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Was haben wir 2017 gelernt, und was ist 2018 zu erwarten?

2017 sollten populistische Parteien ganz Europa erdbebenartig erschüttern. Allerdings ist dies nicht passiert. Wird es 2018 ein ähnliches Szenario geben? Höchstwahrscheinlich nicht, meint der Polit-Experte Cas Mudde.

Veröffentlicht am 29 Dezember 2017 um 09:23

2016 war das Jahr der populistischen Überraschungen. 2017 sollte jenes der populistischen Siege werden. Anlässlich der Wahlen in Österreich, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden – um nur die bedeutendsten zu nennen – ruhten alle Augen auf den „Populisten“, die in den meisten Fällen dem rechtsradikalen Lager angehörten.

Vor allem die britischen und US-amerikanischen Medien prophezeiten nach dem Brexit-Erdbeben/Trump schwere Nachbeben auf dem europäischen Kontinent. Diese sollten einerseits zum Untergang der altgedienten, zentristischen Spitzenpolitiker führen, so beispielsweise der Bundeskanzlerin Angela Merkel in Deutschland. Andererseits sollten sie den Aufstieg neuer, populistischer Anführer wie Marine Le Pen in Frankreich nach sich ziehen.

Das die Berichterstattung dominierende Motiv vom gestärkten Populismus, der den umkämpften Status quo besiegen würde, erlitt zur niederländischen Parlamentswahl im März seinen ersten Schlag. Im Vergleich zu den Umfragen, und selbst zu den letzten Erhebungen kurz vor den Wahlen, erreichte die Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders letztendlich nur ein unterdurchschnittliches Ergebnis. Stattdessen ging Ministerpräsident Mark Rutte als politischer „Sieger“ aus den Wahlen hervor. Nichtsdestotrotz ist er wahltechnisch als Verlierer zu betrachten, zumal er den Diskurs und teilweise auch die politischen Programmpunkte der PVV übernommen hat. Rutte erklärte diesbezüglich, sein „guter Populismus“ habe den „schlechten Populismus“ von Wilders besiegt. Die internationalen Medien bliesen in dasselbe Horn. Und plötzlich waren wir alle Populisten!

Die französische Präsidentschaftswahl im darauffolgenden Monat war die wirkliche Nagelprobe für das vorherrschende Erzählmotiv, auch wenn sie als einzige auf dem Prinzip „der Gewinner nimmt alles" beruhte. In den vorherigen Jahren wurde Marine Le Pen in den Umfragen einerseits als Frankreichs beliebteste Politikerin gehandelt. Andererseits galt sie aber auch als weitaus unbeliebteste Politikerin des Landes - auch wenn die Berichterstattung nicht so ausführlich auf diese Tatsache einging. Nichtsdestotrotz reduzierte dies ihre Chancen auf einen Sieg in der Stichwahl auf fast null. Letzten Endes schnitt sie in beiden Wahlrunden unterdurchschnittlich schlecht ab, zum Teil aufgrund der unzureichenden Kampagnenarbeit, aber auch wegen ihrer schwachen Leistung in einer Fernseh-Debatte. So wies ihr der neue Star der europäischen Politik, Emmanuel Macron, eine nahezu belanglose Rolle zu. Die Parlamentswahlen im darauffolgenden Monat beherrschte er ebenfalls voll und ganz. Zwangsläufig wurde auch er als „Populist“ getauft. Schließlich musste der Populismus 2017 der große Sieger sein – was auch immer die Fakten zeigen.

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Als Macron dann aber vielmehr als politischer Außenseiter dargestellt wurde, anstatt einem vollwertigen Populisten, setzten die Journalisten eine neues Erzählmotiv in Umlauf: Den Tod des Populismus. Hierfür übertrieben sie die unterdurchschnittlichen Ergebnisse von Le Pen und Wilders, indem sie die tatsächlichen Ergebnisse meist mit den unrealistischen Erwartungen verglichen. Dies machte die bevorstehende deutsche Bundestagswahl im September zum absolut entscheidensten Moment, der über das Leben oder den Tod des „Populismus“ richten würde. Wird Merkel triumphieren, und dem Populismus den Gnadenstoß versetzen? Oder wird die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) ihrer zwölfjährigen Amtszeit als Kanzlerin ein Ende setzen?

Noch am Wahlabend war die Antwort darauf unklar. Für eine Drittpartei erzielte die AfD das zweitbeste Ergebnis der jüngeren Geschichte. Allerdings blieben Merkel und ihre CDU/CSU mit Abstand die stärkste Kraft der deutschen Politik. In den Medien und bei den Experten herrschte Verwirrung: Hatte der Populismus gesiegt oder war er am Ende? Die Antwort darauf sollten die südlichen Nachbarn geben. Allerdings spielte sich bei Österreichs Nationalratswahl ein ganz anderes Szenario ab, das durchaus gewisse Ähnlichkeiten mit dem niederländischen und französischen Fall aufwies.

Der große österreichische Wahlsieger war der junge Außenminister Sebastian Kurz, der seine konservative Partei ÖVP in ein persönliches politisches Instrument verwandelt hatte. Das wiederum erinnerte irgendwie an Macron in Frankreich. Ferner hatte er dank einer Strategie des „guten Populismus“ nach niederländischem Rutte-Vorbild gewonnen, zumal er seinen Wahlkampf auf autoritären Themen aufgebaut, und im Kontext der sogenannten Flüchtlingskrise vor allem von Überfremdung gesprochen hatte. Im Vergleich zu allen anderen Ländern, welche die Rechtspopulisten ausgegrenzt hatten, bewerkstelligte er hingegen einen vollständigen Bruch: Kurz lud die FPÖ ein, mitzuregieren. Im Gegensatz zum Jahr 2000, als sein Vorgänger Wolfgang Schüssel genau das Gleiche getan hatte, gab es diesmal aber keinerlei große nationale oder internationale Reaktionen. Die Rechtspopulisten hatten sich normalisiert: Entweder als Partner, oder als Außenseiter.

Nun steht uns 2018 bevor: Ein Jahr, in dem viele europäische Länder mit starken und gut etablierten populistischen Parteien an die Urnen treten werden, darunter auch Ungarn und Italien. Was können wir aufgrund der Lektionen des Jahres 2017 erwarten?

Erstens: Es können keine allgemeinen Lehren gezogen werde, zumal Europa ein Kontinent, und kein Land ist. In diesem Sinne sind nationale Wahlen in erster Linie national! Folglich werden die Wahlen in Ungarn von ungarischen Faktoren beeinflusst werden, wie zum Beispiel der inneren Spaltung der Opposition. Gleichermaßen werden die Wahlen in Italien von italienischen Charakteristika bestimmt werden, darunter die andauernde Flüchtlingssituation.

Zweitens: Populismus wird in den europäischen Wahlen auch weiterhin relevant bleiben, insbesondere dort, wo populistische Parteien bereits vor einem Jahrzehnt bedeutsam waren.

Drittens: Ganz gleich welche Ergebnisse die populistischen Parteien erzielt haben, die Berichterstattung der internationalen Medien wird in keinem angemessenen Verhältnis zu ihnen stehen.

Cet article est publié en partenariat avec The European Data Journalism Network – CC/BY/NC

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