Weg in die Selbstzerstörung

Indem er die Schließung des öffentlichen Senders ERT ohne Absprache mit seinen Koalitionspartnern beschloss, geht Ministerpräsident Samaras das Risiko ein, dass seine Koalition auseinander bricht. Doch Neuwahlen würden das Land erneut ins Chaos und den politischen Stillstand von vor knapp einem Jahr stürzen

Veröffentlicht am 13 Juni 2013 um 15:11

Die Einheit der griechischen Koalition ist stark belastet und das Land könnte Neuwahlen mit großen Schritten entgegen gehen. Wenn das politische Gedächtnis nicht weiter als ein Jahr zurückblicken könnte, wäre es jedem klar, dass das Ergebnis der Wahlen vom Mai und Juni 2012 gewissermaßen das Programm der Fiskalumstellung des Landes entgleisen lassen, noch mehr Schulden in die eh schon leeren Schubladen gesteckt und die Rezession und Arbeitslosigkeit in die Höhe getrieben hat.

Auf politischer Ebene war der Ausgang der beiden Urnengänge die Wahl der linksgerichteten SYRIZA als Hauptoppositionspartner, das Hervortreten der Golden Dawn als stärkste Partei des bestehenden Parlaments, quasi die Ausschaltung der PASOK von der politischen Karte und wachsende Spannung innerhalb der Neuen Demokratie.

Wacklige politische Verhältnisse

PASOK und ihr derzeitiger Parteichef Evangelos Venizelos sind nicht sehr beliebt. Der Chef der Radikalen Linken Fotis Kouvelis kann genauso irritierend sein wie ein nerviger Vorsitzender eines Debattierklubs. Da die Linken – abgesehen von einigen kurzen Unterbrechungen – von der Exekutive des Landes ausgeschlossen waren, haben sie ein eher theoretisches Verständnis von Politik.

Doch leider sind sie die einzigen Politiker, auf die Ministerpräsident Antonis Samaras momentan zählen kann. Und er steht in der Pflicht, ihre Würde nicht anzutasten, ihnen keine schwierigen Dilemma aufzubürden – egal, ob die Angelegenheit, um die es geht, eine ernste oder unwichtige ist oder sie darum bitten, bei einigen Dingen eine abweichende Meinung zu haben.

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Die Krise hat die Primitivität der griechischen Politiker noch betont. Die Politiker in Nordeuropa versuchen, der Stabilität des Systems und seine Anpassung an die Anforderung eines sich ständig weiterentwickelnden Umfeldes entgegenzuarbeiten. Nach Auffassung der griechischen führenden Politiker geht es nur um Selbstbestätigung und Überleben. Sie sind allergisch gegen andere. Der griechische Politiker ist der provinzielle Mann auf der europäischen Bühne.

Eine Zukunft unsicherer Konstellationen

Die Neue Demokratie könnte die nächsten Wahlen gewinnen, aber weder PASOK noch die Radikalen Linken würden sich erneut mit Samaras zusammentun. Das würde das Land zum Stillstand bringen. Selbst wenn eine neue Regierung zustande käme, hätte sie einen neuen Ministerpräsidenten und das Risiko eines weiteren Zerwürfnisses innerhalb der Konservativen liegt auf der Hand.

Doch selbst wenn die Neue Demokratie allein eine Mehrheit im Parlament erreichen würde, wäre es ihr vor dem Hintergrund des griechischen Wahlrechts unmöglich, vernünftig zu regieren, weil ihr angesichts des Fehlens eines festen Staatsapparates und allgemeiner Korruption alle Oppositionsparteien gegenüber stünden.

Was auch immer geschieht, das Zwei-Parteien-System des Landes existiert nicht mehr. Golden Dawn zu wählen ist eine politische Entscheidung und zeigt den Willen, das politische System zu zerstören – Walhalla in Flammen, Wagners Götterdämmerung. Diesmal nicht sicher auf der Bühne sondern innerhalb der Gesellschaft.
Es ist nun fraglich, ob man über den Tod von politischen Zwergen weinen sollte in einer Zeit, wo das Land jeden Augenblick in Flammen aufgehen kann.

Reaktion

Wahlen: Ein kollektiver Selbstmord

Nachdem Regierungschef Antonis Samaras sich seinen Partnern widersetzte und entschied, die öffentlich-rechtliche Rundfunksanstalt ERT vorerst schließen zu lassen, droht das Regierungsbündnis auseinanderzubrechen.
Einer der meistgelesenen Kolumnisten Griechenlands, Giorgos Delastik, glaubt allerdings nicht daran, dass „die ND-Pasok-Dimar-Koalition sofort zusammenbricht“. Der Grund: Würde es Neuwahlen geben, könnten die Bündnispartner noch mehr verlieren. In To Ethnis weist Delastik darauf hin, dass

die Regierungsbeteiligung die einzige rote Linie ist, [die weder der Parteivorsitzende der PASOK] Evangelos Venizelos , [noch der Vorsitzende der DIMAR], Fotis Kouvelis, überschreiten will! Die einzige Sache, die sie nicht einmal ansprechen, ist das Ausscheiden aus der Regierung! Über alles andere kann man reden.

Zögen sich die PASOK und die DIMAR aus der Regierung zurück, würde dies die Regierung von Samaras zu Fall bringen und vorgezogene Neuwahlen erforderlich machen. [...] Sind Venizelos und Kouvelis tatsächlich verrückt genug, die Regierung freiwillig zu verlassen, obwohl sie sich damit der politischen Guillotine, d. h. Wahlen aussetzen? [...] Samaras weiß, dass Venizelos und Kouvelis keine andere Wahl haben, als ihm zu gehorchen. Genau deshalb erpresst er sie auch, ohne dabei mit der Wimper zu zucken.

Indem Samaras mit Neuwahlen droht will er aber auch „dem Volk Angst machen“, fügt Delastik hinzu. „Schließlich sind Angst und Gewalt die einzigen [Mittel], um die Bürger dazu zu zwingen, sich der Ordnung zu fügen“, die seit dem Memorandum über die internationalen Finanzhilfen herrscht.

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