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COP29 in Aserbaidschan im Schatten von Korruption und Repression  

Dass die COP29-Klimakonferenz ausgerechnet in Aserbaidschan stattfindet, wo massiv Erdgas gefördert und Menschenrechte verletzt werden, stößt auf heftige Kritik in der europäischen Presse.

Veröffentlicht am 19 November 2024

Der Name Gubad Ibadoghlu mag vielen Lesern unbekannt sein, aber er ist der Grund, warum die aserbaidschanische Regierung mit aller Macht gegen Klimaaktivisten vorgeht.

Ibadoghlu, Gastwissenschaftler an der London School of Economics, wurde 2023 von der Polizei zusammengeschlagen und verhaftet, nachdem er die Öl- und Gaspolitik des Landes kritisiert hatte. Während seiner Inhaftierung wurde ihm eine lebenswichtige medizinische Behandlung verweigert, dann wurde er in den Hausarrest entlassen und muss nun mit einer Haftstrafe von bis zu 17 Jahren rechnen.

Die tschechische Grünen-Abgeordnete im Europäischen Parlament, Markéta Gregorová, schlug Ibadoghlu kürzlich für den Sacharow-Preis für geistige Freiheit vor, der 1988 zum ersten Mal an Nelson Mandela verliehen wurde. „Es ist wichtig, dass wir den Kampf der aserbaidschanischen Opposition im Vorfeld der COP29 in Baku anerkennen und unterstützen“, sagte sie zu ihren Kolleginnen und Kollegen, die schließlich für eine Resolution zur Beendigung der Gasabhängigkeit der EU von Aserbaidschan stimmten.


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Die Europaabgeordneten sind nicht die Einzigen, die die seit langem andauernde in- und extraterritoriale Repression von Aktivisten, Journalisten, Oppositionsführern und anderen Bürgern (darunter auch aus der EU) durch das aserbaidschanische Regime verurteilten. Eine Unterdrückung, die bereits im Vorfeld des UN-Klimagipfels, der noch bis zum 22. November in Baku stattfindet, spürbar zugenommen hat.

Und damit nicht genug: Vergangenes Jahr hatte Aserbaidschan eine groß angelegte Militäroffensive gegen die armenische Region Bergkarabach gestartet und trotzdem hat das Land nun versucht, den UN-Klimagipfel als „Friedens-COP“ darzustellen.

In einem Bericht stellt das Chatham House Politikinstitut daher die Aussichten auf ein sinnvolles Gipfelergebnis in Frage. „Die von fossilen Brennstoffen abhängige Wirtschaft und die Unerfahrenheit des Landes im Bereich Umweltschutz lassen vermuten, dass es ihm schwerfallen wird, eine glaubwürdige Führungsrolle zu übernehmen. (...) Auch die autoritäre Politik des Landes, die sich jeglicher Kritik widersetzt, steht im Widerspruch zu den Grundsätzen von Transparenz und Zusammenarbeit, die dem UN-System zugrunde liegen‘, betonen die Wissenschaftler Ruth Townend, Laurence Broers, Arzu Geybulla, Glada Lahn, Dr. Jody La Porte, James Nixey und Ľubica Polláková.

So wichtig es ist, UN-Klimagipfel in der ganzen Welt zu organisieren, um die Entwicklungsländer in den Verhandlungsprozess mit einzubinden, hält die europäische Presse Aserbaidschan jedoch für einen ungeeigneten Austragungsort, weil Klimaschutz und Menschenrechte untrennbar miteinander verbunden seien.

„Der Kampf gegen den Klimawandel darf nicht getrennt werden von der Achtung der Menschenrechte“, fordert der ehemalige französische Außen- und Europaminister Bernard Kouchner in Le Monde. “Während Frankreich mehr denn je in politischer Unsicherheit versinkt, sollten wir die großen internationalen Termine nicht aus den Augen verlieren, gerade jetzt, wo Ökologie die Priorität unserer Regierenden sein sollte”, meint Kouchner und fordert, dass sich die internationale Gemeinschaft „ihren Widersprüchen stellen” müsse:

„Wie kann sie die Durchführung einer so entscheidenden Veranstaltung in einem Land rechtfertigen, das gegen das Völkerrecht verstößt, massiv von Kohlenwasserstoffen abhängt und die Menschenrechte mit Füßen tritt, indem es ohne triftigen Grund 23 armenische Geiseln festhält (...)? Nicht einmal ein Jahr nach der ethnischen Säuberung der 120.000 Armenier in Bergkarabach, hat Aserbaidschan den Zuschlag für die Ausrichtung einer so prestigeträchtigen Veranstaltung wie der COP29 erhalten. Diese Wahl wirft sowohl aus humanitärer als auch aus ökologischer Sicht Fragen auf. Die Klimakonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) tut so, als hätten die Ereignisse der letzten Monate nicht stattgefunden und stellt Aserbaidschan damit einen Blankoscheck aus, um weiter gegen internationales Recht zu verstoßen.”

Über die besorgniserregende Situation in Aserbaidschan hat Thomas Latschan vergangenen Juni für die Deutsche Welle berichtet

“Aserbaidschan zählt zu den korruptesten Ländern der Welt. Auch außerhalb des eigenen Landes wurde Bestechung bereits gezielt eingesetzt - im Europarat. Dort ist Aserbaidschan seit 2001 Mitglied. Elf Jahre später wurde bekannt, dass Baku jährlich bis zu 40 Abgeordnete des Europarates eingeladen und mit teuren Gastgeschenken überhäuft hatte (...) Dass diese auch von der Europäischen Union bislang nicht schärfer kritisiert wird, liegt nach Ansicht von Beobachtern auch daran, dass Aserbaidschan zunehmend als wichtiger Öl- und Gaslieferant wahrgenommen wird. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine will sich die EU unabhängiger von russischem Öl und Gas machen. 2022 unterzeichnete Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen deshalb mit Ilham Alijew eine Absichtserklärung, derzufolge Brüssel seine Gasimporte aus Aserbaidschan in den folgenden Jahren verdoppeln will”, berichtet Latschan. 

Auch Emmanuel Clévenot und Justine Guitton-Boussion von Reporterre bezeichnen Aserbaidschan als „Diktatur, die Umweltschützer unterdrückt“. In einem von den beiden französischen Journalisten geführten Interview erklärt die Human Rights Watch-Beauftragte Myrto Tilianaki: “Die Finanzierung einer vom Staat unabhängigen Organisation ist fast unmöglich. Und wenn die Behörden feststellen, dass ein Aktivist dennoch Geld aus dem Ausland erhalten hat ... dann wird er des Schmuggels beschuldigt.”

Damian Carrington, Umweltredakteur des Guardian widmet sich in seinem Artikel einer Studie von Global Witness der zufolge „Dutzende von offensichtlich gefälschten Konten in den sozialen Medien Aserbaidschan bei der Ausrichtung der Cop29 unterstützen“. „Die Konten wurden größtenteils Ende Juli eingerichtet (...), als sieben der zehn meistgeklickten Beiträge mit den Hashtags #COP29 und #COP29Azerbaijan kritisch gegenüber der Rolle Aserbaidschans im Konflikt mit Armenien waren. Auch der Hashtag #stopgreenwashgenocide war zu diesem Zeitpunkt populär. Im September hatte sich dies jedoch geändert, und die 10 am häufigsten aufgerufenen Beiträge stammten von diesem Zeitpunkt an alle vom offiziellen Cop29-Aserbaidschan-Konto.

Aber was kann nun angesichts dieser Tatsachen unternommen werden? Die EU könnte (zumindest) einen politischen Häftling Aserbaidschans retten“, meint die Menschenrechtsanwältin und Tochter von Ibadoghlu, Zhala Bayramowa. Sie forderte die EU auf, ihrem Vater den Sacharow-Preis zu verleihen, der ihm de facto die Ausreise aus Aserbaidschan ermöglichen würde, was angesichts der Repressionen in dem Land dringend erforderlich sei: “Wenn ein Professor der London School of Economics am helllichten Tag auf der Straße entführt werden kann, wer ist dann (hier) überhaupt noch sicher?“, fragt sie in einem Interview mit dem EUobserver.

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ECF, Display Europe, European Union

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