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Auslese: “Symbol für Mut und ethische Strenge”

Veröffentlicht am 20 Februar 2012 um 16:05

Aus dem Ausland kommt fast nur Lob: Europas Presse feiert die Nominierung Joachim Gaucks. “Der Wille des Volkes hat gesiegt”, schreibt La Repubblica in Rom. Aber seine “Direktheit” könnte zur Gefahr für die deutsche Politik werden, merkt De Volkskrant aus Amsterdam an.

Würde der deutsche Präsident direkt vom Volk gewählt, so säße er schon seit Juni 2010 im Schloss Bellevue, weiß Europas Presse. Dass Joachim Gauck nun trotz aller Hürden doch ins Schloss Bellevue einzieht, gilt so manchem Kommentator als Beweis für eine funktionierende deutsche Demokratie.

“Niemand ist unantastbar, nicht einmal der Staatschef.” - Wenigstens in Deutschland, schreibt in Prag die korruptionsgeplagte Mladá Fronta DNES, die sich Ähnliches auch im “tschechischen Kessel” wünscht.

Die präsidialen Laufbahnen der beiden Männer, die die Chefin der Christdemokraten durchgesetzt hatte, endeten in einem Fiasko. Mit Erinnerung an moralische Instanzen wie Richard von Weizsäcker oder Roman Herzog ist klar, dass das Prestige des höchsten Amtes in den letzten Jahren in Deutschland sehr gelitten hat. [Wulffs Abtritt] ist hauptsächlich der investigativen Presse zu verdanken, die keine Angst vor Einschüchterungsversuchen durch die Politik hat. Er ist auch der Beweis dafür, dass deutsche Behörden ermitteln, ob es den Mächtigen nun gefällt oder nicht.

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Ähnliches Echo kommt aus Italien. La Repubblica schreibtmit einiger Zufriedenheit:

Es ist geschafft, der Wille des souveränen Volkes hat gesiegt". "Wulff einmal gestürzt, konnte Merkel es sich nicht erlauben, sich noch einmal in ihrer Wahl für das höchste Staatsamt zu täuschen. [...] Die deutsche Demokratie hat hier in beispielhafter Weise auf die durch Wulffs gierige Ungezwungenheit hervorgerufene Ethik-Krise reagiert. [...] Gauck will ein für die nationale Einheit symbolischer Präsident sein. Er wird auch ein Symbol sein für Mut und ethische Strenge, in einem für Europa harten und schweren Moment.

Das lässt auch El País in Spanien hoffen.

Jetzt, wo Deutschland weniger 'europäisch' wird, bräuchte es wirklich eine moralische Instanz an der Spitze des Staates, die überzeugen von dem Weg sprechen kann, den es jetzt zu gehen gilt.

In der Schweiz ist der Tages-Anzeiger optimistisch:

Joachim Gauck wirkt so wie die Antithese zu Wulff, dem Politprofi und Karrieristen, dem Schnäppchenjäger, der sich von reichen Freunden einladen ließ, sich günstig ein Haus und schicke Autos besorgte - aber sonst kaum etwas zu bieten hatte. Mit Gauck gibt es eine reale Chance, dass das durch die Ereignisse der letzten Wochen so abgehalfterte Amt des Bundespräsidenten in Deutschland neuen Glanz bekommt, neue Tiefe und Bedeutung.

Das könnte aber auch unbequem werden: Ein Widerwort kommt aus den Niederlanden. Trotz seiner "immensen Beliebtheit" habe Gauck mindestens einen Fehler, wendet De Volkskrant aus Amsterdam ein:

Die einzige “Gefahr”, die Gauck für die deutsche Politik darstellen könnte ist seine Direktheit. Gauck ist dafür bekannt, die Dinge beim Namen zu nennen und dabei kein Blatt vor den Mund zu nehmen, ohne Rücksicht auf die Folgen. Als Präsidentschaftskandidat vor allem der deutschen Linken steht er zum Beispiel der Occupy-Bewegung sehr skeptisch gegenüber. Während man auf der Linken in ihr eine neue Weltrevolution sah, sah Gauck einen Club mit einer romantischen Weltvision.

Die Londoner *T*imes geht näher auf die Position der Bundeskanzlerin ein:

Mit der Wahl Gaucks muss Frau Merkel ein ordentliches Stück Kreide schlucken . Aber indem sie dem ehemaligen ostdeutschen Anti-Kommunisten-Kreuzritter so schnell ihre Unterstützung aussprach, bekam die Kanzlerin ein wenig von ihrer Trittsicherheit zurück. Denn sie vermied einen weiteren unschönen Kampf, der sie weit von ihrem Hauptaugenmerk, der Euro-Rettung abgelenkt hätte.

Für die Presse aus Wien hat Merkel dagegen nur den Minimaldienst geleistet.

Das Risiko bestand ausschließlich darin, dass Frau Merkel durch die abermalige Ablehnung Gaucks die Bereitschaft dokumentiert hätte, einen Fehler zwei Mal zu machen. Das hat sie nicht getan. Viel mehr sollte man gegenwärtig von Politikern auch nicht erwarten.

Der Pariser Figaro schließlich zollt der Merkelschen Fähigkeit, immer wieder auf die Füße zu fallen, all seinen Respekt. Die Männer der Kanzlerin, von Köhler über Guttenberg bis Wulff, fielen einer nach dem anderen...

Und nie hat ihre Beliebtheit darunter gelitten. Ihre Methode liegt in einem Wort: Schlichtheit. Das ist ihre Waffe. Ihr Präsident ist angeklagt, Geschenke von reichen Freunden angenommen zu haben, Ermäßigungen akzeptiert zu haben, sich in den Urlaub eingeladen lassen zu haben. Am Abend des Interviews von Wulff im deutschen Fernsehen lässt sie sich im Supermarkt sehen, wo sie selbst ihre Einkäufe macht. Merkel, die für französischen Käse schwärmt, steht an der Kühltheke im Berliner Lafayette und schleppt ihre Vorräte in einem gemeinen Plastiksack nach Hause... Entwaffnend!

In Zusammenarbeit mit Spiegel Online.

Foto: Le Monde.

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