Tjeerd 2025

Cas Mudde: Europa wird im Jahr 2025 lernen müssen, auf eigenen Beinen zu stehen

Die Europäische Union steht vor einem turbulenten Jahr 2025: Interne Spaltungen, eine geschwächte Führung in Frankreich und Deutschland und die Rückkehr Trumps belasten ihre Einheit. Ohne die Unterstützung der USA wird die EU bei globalen Krisen allein handeln müssen, meint der Rechtsextremismus-Experte Cas Mudde.

Veröffentlicht am 2 Januar 2025

Der Volksglaube besagt, dass die Europäische Union (EU) ihre größten Fortschritte in Krisenzeiten macht. Wenn das stimmt, wird 2025 zweifellos ein großartiges Jahr für „Europa“ werden. Leider wird dieser Glaube hauptsächlich innerhalb der Brüsseler Blase vertreten und beruht eher auf Wunschdenken als auf politischer Realität. Die meisten „Fortschritte“, die die EU während „Krisen“ erzielt, bestehen entweder darin, das Problem weiter zu verschieben oder eine Lösung zu finden, die unweigerlich ein zukünftiges Problem schafft.

Dass das nächste Jahr eine weitere „Krise“ oder zumindest eine große Herausforderung für die Union bringen wird, ist so gut wie sicher. Am Ende des Jahres 2024 haben die Regierungen in Frankreich und Deutschland, zusammen der sogenannte „Motor der europäischen Integration“, ihre parlamentarische Mehrheit verloren und funktionieren als Lame-Duck-Regierungen.

Im Februar 2025 finden in Deutschland entscheidende Wahlen statt. Die Umfragen weisen zwar die christdemokratische CDU-CSU als klaren Sieger aus, aber die Koalitionsbildung wird angesichts der Stärke der rechtsextremen AfD – einer der wenigen rechtsextremen Parteien, die sich in Europa noch einem Cordon sanitaire gegenübersehen – schwierig sein. Im Gegensatz dazu hält der französische Präsident Emmanuel Macron hartnäckig an Koalitionsregierungen fest, für die es keine tragfähige parlamentarische Mehrheit gibt.

Wie so oft, wenn es innenpolitisch keine Fortschritte gibt, wendet Macron seine Aufmerksamkeit der Außenpolitik zu, insbesondere der Europapolitik. Unter Umgehung Deutschlands, insbesondere im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, sucht er zunehmend Verbündete in Mittel- und Osteuropa, vor allem in Polen. Die neue Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, die estnische antirussische Politikerin Kaja Kallas, unterstützt ihn dabei eifrig. Doch trotz des Enthusiasmus für eine weiterhin harte Haltung gegenüber Russland und der starken Unterstützung für die Ukraine bei einigen politischen Führenden der Region kommt von hier auch der stärkste Widerstand (insbesondere aus Ungarn und der Slowakei).

Die wahre Herausforderung für die EU kommt natürlich aus Washington, D.C., wo Donald Trump am 20. Januar an die Macht zurückkehrt. Trump kann zwar keine Vision für eine alternative Weltordnung vorweisen, aber für seinen politischen Ruf setzt er stark darauf, der Ukraine „Frieden zu bringen“ – und dafür zu sorgen, dass die USA keine Milliarden Dollar mehr an dieses Land zahlen. In Bezug auf Europa ist Trump der Anti-Joe Biden, ein Transatlantiker der Ära des Kalten Krieges, der selbst mit vielen in seiner eigenen Partei und Wählerschaft nicht übereinstimmte. Für Trump ist Europa vor allem ein Konkurrent und erst an zweiter Stelle ein Verbündeter. Auch die NATO ist für ihn mehr ein Schutzschild als ein kollektives Sicherheitsbündnis.


Die EU verliert sowohl ihren stärksten ausländischen Unterstützer als auch ihren stärksten ausländischen Beschützer in einer Zeit, in der sie stärker gespalten ist denn je und ihrem traditionellen „Motor“ der Treibstoff ausgeht.


Die Rückkehr von Trump wird die EU sicherlich verändern, aber ob zum Besseren, bleibt abzuwarten. Erstens wird sie rechtsextreme „Trump-Flüsternde“ wie die Premierminister*innen Viktor Orbán in Ungarn und Giorgia Meloni in Italien stärken. Zweitens wird sie zu einer vollständigen Normalisierung von Trump, seinem unverschämten Verhalten und seinen Ideen führen – was sich bereits in den Handlungen von Macron und anderen, wie dem niederländischen Premierminister Dick Schoof, zeigt. Dies wird die EU nicht nur in Fragen wie Klimawandel und Einwanderung weiter nach rechts drängen, wie es bei der letzten Europawahl der Fall war, sondern wird wahrscheinlich auch die Unterstützung für die Ukraine schwächen.

Noch wichtiger ist jedoch, dass die Ersetzung Bidens durch Trump die EU selbst in unglaublicher Weise belasten wird. Auch wenn Trump keine aktive Sabotage an der EU betreibt, indem er die Mitgliedstaaten gegeneinander ausspielt, oder an der EU-Außenpolitik durch die Unterstützung von EU-Gegnern, wird der Rückzug der USA aus Europa ein riesiges politisches Vakuum hinterlassen, das die EU und ihre Mitgliedstaaten füllen müssen. Es wird zwar selten erwähnt, aber die USA haben maßgeblich zur Gestaltung und zum Erfolg der EU beigetragen, indem sie europäische Maßnahmen und Entscheidungen sowohl während des Kalten Krieges als auch danach initiiert und unter Druck gesetzt haben.

Die EU verliert sowohl ihren stärksten ausländischen Unterstützer als auch ihren stärksten ausländischen Beschützer in einer Zeit, in der sie stärker gespalten ist denn je und ihrem traditionellen „Motor“ der Treibstoff ausgeht. Es ist nicht allzu schwierig, sich durch Krisen zu schlagen, was die EU die meiste Zeit getan hat – vor allem, wenn man sich hinter dem breiten Rücken einer Supermacht verstecken kann. Aber jetzt muss die EU nicht nur eine eigene Außen- und Sicherheitspolitik entwickeln, sondern auch die finanziellen und militärischen Mittel, um sie zu unterstützen. Und das alles, während die extreme Rechte in der Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten sowie in allen wichtigen EU-Institutionen eine wichtige Rolle spielt und im Weißen Haus ein offenes Ohr findet.

Der auffälligste Aspekt bei all dem ist, dass die Zeichen schon seit fast einem Jahrzehnt auf Sturm stehen. Man kann Trump für vieles die Schuld geben, aber man kann ihm nicht vorwerfen, dass er nicht klar sagt, was er will und was nicht. Seine erste Regierung hat bereits gezeigt, dass er ernst meint, was er sagt, und dass die „Erwachsenen im Raum“ bestenfalls Schadensbegrenzung betreiben können. Doch wie es sich für Europa gehört, hat die EU das Thema in den Hintergrund gedrängt und schnell wieder vergessen, als Biden die transatlantischen Beziehungen wieder in die Blütezeit des 20. Jahrhunderts zurückbrachte. Die europäischen Politiker*innen sind mit internen Streitigkeiten auf europäischer und nationaler Ebene beschäftigt. So haben sie sich dazu entschlossen, den Elefanten im Raum zu ignorieren, selbst wenn er ihnen mit einem Grinsen ins Gesicht starrt.

Während die Debatten über die „Strategische Autonomie“ zum wiederholten Male die Brüsseler Blase beherrschen und Hunderte von Artikeln und Meinungsäußerungen ihre Bedeutung erörtern, hinkt die EU wieder einmal der Zeit hinterher. Ohne Vision, intern gespalten und geschwächt, wird sie gezwungen sein, eine viel wichtigere Rolle in den großen Konflikten der Welt zu spielen, von Gaza und Syrien bis hin zu Russland und der Ukraine. Sie wird weitgehend allein und sofort handeln müssen, ohne Rückendeckung durch die USA und ohne mehrere Jahre warten zu können. In der Tat eine düstere Aussicht ... Es sei denn, man lebt in der Brüsseler Blase und glaubt, dass die EU in Krisenzeiten gedeiht.

🤝 Dieser Artikel wurde im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts Come Together veröffentlicht

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