Wie weit geht der Grillo-Effekt?

Wirtschaftskrise, Jugendarbeitslosigkeit, Glaubwürdigkeitsverlust der Parteien: Die Situation, die zum Erfolg der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien geführt hat, könnte den gleichen Effekt auf das andere südeuropäische Krisenland haben, meint der spanische Soziologe Enrique Gil Calvo.

Veröffentlicht am 5 März 2013 um 13:03

Der Sieg des Populisten Beppe Grillo (der in Spanien als Pepito Grillo übersetzt unweigerlich an die sprechende Grille Jiminy Cricket aus Pinocchio erinnert) bei den jüngsten italienischen Wahlen rückt erneut die Widersprüche zwischen Kapitalismus und Demokratie und die durch die Finanzspekulationen bedingte politische Krise in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Nach einer technokratischen Regierungszeit, die von striktem finanziellem Gehorsam geprägt war, hat das Parteiensystem in Griechenland bereits unter dem Druck der Märkte nachgegeben. Der Zusammenbruch führte zum Wahlsieg der beiden populistischen Parteien (am äußersten rechten und linken Rand).

Deshalb stellt sich nun die brennende Frage: Könnte 2015 in Spanien etwas Ähnliches passieren, oder vielleicht sogar früher, wenn die Wahlen wegen des Absturzes der aktuellen Regierungspartei vorgezogen werden müssen? Es gibt Anzeichen dafür, dass unser gegenwärtiges demokratisches Modell eine schwere politische Krise erlebt, die von den tiefgreifenden gesellschaftlichen Auswirkungen des ungerechten Steuerausgleichs noch verschärft wird.

Spanische Mittelschicht macht mobil

Katalonien ist de facto unabhängig geworden, während seine Mehrheitspartei Wähler verliert. Die sozialistische Partei droht, ebenfalls auseinanderzubrechen, da die Parteispitze nicht fähig ist, sich neu zu organisieren, sich als vertrauenswürdige Opposition zu profilieren und ihre Glaubwürdigkeit bei den Wählern wiederherzustellen. Die diskreditierte Regierung schwankt zwischen Misstrauen und Hilflosigkeit, da sie keine Rechenschaft über die vielen Bestechungsskandale ablegen kann, mit der sie in Beziehung gebracht wird. In der Zwischenzeit kehren die Bürgerbewegungen sowohl der institutionellen Elite als auch der politischen Klasse den Rücken, wie es die massive Mobilisierung der Mittelschicht bezeugt. Deshalb wäre es wohl keine Überraschung, wenn sich auch in Spanien bei den nächsten Wahlen ein populistischer Kandidat wie die 5-Sterne-Bewegung durchsetzen würde.

Wie bereits viele Beobachter verstanden haben, darf Beppe Grillo nicht als moderner Rattenfänger von Hameln betrachtet werden, der vertrauensselige Kinder betören kann. Ganz im Gegenteil: Beppe Grillo ist die Galionsfigur einer pluralistischen sozialen Bewegung, die die zahlreichen heterogenen Stimmen der Zivilgesellschaft in einer Person bündelt, um ihre Ablehnung der politischen Klasse Ausdruck zu verleihen. In Bezug auf Alter und Milieu (junge, gut ausgebildete Menschen aus der Mittelschicht), Organisation (soziale Medien und ICT) und Mobilisierung (Feste auf öffentlichen Plätzen) ähnelt die italienische 5-Sterne-Bewegung (Erbin der vor zehn Jahren in Mailand entstandenen Girotondi) wohl am ehesten der spanischen Bewegung 15-M mit allen ihren Folgeerscheinungen: Rodea el Congreso 15-S [Umzingelung des spanischen Parlaments], Stop Desahucios [Schluss mit den Zwangsräumungen] der Bürgerinitiative PAH sowie der Massendemonstrationen aller Farben (Weiß, Grün, Schwarz, Orange etc.).

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Guter Populismus versus schlechter Populismus

So wie bei Cholesterin ist zwischen dem guten Populismus (positives Vertrauen generierendes universalistisches Sozialkapital) und dem schlechten Populismus (negatives Mistrauen absonderndes partikularistisches Sozialkapital) zu unterscheiden. Der schlechte und negative Populismus wird von Berlusconi und ähnlichen politischen Anführern verkörpert: Mafiabosse, die ihre Anhänger zu ihrem eigenen Nutzen ausbeuten.

Den guten und positiven Populismus (wie er von Ernesto Laclau beschrieben wird) personifizieren die Girotondi, die Empörten, die 15-M und die 5-Sterne-Bewegung: Bewegungen mit universalistischen Ansprüchen, die fähig sind, viele heterogene soziale Netzwerke zu verbinden und in einem Kollektiv zu organisieren, das gemeinsam die Stimme der gesamten Zivilgesellschaft erhebt. Spezifisch italienisch ist die theatralische Rolle Beppe Grillos als Bauchredner, der für die Bürgerbewegung spricht. Diese Rolle ist in Spanien nicht besetzt.

Es wird behauptet, Beppe Grillo sei nichts anderes als ein Clown (wie es der SPD-Kanzlerkandidat in Deutschland unterstrichen hat). Aber in Wirklichkeit ist er ein Spekulant, der auf das politische Spiel gesetzt und gewonnen hat. So wie die Finanzspekulanten auf das Spiel der Märkte setzen, um zu gewinnen. Wenn akzeptiert wird, dass Spekulation zur Logik der Finanzmärkte gehört, warum sollte nicht akzeptiert werden, dass der Populismus mit der demokratischen Logik der Wahlen spielt?

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