden Aufschub abverlangt werden, hat noch keinen Kurzschluss provoziert. Doch das könnte bald kommen.

Auch für [die Londoner Times war klar](http:// http://www.thetimes.co.uk/tto/news/world/europe/article3319145.ece), dass antideutsche Gefühle in Athen sich in erster Linie mit Hilflosigkeit erklären. Das Blatt riet Deutschland dennoch, den griechischen Ärger nicht zu unterschätzen. Auf jeden Fall aber sich ihm zu stellen.

Griechenland hat sein eigenes Gefühl der Erniedrigung als Waffe gebraucht gegen das, was es als einen von Deutschland dominierten Euro darstellt. Geben Sie ein paar Hakenkreuze dazu, und aus Demonstrationen gegen sinkende Lebensstandards können leicht antideutsche Proteste werden. Letztendlich wird das darauf hinauslaufen, dass Deutschlands Ansehen in Europa lädiert wird; außer es legt, und zwar schnell, mehr politische Sensibilität an den Tag. Naheliegend wäre es zum Beispiel für Angela Merkel, nach Griechenland zu fahren, am besten noch vor dem Bundestagsvotum über die Griechenlandhilfen am 27. Februar. Das würde aber von ihr einen selbstsichereren und emotionell intuitiveren Führungsstil verlangen. Weil dieser ihr aber abging, ist die Euro-Zone immer noch in der Krise.

In Zusammenarbeit mit Spiegel-Online

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