Presseschau Vereinigtes Königreich

Das große Köpferollen bei der BBC

Veröffentlicht am 12 November 2012 um 15:31

Die BBC steckt in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Am Wochenende fand der dramatische Rücktritt von Geschäftsführer George Entwistle statt, nach nur 54 Tagen im Amt. Entwistle reichte die Kündigung ein, nachdem am Freitag deutlich wurde, dass die BBC einen ehemaligen Politiker der konservativen Partei, Lord McAlpine, fälschlicherweise in eine Pädophilie-Geschichte verwickelt hatte. Das war der zweite Skandal innerhalb der letzten Wochen: Vorher hatte sich herausgestellt, dass die derzeit berühmteste BBC-Sendung, Newsnight, Anschuldigungen wegen Kindesmissbrauch gegen den nun verstorbenen TV-Star Jimmy Savile vertuscht hatte.

Die britische Presse analysiert heute Morgen nun fleißig einen weiteren Rücktritt in der Chefetage der BBC, nämlich den von Nachrichtenchefin Helen Boaden. Weiter wettert sie gegen die Auszahlung von 450.000 Pfund (562.000 Euro) an Entwistle. The Independent bemerkt, der Unfug der letzten Wochen sei ein „wahres Geschenk“ für die „Feinde der BBC“ gewesen.

Viele Angehörige der Rechten gehören dazu. Sie lechzen seit Jahren nach einer gehörigen Kritik des Unternehmens für das, was sie für pro-europäische, Tory-feindliche und generell schwache, aufgeweichte Vorurteile zugunsten der Linken halten.

Die Gefahr ist nun, dass eine Art Hexenjagd in Gang kommt. Jeder Rücktritt schürt den Verdacht, dass ein anderer, noch unwürdigerer Mitarbeiter im Amt gelassen wurde. Dadurch nehmen die Forderungen nach noch mehr Opfern zu.

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Solche Ansichten äußert Londons konservativer Bürgermeister Boris Johnson, der in seiner wöchentlichen Kolumne im Daily Telegraph die BBC für ihren „so schäbigen, schwachsinnigen“ Journalismus angreift. Jene, die ihn praktizieren „interviewen sich nun gegenseitig in einer grotesken Selbstmitleidsorgie.“

Die BBC hat es McAlpine zu verdanken, dass sie kriechen und katzbuckeln muss, bis die Öffentlichkeit es versteht. Jeder, der mit dem „Pädophilie“-Segment von Newsnight zu tun hatte, sollte sofort hinausgeworfen werden.

Unterdessen warnt The Guardian:

Man muss die Kirche im Dorf lassen. Ja, dies ist eine echte Krise für die BBC. Manche der Verfehlungen in Journalismus und Management können nur schwer entschuldigt werden. Doch sie ist immer noch eine vertrauenswürdige, zuverlässige und international anerkannte Organisation, die überleben und unter der richtigen Leitung auch florieren wird.

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