Das von Correctiv aufgedeckte Treffen von Rechtsradikalen in Potsdam vor einem Jahr hat gezeigt, welche Brisanz das völkische Konzept der „Remigration“ hat. Und es ist aktueller denn je. Denn trotz der Diskussionen hat die AfD gerade erst auf dem Parteitag in Riesa den Begriff „Remigration“ in ihr Wahlprogramm gehievt.
Was genau mit diesem Begriff gemeint ist, erklärt Correctiv in diesem Beitrag. Dabei beruft sich die Redaktion auf von ihnen verantwortungsvoll geschützte Quellen. Außerdem werden Informationen zitiert, die in Potsdam und in Videos vor allem von dem rechtsextremen Aktivisten Martin Sellner geäußert wurden, der als ideologischer Kopf der Identitären Bewegung gilt.
Was wurde in Potsdam gesagt?
Am 25. November 2023 trafen sich Rechtsextreme, völkische Ideologen, hochrangige AfD-Funktionäre, Mitglieder der CDU sowie Unternehmer und Juristen, um „das Gesamtkonzept der (...) Remigration“ von Martin Sellner zu diskutieren.
Im Verlauf des Treffens schlug Sellner vor, die Politik der „Remigration“ auf Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und „nicht-assimilierte Staatsbürger“ anzuwenden. Dabei sagte er, dass aus seiner Sicht die „nicht-assimilierten“ Staatsbürger (Deutsche mit migrantischem Hintergrund, die nicht ausreichend an das deutsche Volk angepasst sind), das „größte Problem“ seien. Seine Lösung: Man müsse einen „hohen Anpassungsdruck“ auf die Menschen ausüben, zum Beispiel über „maßgeschneiderte Gesetze“. „Remigration“ sei nicht auf die Schnelle zu machen, es handele sich um „ein Jahrzehnteprojekt.“
Was bedeutet „maßgeschneiderte Gesetze“ im historischen Kontext?
Die deutsche Geschichte kennt ein Beispiel, bei dem maßgeschneiderte Gesetze auf Staatsbürger angewendet wurden. Das waren die Entwicklungen bis hin zu den Nürnberger Gesetzen von 1935, welche die jüdischen Staatsbürger in Deutschland entrechteten (...) und ihre Vernichtung vorbereiteten. Wenn Sellner von „maßgeschneiderte[n] Gesetze[n]“ für die „Remigration“ von „nicht-assimilierten Staatsbürgern“ als „Jahrzehnteprojekt“ spricht, ist dieser historische Blick notwendig.
Fraglos fangen die „maßgeschneiderten Gesetze“ bei Sellner harmlos an. Er wählt in in einem der Videos des rechtsextremen Magazins Compact einen Vergleich mit der restriktiven Migrationsgesetzgebung in dem von Sozialdemokraten regierten Dänemark, um die vermeintliche Harmlosigkeit seiner Pläne zu belegen.
Was ist der völkische Hintergrund von Sellners Weltbild?
Martin Sellner bezieht sich in seinen Vorträgen und Büchern immer wieder auf völkische Begriffe und Ideen; zudem beruft er sich in seinem 2023 erschienenen Buch Regime Change von rechts ausdrücklich auch auf den Kronjuristen der NS-Zeit, Carl Schmitt. Darin erklärt Sellner den Erhalt der „ethnokulturellen Identität“ zum Hauptziel der rechten Bewegung, die gegen einen „Bevölkerungsaustausch“ zu schützen sei. Bei dem Ausdruck „Bevölkerungsaustausch“ handelt es sich um ein zentrales, aus Überfremdungsängsten abgeleitetes Trugbild der völkischen Rechten. Die völkische Ideologie geht davon aus, dass eine Gemeinschaft nur aus dem „Eigenen“ bestehen könne, weshalb das „Fremde“ verdrängt werden müsse.
Wie bewerten Gerichte Sellners Konzept der „Remigration“? Wäre es mit dem Grundgesetz vereinbar?
Mehrere Gerichtsentscheidungen lassen den Schluss zu, dass die „Remigration“ von „nicht assimilierten Staatsbürgern“ auf Basis eines „ethnisch-kulturellen Volksbegriffs“ nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Das Oberverwaltungsgericht Münster lehnte am 13. Mai 2024 die Beschwerde der AfD ab, vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet zu werden. In der Begründung findet sich folgender Satz: „Verfassungswidrig und mit der Menschenwürde unvereinbar ist allerdings die Verknüpfung eines ,ethnisch-kulturellen Volksbegriffs’ mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage gestellt ist.“
Stellt Sellners Konzept der „Remigration“ die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage?
Das Grundgesetz garantiert die rechtliche Gleichstellung aller Staatsangehörigen, unabhängig von Herkunft und Geschlecht. Diese Gleichstellung wird in Frage gestellt, wenn bestimmte Staatsbürger über Begriffe wie „nicht-assimiliert“ abgeteilt werden, für die dann eigens „maßgeschneiderte Gesetze“ entworfen werden sollen, damit sie das Land verlassen. Sellner selbst spricht in einem Video vom 27. Dezember 2023 nicht von einzelnen Menschen, sondern von Gruppen. Er spricht von etwa zwölf Millionen Staatsbürgern mit migrantischem Hintergrund. Von ihnen kämen „fünf bis sechs Millionen“, so Sellner in dem Video, für eine „Remigration möglicherweise“ infrage.
In welchem Zusammenhang steht die historische Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus in Deutschlands mit Sellners „Politik der Remigration“?
Sellner sagt (in einem Video auf der Plattform rumble.com), dass „eine Politik der Remigration“ nur möglich sei, wenn es eine „andere Erinnerungspolitik“ gäbe und „Nationalmasochismus“ überwunden werde. Ohne eine „Liebe zum Eigenen“ sei das nicht möglich. In seinem Buch „Regime Chance von rechts“ beschreibt er ebenfalls die Verbindung zwischen dem völkischen Ziel und der Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus. Er schreibt, das „rechte Hauptziel“ sei: „Wir müssen unsere ethnokulturelle Identität bewahren.“ Die „auf Traumatisierung und nationalen Selbsthass ausgerichtete Geschichtserziehung“ müsse weichen.
Was unterscheidet das Konzept der „Remigration“ von der Forderung nach geregelter Migration der CDU/CSU?
Die völkische Ideologie ist die Brandmauer zwischen AfD und CDU/CSU. CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat sich zu Deutschland als „Einwanderungsland“ bekannt, so auch auf X am 11. April 2023. Die Union will strengere Regeln für die Migration und fordert Sanktionen für Einzelfälle. Sellners Remigrationskonzept betrifft aber nicht nur „Einzelfälle“, sondern pauschal Gruppen von Menschen.
Was bedeutet, dass die AfD die „Remigration“ in ihr Programm für die Bundestagswahl aufgenommen hat?
Auf dem Parteitag in Riesa übernahm die AfD das Wort „Remigration“ in ihr Wahlprogamm. Alice Weidel sagte dort „Wenn es dann ‘Remigration’ heißen soll, dann heißt es eben ‘Remigration’.“
Den Begriff aus ihrem Mund zu hören, überrascht, denn im März 2024 sagte sie, wie das Onlinemedium Pioneer berichtete, in einem Hintergrundgespräch: „Die Verwendung des Begriffs halte ich für unklug.“ Nun aber hat sie eine Kehrtwende vollzogen und gemeinsam mit der AfD den Begriff übernommen. Die Partei verwendet diesen Begriff in ihrem Wahlprogramm zwar nur für eine Verschärfung des Asyl- und Aufenthaltsrechts, und nicht wie Sellner pauschal für mehrere Gruppen, darunter auch für Staatsbürger mit migrantischem Hintergrund. Allerdings ist der Begriff „Remigration“ kaum von der völkischen Aufladung durch Sellner, aber auch durch AfD-Politiker wie Björn Höcke sowie anderen, zu trennen.
Justus von Daniels, Jean Peters und Anette Dowideit haben zu diesem Artikel beigetragen.
👉Originalartikel auf Correctiv
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