Vor ihm, Italien. Ministerpräsident Berlusconi beim ersten Parteitag von "Volk der Freiheit", März 2009. AFP

Berlusconi: unsere Ikone, euer Klischee

Die europäische und internationale Presse beäugt Italien und seinen umstrittenen Regierungschef mit einer Mischung aus Neugier, Herablassung und Verwunderung, deren die Italiener langsam leid sind. Egal, ob sie hinter ihrem 'Cavaliere' stehen oder gegen ihn sind, im Grunde haben alle das Gefühl, im Ausland nicht richtig verstanden zu werden.

Veröffentlicht am 16 Oktober 2009 um 07:22
Vor ihm, Italien. Ministerpräsident Berlusconi beim ersten Parteitag von "Volk der Freiheit", März 2009. AFP

Die Italiener, die in den letzten Wochen die wichtigsten ausländischen Zeitungen gelesen haben, werden das Gefühl nicht los, dass die Presse kein objektives Verständnis für Italien hat, und sie ihren Lesern daher Italien nicht wirklich nahebringen kann. Meistens ist die Herangehensweise an Italien eine Mischung aus Folklore und Oberflächlichkeit, bei der ein Anflug von Überlegenheit kaum verschleiert wird. In den ausländischen Texten findet man plumpe Analysen, Moralismen und Unaufmerksamkeiten, in denen sich die alte Geringschätzung gegenüber den Italienern und die Protzigkeit aristokratischer Frechheit abwechseln.

Allerdings erklären sie nie, dass Berlusconi natürlich aufgrund von Interessenkonflikten und seines enormen medialen Einflusses an der Macht ist, aber auch und vor allem, weil er die konkreten und alltäglichen Interessen verschiedener italienischer Gesellschaftsschichten repräsentiert und garantiert. Darüber hinaus sollte man nicht vergessen, dass es keine Opposition gibt, die als Alternative eine andere, überzeugendere Idee von Italien anbietet.

Diese Situation begünstigt den Zusammenhang des Anti-Italianismus der ausländischen Kommentatoren und des Elitismus eines Teils der italienischen Intellektuellen, die zwar ihr Land lieben, es aber gleichzeitig verleugnen, weil sie es gerne anders hätten als es ist. Unsere Intelligentia mag die Italiener nur, wenn sie zahlenmäßig klein sind und zudem eine gebildete, sich herausstellende und aufgeklärte Minderheit repräsentieren, die im Takt des bekannten Liedes des Humoristen Giorgio Gaber mitschunkelt: "Ich fühle mich nicht italienisch, aber leider oder glücklicherweise bin ich es doch." Da pendelt man zwischen einem sehnsüchtigen Opportunismus und einem kultivierten Allerweltsmenschen hin- und her.

"Wer gegen mich ist, ist anti-italienisch"

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Keiner weiß, ob der Niedergang Berlusconis schon begonnen hat; wenn dies aber der Fall sein sollte, so wird es mit Sicherheit ein langsamer Prozess voller Tücken sein, wie der populistische Syllogismus des 'Cavaliere' zeigt: "Italien ist auf meiner Seite, was bedeutet, dass, wer gegen mich ist, anti-italienisch ist; wer schlecht über Berlusconi spricht, spricht schlecht über Italien." Oder auch: "Die ausländischen Zeitungen machen Italien lächerlich, aber die Demokratie, der Produktionsreichtum des Landes und der Ministerpräsident sind eins: Entweder man nimmt das Ganze, oder eben gar nichts."

Sieht man genau hin, handelt es sich um eine tiefgründige, lang existierende anti-italienische Einstellung, die den Anti-Berlusconismus der ausländischen Presse nährt. Der Ministerpräsident trägt mit seinen Machenschaften alles dazu bei, diese Einstellung zu bestärken; für die ausländischen Kommentatoren sind sie ein gefundenes Fressen: unter ihnen gibt es solche, die je nach Nationalsportart als Torero auftreten, mit dem Degen fuchteln oder den Fuchs jagen. Allerdings bleibt in allen Fällen die Beute Italien. Es mag sonderbar scheinen, aber ein weiteres Element mischt sich ins Spiel: der Neid auf ein Land, dass sich trotz allem zu helfen weiß.

Neid auf Italien

Wenn man die letzten fünfzig Jahre der europäischen Geschichte genau betrachtet, stellt man fest, dass ganz einfache und unerklärliche Dinge stattgefunden haben. Italien ist die siebtgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, und das, obwohl es einen Krieg verloren und zwanzig Jahre unter einer Diktatur gelebt hat. Im gleichen Zeitraum sind die jahrhundertealten Weltreiche Frankreichs und Englands zerbröckelt, genau wie ihre Träume von Ruhm und die Ansprüche, die ihre Weltpolitik begründeten. Ganz zu schweigen von Spanien, das sein Weltreich vor mittlerweile dreihundert Jahren verlor, sich dessen aber trotz des Immobiliencrashs immer noch nicht bewusst ist.

Ein Umstand entgeht den ausländischen Beobachtern: Zwischen dem Italien Berlusconis, das lauthals einen juristischen Staatsstreich durch die Medien beklagt, und dem seiner Gegner, die ein autoritäres Regime anprangern, steht die Mehrheit der Italiener, die empört zusieht, wie ihre Nation zum internationalen Gespött wird, die aber gleichzeitig skeptisch gegenüber den Argumenten der Regierung ist.

Der Anti-Italianismus ist kein neues Phänomen, denn die Krise des Nationalstaates wurde natürlich nicht von einer Abschwächung der seit Jahrhunderten überlieferten ethnischen Vorurteile begleitet, derentwegen man sich weiterhin wie Ölgötzen anstarrt. Es gibt europäische Landkarten, aber auch mentale, psychologische und anthropologische Karten, deren Grenzen, unsichtbar und dennoch starr, von Gemeinplätzen und uralten nie beschwichtigten Rivalitäten gezogen wurden.

ABDANKEN!

Laut der ausländische Presse kann Berlusconi nicht mehr regieren

Die Sexskandale, die das Sommerloch gefüllt haben, seine neuesten Probleme mit der Justiz - nachdem seine Immunität vom Obersten Gerichtshof widerrufen wurde, könnte er wegen Korruption verurteilt werden – und der von Silvio Berlusconi ausgeübte Druck auf die Medien, nicht darüber zu berichten, haben dazu geführt, dass mehrere ausländische Zeitungen seinen Rücktritt fordern. Der schlechte Ruf des Regierungschefs im Ausland, wo er wegen seiner Fehltritte und schmutzigen Witze verrissen wird, könnte nämlich auf die Glaubwürdigkeit ganz Italiens und seiner Handlungen zurückfallen. Als jüngstes Beispiel fordert Newsweek Berlusconis Rücktritt. Nachdem die New Yorker Wochenmagazin "Nero, die Borgia, Brot und Spiele, Ausschweifungen und Korruption" erwähnt hat, erklärt sie, dass es "für Berlusconi an der Zeit ist zu gehen", denn "Italien kann sich die Eskapaden seines Chef-Playboys nicht mehr leisten".

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