
Der Papst hat „diese außergewöhnliche Gelegenheit“ nicht genutzt, um „Glaube, Vernunft und Kultur zu vereinen“, bedauert El País, weil „er sich die Herkulesaufgabe stellt, gegen die unaufhaltsame Säkularisierung Europas zu kämpfen (dessen operationelles Zentrum eigenartigerweise Spanien sei)“. Es ist richtig, dass Spanien „nicht mehr das Licht von Trient ist“ (dem Konzil der Gegenreform im 16. Jahrhundert) und die Gläubigen weniger zahlreich sind als vorhergesehen, schreibt die Zeitung. Aber „Ratzinger übertreibt und hat eine gute Gelegenheit verpasst, Kirche und Staat einander wieder näher zu bringen“.
Wer war da bloß der Berater?
In Barcelona war die „päpstliche Botschaft die logische Weiterführung des kirchlichen Klageliedes über den Verlust der christlichen Wurzeln Europas und der möglichen Folgen“, kommentiert La Vanguardia. In derselben Ausgabe meint Enric Juliana, dass „der Katholizismus heutzutage über einen karolingischen Papst verfügt“, der eine „didaktische und keineswegs beleidigende Sprache“ spricht.
Dagegen schreibt die Süddeutsche Zeitung: Wer auch immer Benedikt XVI. bei seiner Spanienreise beraten hat, hat ihm einen Bärendienst erwiesen. Das Münchner Blatt verurteilt diesen „hanebüchenen und verantwortungslosen Vergleich“ mit den 1930er Jahren. Dies zeige erneut, dass der Vatikan nur allzu gern manches unter den Teppich kehre. Zum Beispiel, dass der „aggressive“ und „mitunter sogar mörderische“ spanische Klerus dem „siegreichen Franco-Faschismus die Steigbügel“ gehalten hat. „Warum Benedikt dies heraufbeschwört? Weil Spanien in sozialen Fragen in der Gegenwart angekommen ist. Homo-Ehen, Scheidungen in erträglichen Fristen, Abtreibung, Sexualkunde - das ist der Katalog der Sünden, die aus Sicht des Vatikans nicht dadurch gesühnt werden, dass Spaniens sozialistische Regierung die Säckel der Kirche gefüllt hat wie keine andere vor ihr.“
In Warschau warnt die Rzeczpospolitadagegen vor „dem gefährlichen Antiklerikalismus“. „Die Worte Benedikts XVI. zur Wiederkehr antiklerikaler Haltungen in Spanien wurden von der Mehrheit der europäischen Medien als Angriff gegen die Regierung José Luis Zapateros interpretiert. Tatsache ist, dass die spanischen Gläubigen seit sechs Jahren gute Gründe hatten, sich zu fühlen, als sei man über sie hergefallen und habe sie in die Enge getrieben.“
Die Tschechen habe Jan Hus lieber als Benedikt
Wenn „Politiker sich noch immer in Schweigen hüllen, darf man sich nicht darüber wundern, dass der Papst sich äußern muss“, urteilt die Rzeczpospolita. „Geht es um Rechtsradikalismus, sind wir äußerst sensibel. Dabei sollten bei uns auch die Alarmglocken klingeln, wenn die Linke extremistische Ansichten vertritt; ganz besonders, weil der politische Antiklerikalismus in Polen keine so außergewöhnliche Sache ist.“

Das tschechische Blatt weist darauf hin, dass die päpstlichen Worte in dem Land, in dem Jan Hus im 15. Jahrhundert die Kirche reformieren wollte, zur Wiederbelebung des „hussitischen Widerstandes“ führen könnten. Und „der Papst, der gerne mit der Wahrheit und seiner Auffassung von Freiheit argumentiert, könnte den alten und unvergesslichen [hussitischen] und anti-katholischen Wahlspruch nähren: Wahrheit siegt.“ (jh)
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