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Die unerträgliche Leichtigkeit der Freiberuflichkeit: Eine Reise durch die Prekarität des europäischen Journalismus

Schlechte Bezahlung, kein Schutz und eine ungewisse Zukunft: Freiberufliche Journalistinnen und Journalisten in Europa kämpfen ums Überleben und haben nicht einmal Zeit, für ihre Rechte einzutreten. Erfahrungsberichte aus Bulgarien, Polen, der Tschechischen Republik, Kroatien, Griechenland und Albanien.

Veröffentlicht am 23 September 2025

Zwischen 70 und 200 Euro in Bulgarien; zwischen 200 und 250 Euro in Kroatien; zwischen 25 und 125 Euro in Polen; zwischen 50 und 130 Euro in Italien; rund 100 Euro in Albanien: Dies sind die Mindest- und Höchstsätze, die freiberufliche Journalistinnen und Journalisten in den einzelnen Ländern pro Artikel erzielen können. Es handelt sich nicht um offizielle Zahlen, sondern um Zahlen, die das Resultat der Arbeit von Journalistinnen und Journalisten des Pulse-Projekts sind (der erste Teil dieser Serie wurde hier veröffentlicht).

Während es in Frankreich eine Honorarordnung für Freiberufler*innen gibt, überlassen die meisten europäischen Länder die Höhe der Bezahlung dem Markt, den Medien, dem guten (oder schlechten) Urteil der Redaktionen … Die Freiberufler*innen sind der Gnade eines schrumpfenden und unregulierten Marktes ausgesetzt, ohne einen festen Mindestbetrag, der es erlauben würde, zu niedrige Honorare abzulehnen und den Zeitungen zu untersagen, sie anzubieten.

Petra Dvořáková von Deník Referendum beschreibt die Situation der Freiberufler*innen in der Tschechischen Republik: „Es gibt zwar keine Daten über Durchschnittsvergütung, aber 83 Prozent halten ihre Vergütung für unzureichend. Ein weiteres großes Problem sind ‚scheinselbständige‘ Journalistinnen und Journalisten, die als Selbständige registriert sind, aber in der Regel nur für einen Arbeitgebenden arbeiten.“

Das Durchschnittsgehalt im Land liegt bei 1.611 Euro brutto pro Monat. „Die meisten Journalistinnen und Journalisten, die ich kenne, verdienen weniger“, sagt Dvořáková und fügt hinzu, dass „die Preise für freie Mitarbeitende pro Artikel untragbar sind: zwischen 40 und 200 Euro pro Artikel, selbst wenn es sich um einen Bericht handelt, für den man eine Woche braucht.“

Und wie sieht es mit der Rechtshilfe aus? „Die wenigen Fälle, in denen ich Rechtsbeistand erhalten habe, betreffen einige der größeren Medien. Den Beistand erhielt ich erst in der Endphase, nachdem ich Texte, Fotos oder Multimedia-Inhalte geschickt hatte“, erklärt Martin*, ein 32-jähriger Journalist, der sich auf Migrationsdynamik und Menschenrechte spezialisiert hat. „Es ist offensichtlich, dass die Organisation mehr daran interessiert ist, ihren Ruf zu schützen, als daran, den freien Mitarbeitenden Schutz zu bieten“, fügt er hinzu.

Gering bezahlt, hoch motiviert

„Journalismus ist alles andere als gut bezahlt, und es gibt keine etablierten Kanäle zur Finanzierung unabhängiger Untersuchungen oder von Vor-Ort-Berichten“, sagt die bulgarische Journalistin Emilia Milcheva. „Deshalb werden die sozialen Netzwerke mit Podcasts überschwemmt: Es ist viel einfacher, die Öffentlichkeit mit Geschichten zu überfluten, die von anonymen Quellen finanziert werden, als die Menschen mit Informationen zu versorgen, die auf gründlicher Recherche beruhen.“

Nach 30 Jahren Erfahrung bei mehreren überregionalen Zeitungen, unter anderem als Chefredakteurin, ist Milcheva seit fünf Jahren freiberuflich tätig und schreibt regelmäßig für die Deutsche Welle, Euractiv und bulgarische Zeitungen. Sie weist darauf hin, dass „die Medien sich selten verpflichtet fühlen, ihre redaktionelle Politik öffentlich zu machen. Viele Zeitungen werden als Privatunternehmen geführt, und freie Journalistinnen und Journalisten müssen sich oft den Forderungen der Anzeigenkundinnen und -kunden und den Interessen der Eigentümer*innen beugen“. Was die Unterstützung im Falle einer Klage angeht, so bestätigt Milcheva, dass es diese nicht gibt, und sagt, dass „dies nicht nur Freiberufler*innen in eine verwundbare Position bringt, sondern auch das allgemeine Gefühl der Unsicherheit verstärkt und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Medien untergräbt.“


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Das Gehalt von Journalistinnen oder Journalisten, die für eine Zeitung oder Nachrichtenseite in Sofia arbeiten, liegt zwischen 750 und 1.000 Euro pro Monat, während Fernsehjournalistinnen und -journalisten zwischen 1.250 und 2.500 Euro pro Monat verdienen. Die erfahrensten unter ihnen, die Führungspositionen innehaben, können gelegentlich zwischen 3.000 und 5.000 Euro pro Monat verdienen. Solche Fälle sind jedoch extrem selten, wie Krassen Nikolov von Mediapool erklärt.

Nikolov fügt hinzu, dass die Journalistinnen und Journalisten in Sofia weniger verdienen als das Durchschnittsgehalt in der Stadt, das bei 1.150 Euro liegt, Tendenz steigend. Zusammen mit der niedrigen Bezahlung machen die Arbeitsbelastung, die Verantwortung und die Risiken des Berufs diesen für junge Menschen unattraktiv. Das Fehlen von Gewerkschaften oder eines journalistischen Gemeinschaftsgefühls spielt ebenfalls eine große Rolle für das Gefühl der Unsicherheit unter bulgarischen Journalistinnen und Journalisten, schlussfolgert Nikolov.

Sotirios Triantafyllou, Präsident der Panhellenischen Journalistengewerkschaft und Universitätsdozent, erklärt Efsyn die aktuelle Situation: „Der Journalismus wurde von der Wirtschaftskrise hart getroffen, die zu Gehaltskürzungen und Arbeitsplatzverlusten geführt hat. Obwohl die Arbeitslosigkeit inzwischen gesunken ist, sind die Gehälter nach wie vor niedrig, und im privaten Mediensektor gibt es keine Tarifverträge.“ In Griechenland sind auch Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten ein besonders großes Problem: „Eines der Hauptprobleme, mit denen Journalistinnen und Journalisten konfrontiert sind, sind SLAPPs (Klagen, die darauf abzielen, sie zu zensieren oder einzuschüchtern), und es gibt ständige Sorgen um die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit. Sogar Morde sind zu verzeichnen (z.B. die Fälle von Sokratis Giolias und Giōrgos Karaivaz).“

Falsche und hybride Freiberufler*innen

Wie verdienen freiberufliche Journalistinnen und Journalisten eigentlich ihren Lebensunterhalt? Für viele ist Aufhören keine Option. Es gibt diejenigen wie Sara*, die es schaffen, sich von einem Auftrag zum nächsten durchzuschlagen, während sie sich um Zuschüsse bewerben und meistens abgelehnt werden. Daneben gibt es diejenigen, die neben ihrer freiberuflichen Tätigkeit „etwas anderes“ machen. Miteva*, die freiberuflich in Kroatien tätig ist, produziert Audio-Dokumentationen, hält Vorlesungen an einer journalistischen Fakultät, leitet medienpädagogische Programme, arbeitet mit internationalen Journalismus-Teams zusammen und kooperiert mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Künstlerinnen und Künstlern, Aktivistinnen und Aktivisten sowie internationalen Organisationen.

„Es wäre schwierig, meinen Lebensunterhalt allein mit Schreiben zu verdienen“, erklärt sie. Auch für Martin* „ist es absolut notwendig, eine weitere Einkommensquelle zu haben“. Er und viele seiner Kolleginnen und Kollegen sind „gezwungen, Gelegenheitsjobs in Restaurants, Bars und Cafés anzunehmen oder an der Rezeption in Herbergen und Hotels zu arbeiten, als Köchinnen oder Köche, Kellner*innen, oder sogar als Musiker*innen oder Künstler*innen.“

Joni* erklärt, dass es in Albanien Journalistinnen und Journalisten gibt, die „in der Kommunikation, der Übersetzung, bei Projekten von Nichtregierungsorganisationen oder bei der Produktion von Inhalten für internationale Medien arbeiten.“ Anna*, eine Reporterin in Polen, musste ihre Eltern um Hilfe bitten, „als ich für einen Monat Vollzeitarbeit etwa 215 Euro verdiente, meine Miete aber 250 Euro betrug und ich nicht gleichzeitig einen anderen Job annehmen konnte.“

Auch in Bulgarien, Albanien und Griechenland müssen Freiberufler*innen immer zusätzlich etwas anderes machen, so die befragten Fachleute. Außerdem zählt sie niemand oder weiß überhaupt, wie man sie zählt, da es keine klare und standardisierte Definition ihres Beschäftigungsstatus gibt, geschweige denn eine Vereinigung oder ein Register.

Der erste Schritt beim Zählen ist, dass man selbst zählt

Diese Unklarheiten, diese unscharfen Grenzen, lassen Raum für ebenso unscharfe Arbeitsbeziehungen. Eine Freiberuflerin oder ein Freiberufler ist man erst, wenn man am Ende des Monats eine Rechnung verschickt (die immer an dieselben Kunden gerichtet ist). In Wirklichkeit hat man die Pflichten, Belastungen und den Rhythmus von Beschäftigten, aber keinen der Vorteile. „Alles geschieht ohne Vertrag und ohne Versicherung“, betont Joni, „was es noch unmöglicher macht, sich in Albanien allein mit freiem Journalismus durchzuschlagen. Die europäischen Freiberufler*innen, die daran gewöhnt sind, sich in einer transparenten, aber unermesslichen Verletzlichkeit zu bewegen, blicken in eine ungewisse Zukunft.

Laut Vesela*, einer 27-jährigen bulgarischen Freiberuflerin, die sich auf Datenjournalismus spezialisiert hat, „könnte die Demokratisierung von Inhalten eine große Zukunft versprechen, aber es hängt alles davon ab, wie Redakteurinnen und Redakteure und Menschen in Machtpositionen Freiberufler*innen sehen“. Martin* sieht für sich und seine Kolleginnen und Kollegen „ohne einen Job oder eine parallele Tätigkeit“ eine düstere Zukunft. Er wünscht sich spezielle Organisationen für jede Stadt oder jedes Land, die „helfen, die Zahlungsstandards, die Wertschätzung der Arbeit und den Respekt vor den Beiträgen zu regeln“.

„Wir geben denjenigen eine Stimme, die keine haben, aber wir vergessen uns selbst, obwohl wir uns eigentlich zusammentun sollten, um für unsere Rechte zu kämpfen“, sagt Anna*, die der künstlichen Intelligenz mit Angst und Pessimismus entgegensieht. „Sie wird uns ersetzen, genauso wie die kommerziellen Kanäle auf TikTok und Instagram.“

Joni wirft auch die Frage des Pluralismus und der Qualität der Informationen auf: „In Albanien sind die Freiberufler*innen bedroht, aber das wachsende Interesse internationaler Medien und unabhängiger Plattformen könnte zu formellen Verträgen, angemessener Bezahlung und der Achtung des Urheberrechts führen.“

Keine dieser drei wesentlichen Bedingungen gibt es derzeit in Kroatien, wo Miteva* „standardisierte Tarife, wie es sie für Übersetzungen gibt, fordert, damit Freiberufler*innen nicht jedes Mal von Neuem über die Tarife verhandeln und sich mit einer mickrigen Bezahlung zufriedengeben müssen.“

Nach Ansicht der kroatischen Journalistin besteht eine mögliche Lösung darin, Freiberufler*innen in den öffentlichen Dienst einzubeziehen, so wie bei einigen selbständigen Künstlerinnen und Künstlern die Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge vom Staat übernommen werden. „Stattdessen wird der Journalismus nicht als öffentliches Gut anerkannt“, betont sie.

Während der industriellen Revolution sagte der Physiker Lord Kelvin (1824-1907) „Was man nicht messen kann, kann man nicht verbessern“. Immer mehr Freiberufler*innen sagen jetzt dasselbe. Ist das ein Zeichen für eine Revolution? Vielleicht, aber nur, wenn Freiberufler*innen nicht zu sehr mit dem Überleben beschäftigt sind. Wie Miteva* sagt: „Manchmal hat man nicht wirklich Zeit, für seine Rechte einzutreten“.

🤝 Dieser Artikel wurde im Rahmen des thematischen Netzwerks von PULSE verfasst, einer europäischen Initiative zur Förderung grenzüberschreitender journalistischer Kooperationen. Mitwirkende: Dina Daskalopoulou (Efysn, Griechenland), Krassen Nikolov (Mediapool, Bulgarien) und Petra Dvořáková (Deník Referendum, Tschechische Republik)
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