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Călin Georgescu, der Außenseiter, der sich in Rumäniens Demokratie eingeschlichen hat

Wer ist Călin Georgescu, der unerwartete Sieger der ersten Runde der rumänischen Präsidentschaftswahl? Warum haben die Rumäninnen und Rumänen für ihn gestimmt, und wie haben die Medien reagiert?

Veröffentlicht am 18 Dezember 2024

Im Gegensatz zu den pro-europäischen Protesten in Georgien und Maia Sandus hart erkämpftem Sieg in Moldawien zeigte Rumänien den regierenden Pro-EU-Politikerinnen und -Politikern die kalte Schulter: Die Wählenden stimmten in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 24. November in einer erschreckend hohen Zahl (22,94 %) für den ultranationalistischen Kandidaten Călin Georgescu. Zum Leidwesen des Geheimfavoriten für den zweiten Wahlgang annullierte das rumänische Verfassungsgericht die Wahl nur wenige Tage vor dem 8. Dezember, an dem die Rumäninnen und Rumänen ihr neues Staatsoberhaupt wählen sollten.

Wie Cristina Stoian von der rumänischen Nachrichtenplattform HotNews erläuterte, war die Abstimmung das Ergebnis von an die Wählenden gerichteten Fehlinformationen, ungleichen Chancen aufgrund digitaler Manipulation und mangelnder Transparenz bei der Wahlkampffinanzierung. Zu seiner Verteidigung bezeichnete Georgescu im rumänischen Fernsehsender Realitatea TV die Gerichtsentscheidung als einen „Coup“. Das Urteil des höchsten rumänischen Gerichts sorgte für Schlagzeilen in Publikationen auf der ganzen Welt, von The New York Times und The Guardian bis Al Jazeera und Politico. Letztere fragte „Was zum Teufel ist hier los?“

Warum haben die Rumäninnen und Rumänen für einen Extremisten gestimmt?

Genervt von der aktuellen Politiker*innenklasse bevorzugten viele Rumäninnen und Rumänen den rechtsextremen TikTok-Diskurs von Donald Trump- und Vladimir Putin-Bewunderer Călin Georgescu, der „alles verspricht, was die nationalistisch eingestellten Rumäninnen und Rumänen hören wollen: Dass wir eine westliche Kolonie sind, dass die multinationalen Konzerne uns ausbeuten, dass wir nichts mit dem Krieg in der Ukraine zu tun haben, dass das rumänische Volk Frieden will und ihn unter seiner Führung bekommen wird, aber auch, dass kalte Bäder die Seele und das Herz heilen, und dass Rumänien im Jahr 2024 zum Handwerk und zu den Traditionen zurückkehren muss, während der Rest der Welt robotisiert wird und in das Zeitalter der künstlichen Intelligenz eintritt“, wie PressOne-Redaktionsleiter Adrian Mihălțianu beobachtete.

Diese traditionalistische Einstellung, kombiniert mit einer allgemeinen Abneigung gegen Mainstream-Politiker*innen, scheint ein Publikum gefunden zu haben. Wie eine 27-jährige Mutter, zitiert von Andra Mureșan in Scena9, sagte: „Dies ist das zweite Mal, dass ich wähle. Ich habe unabhängig entschieden, ich habe für Călin gestimmt, obwohl ich nicht wirklich etwas über ihn wusste. Ich habe nur ein paar Interviews gesehen, ich habe nur gewählt, um nicht wieder für die gleichen Diebe zu stimmen.“

Die Wachhunde haben gebellt

Vor dem Sieg in der ersten Wahlrunde wussten die Rumäninnen und Rumänen nicht viel über Georgescu, aber dank der Presse ihres Landes erfuhren sie innerhalb von kürzester Zeit sehr viel mehr. Nach einem Lesemarathon der beiden von Georgescu veröffentlichten Bücher beschrieb der Forscher Iulian Bocai die Welt des Kandidaten. „Eine seltsame Kombination aus Mystizismus, Anti-Neoliberalismus, christlichem Umweltschutz, Legionärs-Nationalismus und antiwissenschaftlicher Verschwörungstheorie“, fasste Bocai in Scena9 zusammen. „Călin Georgescus Geist ist geprägt von Überzeugungen, die zu chaotisch sind, um auf einen gemeinsamen Nenner gebracht zu werden, obwohl ihr Zentrum vielleicht immer noch der christliche Nationalismus faschistischen Ursprungs ist, der seinen Refrain bildet.“

Zum Beweis genügt ein Blick auf Georgescus frühere Medieninterviews. Der beliebte Schauspieler Adrian Văncică wies auf seine wissenschaftsfeindlichen Ansichten hin. Er wird von Luiza Dobrescu von der rumänischen Zeitung Gândul zitiert. Neben vielen anderen Merkwürdigkeiten behauptete Georgescu, dass „der Mensch es nie zum Mond geschafft hat“, dass Softdrinks wie Pepsi Nano-Chips enthalten, die in unseren Körper gelangen, und dass eine Geburt per Kaiserschnitt eine Tragödie ist, weil der „göttliche Faden“ durchtrennt wird. Unter Bezugnahme auf die Legionärsbewegung sagte Georgescu, sie sei „die stärkste Essenz der Gesundheit, die aus dem rumänischen Volk kommt,“, wie Cornelia Mazilu von der rumänischen Zeitung Adevărul zitiert. „Die Legionärsbewegung ist eine Plage in der Geschichte Rumäniens. Attentate, Morde, [Waffenjustiz] und die Beschönigung des Holocausts“, so der Soziologe Gelu Duminică im gleichen Artikel von Mazilu. Georgescus faschistische Einstellung wird auch durch seine Abneigung gegen die Presse bestätigt.

„Ich habe in der Presse(WhatsApp)-Gruppe gesehen, dass ihr sehr verärgert über mich seid, weil ich keine Fragen beantworte. Ja, ich beantworte keine Fragen und werde es auch heute Abend nicht tun, weil ihr, die Presse, alle Antworten habt,“ sagte Georgescu, nachdem er die erste Wahlrunde gewonnen hatte, wie Maria Dinu von Adevărul hervorhob. Georgescu, dem vorgeworfen wurde, gegen die NATO und die EU zu sein und mit Putin zu sympathisieren, verteidigte sich mit den Worten: „Es gibt keinen Osten und keinen Westen, es gibt nur Rumänien“, wie die rumänische Presseagentur Agerpres zitiert. Außerdem bezeichnete Georgescu die NATO als „das schwächste“ Bündnis und erklärte seinen Wunsch, sie zu verlassen, wenn die Dinge so weitergehen, wie sie jetzt sind, wie Răzvan Filip, Reporter bei PressOne, feststellte.

Die Rumäninnen und Rumänen sind immer noch weitgehend EU-freundlich

Nachdem Georgescu die erste Runde der Präsidentschaftswahl gewonnen hatte, schrieb der russische ultranationalistische Ideologe Alexander Dugin laut der bulgarischen Nachrichtenplattform Mediapool auf X, dass „Rumänien bald ein Teil Russlands sein wird“. Doch der Wille der Rumäninnen und Rumänen widerspricht Dugin. Zwischen den beiden Runden der Präsidentschaftswahl stimmten sie auch bei der noch wichtigeren Parlamentswahl ab, die nicht abgesagt wurde. Obwohl die extremistischen Parteien zulegen konnten, erhielten die EU-freundlichen Parteien mehr als 50 % der Gesamtstimmen und arbeiten an der Bildung einer Regierung. Sie werden auch eine gemeinsame Kandidatin oder einen gemeinsamen Kandidaten für die nächste Präsidentschaftswahl vorschlagen, die noch nicht angekündigt ist.

Unterm Strich müssen Rumäniens Pro-EU-Politiker*innen schnell lernen, dass egoistische Strategien in eine Sackgasse führen. Wenn sie an der Macht bleiben und nicht die Demokratie selbst gefährden wollen, sollten sie in Erwägung ziehen, die Bedürfnisse ihres Volkes über ihre eigenen zu stellen. Das EU-freundliche Lager muss sich mehr Mühe geben!

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