Neben einer Werkstatt für Karosserie- und Lackierarbeiten – „alle Marken“ heißt es auf dem Schild – in einem Gewerbegebiet an der Avenida de Europa, am Rande der portugiesischen Stadt Elvas, stehen an einem Freitag Mitte August mehrere Beschäftigte zum Rauchen und Kaffeetrinken draußen.
Sie sind Callcenter-Beschäftigte von Marktel und Covisian, zwei in Spanien tätigen Hotline-Anbietern.
Aus dieser Ecke Portugals, in nur 11 km Entfernung von Badajoz, einer kleinen spanischen Stadt in Grenznähe, werden täglich Tausende von telefonischen Anfragen aus Spanien beantwortet. Vielen Nutzenden ist nicht bewusst, dass sie, wenn sie von Spanien aus die Unternehmen anrufen, mit denen sie einen Vertrag haben, in Wirklichkeit ein drittes Unternehmen kontaktieren und die Gesprächspartnerin oder der Gesprächspartner in Portugal sitzen könnte.
In einem Café neben den Büros bedienen zwei Frauen in Schürzen, die problemlos zwischen Spanisch und Portugiesisch wechseln, die Beschäftigten der Callcenter, die dort ihre Pause verbringen: „Com cartão, por favor“, „Mit Karte, bitte“, rufen sie. Am Eingang stehen eine Spanierin, eine Portugiesin und ein Kubaner, 27 und 26 Jahre alt, die seit „knapp zwei Jahren“ in der Firma arbeiten, wie sie erklären. „Es war mein erster Job, als ich Kuba verließ“, so der junge Mann. Sie sagen, dass sie in Badajoz leben und in Portugal arbeiten. „Mit der spanischen Zeitzone, die eine Stunde voraus ist“, präzisiert die Spanierin. „Und der Lohn?“, fragen wir. „Der Lohn ist portugiesisch“, lächelt sie, „wesentlich niedriger.“
„Portugal ist ein Paradies für Callcenter geworden“, sagt Jesús Díaz, ein 30-Jähriger aus der spanischen Extremadura, der seit acht Jahren in Portugal arbeitet. In seinem Fall in Lissabon, „immer als Callcenter-Mitarbeiter“. Er sagt, dass dies für die Unternehmen günstig ist, „weil die Löhne niedrig und die Schutzmaßnahmen für Beschäftigte gering sind“.
Der Mindestlohn in Portugal beträgt seit der Erhöhung vom 1. Januar 820 Euro. In Spanien sind es 1050 Euro. Mehr als 200 Euro pro Monat, die in den 11 km, die die Extremadura von Elvas trennen, verschwinden. „Außerdem gibt es in Portugal im Gegensatz zu Spanien den Beruf der Callcenter-Beschäftigten nicht, deshalb existiert kein Tarifvertrag“, fährt Díaz fort.
Der junge Mann aus der Extremadura fand seinen ersten Job im Callcenter „durch Mundpropaganda“ in seiner Heimatstadt Almendralejo. „Für mich war es bequemer, nach Lissabon zu gehen als nach Madrid“. Er erzählt, dass einige Freunde aufgrund der Angebote, die sie auf Infojobs gesehen haben, nach Portugal gegangen sind. Außer dass man Spanisch spricht, wurde nicht viel mehr verlangt. „Das Vorstellungsgespräch fand entweder in Badajoz oder online statt, und dann wurden wir ins Callcenter geschickt“. In diesen acht Jahren hat Díaz an mehreren Kampagnen mitgewirkt: Netflix-Kundenservice, Vodafone Spanien ... „Es ist von allem ein bisschen dabei“, sagt er und zählt auf: „Manche arbeiten für Microsoft, andere für Orange ...“.
Giganten des lukrativen Sektors der „Kontaktzentren“ wie der französische multinationale Konzern Teleperformance, die spanische Gruppe Konecta, das spanische Unternehmen Marktel und die französische Sitel stellen in Portugal ausländische Arbeitskräfte ein, die in ihrer Muttersprache Anrufe in ihre jeweiligen Länder tätigen. „Zurzeit gibt es hier Tausende von spanischen Beschäftigten“, betont Díaz aus Lissabon.
Díaz arbeitet für das Unternehmen Teleperformance, das allein in Lissabon 11 Zentren unterhält und mit 14 500 Beschäftigten zum drittgrößten privaten Arbeitgeber in Portugal geworden ist. „Es gibt Abteilungen aus allen Ländern, und sie haben uns hier konzentriert“, fährt Díaz fort. In der Rubrik ‚work with us‘ auf der Website von Teleperformance Portugal finden sich derzeit unter anderem Stellenangebote für Ukrainer*innen, Griechinnen und Griechen, Türkinnen und Türken und Italiener*innen. „Es ist kein Wunder, dass die Rentenkassen in Spanien leer sind, wenn wir in einem fremden Land Beiträge zahlen, um für spanische Unternehmen zu arbeiten“, sagt er.
In Spanien leben, in Portugal arbeiten
Jeden Morgen fährt José Luis Durán, 40, von Badajoz (Extremadura, Spanien), wo er lebt, nach Elvas in Portugal, wo er für den portugiesischen Mindestlohn arbeitet. „Ich wohne vorübergehend bei meiner Mutter, weil ich mir keine Wohnung leisten kann“, sagt er. Normalerweise fährt er mit einer Kollegin, um Benzin zu sparen. Er hat eine Ausbildung im Bereich Marketing und ist Techniker. Nachdem er nach einem Stipendium in Brüssel keine Stelle in seinem Beruf gefunden hatte, arbeitet er seit vier Monaten in einem Callcenter. „Letztendlich akzeptiert man die Arbeit, die man bekommt“.
Durán ist bereits zum vierten Mal in einem Callcenter beschäftigt. Zuvor war er für Marktel in Elvas, für Vodafone und Teleperformance in Lissabon und für Netflix tätig. Er sagt, dass der Stress sein Privatleben beeinträchtigt hat. Er telefonierte mit bis zu 60 Personen am Tag und „manchmal waren die Anrufe anstrengend“. Als er nach Hause kam, war ihm nicht nach Reden zumute. „Ich verstehe, dass die Anrufenden wütend sind, weil sie seit zwei Monaten auf einen Techniker warten, das ist nichts Persönliches, aber es hinterlässt Spuren, wenn man beleidigt wird und gesagt bekommt, man sei nutzlos oder etwas noch Schlimmeres“.
Durán beklagt, dass es in Badajoz „nur Jobs in Bars, Einkaufszentren oder als Beamter gibt“. Die Extremadura ist die Gemeinschaft mit dem größten Bevölkerungsverlust in Spanien. Im Jahr 2024 beträgt der Rückgang 14 Personen pro Tag, so das Statistikinstitut Ine (Instituto Nacional de Estadística). „Die Leute gehen weg, weil es nichts gibt“, so Durán weiter. „Wir warten seit 30 Jahren auf den Hochgeschwindigkeitszug nach Madrid, und wir werden weitere 30 Jahre auf die Autobahn von Badajoz nach Cáceres warten.“
„Ausreden“, um die Löhne nicht zu erhöhen
Durán sagt, er sei stolz auf seine Arbeit, „aber wir wollen davon leben können“. Derzeit arbeitet er bei Marktel für die internationale Kampagne für Gesundheit und technische Unterstützung eines großen Versicherungsunternehmens und betont, wie wichtig seine Arbeit ist. So halfen er und seine Kolleginnen und Kollegen beispielsweise einer Gruppe von spanischen Reisenden bei der Suche nach einem Krankenhaus in Madagaskar.
Seit zwei Monaten ist er auch Gewerkschaftsvertreter bei Marktel und zum ersten Mal Mitglied der portugiesischen Gewerkschaft der Callcenter-Beschäftigten (STCC). Ihr gehören mehrere Spanier*innen an, die ihre Situation anprangern: „Einmal bat das Unternehmen um freiwilligen Urlaub, und da sich niemand meldete, wurden vier Beschäftigte entlassen“, erzählt Durán.
„Die Gewerkschaft hat auch von vielen Fällen von Menschen mit Angstzuständen und psychischen Erkrankungen gehört“, stimmt Jesús zu, der ebenfalls Gewerkschaftsmitglied ist. Er gibt zu, dass sich die Bedingungen seit seiner ersten Zeit als Callcenter-Mitarbeiter in Portugal im Jahr 2016 verbessert haben. Damals erhielt er 560 Euro. Im Jahr 2018 gab es einen Streik bei Konecta in Lissabon, der „die Situation ein wenig verbesserte“. Die Beschäftigten des Callcenters Teleperformance streikten im Februar erneut und befinden sich in Verhandlungen. „Das Unternehmen hat zu einem Trick gegriffen: Anstatt die Gehaltserhöhung anzuwenden, hat es den Betrag für die Bezahlung der Wohnung abgezogen“, sagt er. So verdienen die Beschäftigten statt des Mindestlohns nur 760 EUR.
Zu den niedrigen Löhnen kommen die Lebenshaltungskosten hinzu, die in Portugal ständig steigen. Viele Spanier*innen, die in Elvas arbeiten, leben in der Extremadura. In Lissabon, wo die Mieten im Durchschnitt über 1.700 Euro liegen und damit höher sind als in Madrid und Berlin, helfen einige Unternehmen bei der Wohnungssuche.
Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Mercer belegt Lissabon auf der Rangliste der teuersten Städte in Europa für Expats den 38. Platz. Angeführt wird das Ranking von London, Kopenhagen, Wien und Paris.
Díaz erzählt, dass ihm das Unternehmen, als er bei Konecta arbeitete, bei der Wohnungssuche half. „Sie haben uns in Löcher gesteckt und die Kosten nicht übernommen“. Heute, bei Teleperformance, haben sich die Bedingungen verbessert: Das Unternehmen kümmert sich um den Papierkram und ein Teil des Lohns wird für die Unterkunft verwendet. „Man kann in einer sehr guten Wohnung landen, wie die, in der ich jetzt wohne, mit vier Personen, aber es gibt auch Fälle, in denen zehn oder zwölf Beschäftigte in einer großen Wohnung mit nur einer Küche leben“.
„Es reicht für mich, um über die Runden zu kommen, aber ich bin 30 Jahre alt, und mit einem Gehalt von etwa 700 Euro kann ich mir unmöglich vorstellen, mit einer Frau zusammenzuziehen und Kinder zu haben“.
Díaz verweist auf den Fall spanischer Familien, „bei denen Vater und Mutter nach Portugal kamen, um in Callcentern zu arbeiten und so zu leben“.
Auf die Frage nach den niedrigen Löhnen erklärte Pedro Gomes, CEO von Teleperformance, in einem Interview mit den portugiesischen Portal Sapo, dass die von seinem Unternehmen gezahlten Löhne „höher als der Landesdurchschnitt“ seien, mit einem Durchschnittsgehalt von 1.600 Euro. „Wie hoch sind bei einem solchen Durchschnitt die Gehälter am oberen Ende der Skala?“, scherzt Díaz.
„Im Grunde müssen wir nur den Hörer abnehmen, es ist also sehr einfach, den Dienst ins Ausland zu verlegen“, sagt Díaz. „Früher befanden sich die Callcenter hauptsächlich in Lateinamerika, während sie jetzt in Portugal angesiedelt sind“. Die Standortverlagerung geht weiter. „So wurde zum Beispiel Netflix in Portugal geschlossen und nach Casablanca in Marokko verlegt, wo es billiger ist“, erklärt er.
Neben Portugal sind Bulgarien, Irland, Estland und Zypern die Hochburgen des telefonischen Kundenservice in Europa.
Bulgarien ist mit einem Mindestlohn von 460 Euro brutto der billigste Arbeitsmarkt in der EU. „Hinter der verführerischen Geschichte des ‚Silicon Valley Südosteuropas‘ verbirgt sich eine komplexe Realität“, schreibt Hugo Dos Santos.
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Dieser Artikel wurde im Rahmen des Pulse-Projekts erstellt.
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