Presseschau Aus dem hohen Nord(West)en

Grönland: Nein zu Dänemark, Nein zu den USA … wie wäre es mit Europa?

Wieder einmal möchte Donald Trump die Insel in der Arktis kaufen. Dadurch steigt das Risiko von Desinformationskampagnen, die sich gegen Grönland richten. Journalist*innen, die herausfinden wollen, was die Grönländer selbst wirklich wollen, müssen sich mit einer Flut an Fake News und dubiosen Umfragen herumschlagen.

Veröffentlicht am 14 Februar 2025

Ich hatte Grönland erst vor kurzem verlassen und nicht erwartet, so schnell dorthin zurückzukehren. Die Insel ist zwar etwas größer als Frankreich, Deutschland, Polen, Italien und Spanien zusammen, sie hat aber nur rund 60.000 Einwohner. Die Frage ist: gehört Grönland überhaupt zu Europa? Der Nordische Rat meint dazu: „Grönland ist zwar ein Teil des nordamerikanischen Kontinents, geopolitisch gehört die Insel jedoch zu Europa“.

 Aber eine ganze Reihe von Faktoren – die alle mit Donald Trumps neuerlichem Angebot zusammenhängen, eine Insel zu erwerben, die zurzeit ein halbautonomes Gebiet in Dänemark ist – scheint eine Presseschau zum Thema Grönland zu rechtfertigen.

Nach einem „hitzigen“ Telefonat zwischen der dänischen Premierministerin Mette Frederiksen und Trump, in dem der kürzlich in sein Amt eingeführte US-Präsident sich bei Frederiksen über Dänemarks Weigerung gegenüber dem Verkauf Grönlands beschwerte, gab es unterschiedliche Meinungen dazu, wie Europa richtig darauf reagieren solle.


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Einerseits war Frederiksen in Berlin, Paris und Brüssel, um für die „Einigkeit der EU“ zu werben, und hat einen 2 Milliarden Dollar schweren „Sicherheitsplan für die Arktis“ ins Leben gerufen. Andererseits haben die EU und die NATO sich laut Berichten der Financial Times darauf geeinigt, zu Grönland zu schweigen, nachdem Dänemark seine Verbündeten aufgefordert hatte, auf Donald Trumps Drohungen zur Übernahme der Insel in der Arktis nicht zu reagieren“. Infolgedessen „gab es […] keine Bemühungen um eine Koordination der Aussagen der NATO oder der EU zur Verteidigung Dänemarks oder Grönlands.“

1982 stimmten die Grönländer mit einer sehr dünnen Mehrheit (52 % zu 48 %) für ein Verlassen der europäischen Gemeinschaft (EG). Eine im Dezember 2024 vom Nassiffik Centre for Foreign & Security Policy veröffentliche Umfrage zeigt jedoch, dass heute „60 % der Bürger Grönlands für einen Wiedereintritt in die EU stimmen würden (gegenüber 40 % im Jahr 2021)“, so ein Bericht der New Union Post. Rasmus Leander Nielsen, der Leiter von Nassifik, gibt zu bedenken, dass Grönlands derzeitiger Status als Übersee-Territorium „für den Erhalt von Struktur- und Bildungsfonds und auch für grüne Energie und Bergbau gut geeignet ist“. Dennoch wäre er nach eigener Aussage „überrascht“, wenn die Grönländer beschließen würden, in den Beziehungen den nächsten Schritt zu gehen und der EU beizutreten. Die New Union Post erläutert, dass einer EU-Erweiterung stets das „zwischen Island, Grönland und Norwegen strittige Problem der Fischereiquoten und der gemeinsamen Fischereipolitik der EU“ im Wege steht.

Auf die Frage, ob die Grönländer wollen, dass ihre Insel ein Teil der USA wird, ist die Antwort ein „überwältigendes und sehr eindeutiges“ Nein, so eine neue Umfrage, die von Verian für die dänische Zeitung Berlingske und für Sermitsiaq (eine der beiden großen landesweiten Zeitungen in Grönland) durchgeführt wurde. Daniel Tideman und Mia Gleerlup Fallentin berichten in Berlingske, dass „85 Prozent der Grönländer auf die Frage, ob sie wollen, dass ihr Land das Königreich Dänemark verlassen und stattdessen Teil der USA werden sollte, mit Nein antworten. Nur 6 Prozent der Grönländer möchten zugunsten der USA aus dem Königreich Dänemark austreten, und 9 Prozent sind unentschlossen.“ Die Umfrage ergab auch, dass „45 Prozent der Grönländer […] Donald Trumps Interesse an Grönland als Bedrohung betrachten und nur 8 Prozent einen US-Pass annehmen würden, wenn sie sich jetzt zwischen der dänischen und der US-Staatsbürgerschaft entscheiden müssten“.

Anfang Januar recherchierte Julie Schneider, ebenfalls für Berlingske, zu einer anderen Umfrage, die vom US-Institut Patriot Polling durchgeführt worden war und aus der hervorging, dass 57 Prozent der Grönländer einen Beitritt zu den USA befürworten. Schneider fand heraus, dass diese Umfrage zwischen dem 12. und dem 15. Januar 365 Mal von russischsprachigen und mit dem russischen Staat verbundenen Medien und Nachrichtenagenturen wie Sputnik, Ria Novosti und Tass zitiert worden war. José Torreblanca, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Europäischen Rat für Auswärtige Beziehungen erzählte Schneider, dass Russland versuche, Grönland zu nutzen, um einen Keil zwischen die USA, Europa und das transatlantische Bündnis zu treiben.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunksender DR in Dänemark warnt, dass „das Risiko einer Desinformationskampagne gegen Grönland zugenommen hat“, seit Trump erneut sein Interesse an der Insel bekundet hat. Gefälschte Artikel, die angeblich von Grönlands öffentlich-rechtlichem Rundfunk stammen, ein falsches Facebook-Profil der grönländischen Premierministerin Múte Bourup Egede, eine gefälschte Nachricht, in der behauptet wird, der dänische links-grüne Politiker Karsten Hønge habe Russland um Hilfe gebeten, um eine Abspaltung Grönlands zu verhindern: das sind nur ein paar Beispiel für die Desinformationen über Grönland aus den letzten Wochen. Wie Thomas Prakash, Frederik Gatzwiller und Alexzander Lundquist Thomsen in ihrem Artikel darlegen, wurde erst vor einem Monat in einem Bericht festgestellt, dass es keine Beweise für eine ausländische Einflussnahme auf der Insel gibt. Die jüngste Zunahme der Desinformation fällt auch mit den bevorstehenden Parlamentswahlen in Grönland zusammen, die noch vor dem 6. April stattfinden sollen. "Beim letzten Mal haben etwa 27.000 wahlberechtigte Personen an diesen Wahlen teilgenommen, so dass es nur wenige Stimmen braucht, um das Ergebnis zu beeinflussen", schreiben die Journalisten.

Signe Ravn-Højgaard, Soziologin an der Universität Grönland, erläutert: „In Grönland haben wir das Problem, dass nur zwei Medienhäuser mit relativ wenigen Journalist*innen alle möglichen Themen in allen Formaten abdecken müssen. Deshalb können sich nicht so viele Leute mit Faktenchecks und der Recherche zu Behauptungen befassen, und Desinformation kann sich in Grönland verbreiten.Laut dem dänischen Europaabgeordneten Morten Løkkegaard (Renew) könnte die EU-Mitgliedschaft den nötigen „Schutz“ bieten, wenn sich die Grönländer wirklich gegen Trumps Vorstöße wehren wollen. Im Gespräch mit Seb Starcevic in Politico Europe bemerkt Løkkegaard, dass Grönland – als unbeabsichtigte Folge von Trumps Angebot – die Wiederaufnahme von Gesprächen über engere Beziehungen zu Europa ernsthafter in Betracht ziehen könnte. "Wenn man einen politischen Wandel will, könnte dies der notwendige Anstoß sein, damit die Grönländer einen neuen Blick auf die Geschehnisse in Europa werfen". Løkkegaard argumentiert auch, dass Grönland „mit seiner starken Demokratie und seinem Wohlfahrtssystem ein natürlicher Kandidat für die EU-Mitgliedschaft ist“.

Natürlich gibt es noch eine dritte Meinungsumfrage, die ebenso wichtig ist wie die oben genannten: Die Einstellung der Grönländer zur vollständigen Unabhängigkeit. Wie Mark Leibovich  in seiner höchst unterhaltsamen Geschichte für die US-Zeitschrift The Atlantic erwähnt, wurde die letzte zuverlässige Umfrage 2019 von der Universität Kopenhagen durchgeführt. Die Umfrage ergab dass 68 Prozent der Grönländer es begrüßen würden, wenn Grönland irgendwann einmal völlig unabhängig wäre (nur 39 Prozent würden für die Unabhängigkeit stimmen, wenn die Abstimmung morgen stattfinden würde, verdeutlicht Lisa Munck Seidelin in ihrem Artikel für TV 2). Dies scheint sich in der politischen Landschaft des Landes widerzuspiegeln: „Das Parlament“, schreibt Leibovich, „besteht aus 31 Mitgliedern, die, soweit ich das beurteilen kann, die Grönländische Unabhängigkeit in 31 verschiedenen Nuancen befürworten“. Die grönländische Parlamentarierin Aaja Chemnitz und Premierministerin Egede bekräftigten beide:  „Wir wollen nicht dänisch sein, wir wollen nicht amerikanisch sein. Wir wollen Grönländer sein“.

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