Spielplatz-Bunker in Tirana, Albanien.

Der Abschied von Hoxhas Bunkern

Im Kommunismus sollten tausende Betonbauten das Land vor einer möglichen Invasion schützen. Heute dienen sie entweder als Partybunker, in denen man seine Unschuld verliert, oder werden zerstört, um den Stahl herauszuziehen und so die Wirtschaft anzukurbeln.

Veröffentlicht am 3 August 2012 um 14:27
Stelios Lazakis  | Spielplatz-Bunker in Tirana, Albanien.

Man stapelt Reifen im Bunker und zündet sie an. Oder aber man legt einen Sack kaliumhaltigen Dünger dazu. Der wirkt wie eine rudimentäre Bombe und lässt den Bunker in die Luft gehen.

„Bricht der Beton, hauen wir noch ein paar Mal mit dem Hammer drauf bis wir zum Stahl vordringen“, erklärt Djoni, ein Bauarbeiter im zentralalbanischen Berat. „Manchmal stoßen wir auf zwei Tonnen. Das Kilo können wir für 15 Cent verkaufen. An einem Bunker lassen sich also 300 Euro verdienen! Hin und wieder muss man fünf Tage hart arbeiten, bis der Beton nachgibt. Das meiste Geld steckt sich sowieso mein Chef in die Tasche. Ich verdiene zwischen 20 und 30 Euro pro Bunker.“

Aber Djoni beschwert sich nicht. Seit einigen Jahren explodiert das Baugewerbe in Albanien. Aus diesem Grund ist der Stahlpreis in schwindelerregende Höhen gestiegen. Daran ändert nicht einmal die Krise in Italien und Griechenland etwas. Dort arbeiten hunderttausende albanische Einwanderer. Allerdings stimmt, was die Experten sagen: Dieser Aufschwung im Baugewerbe hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun, sondern ist einzig und allein an den Bau von Wolkenkratzern gebunden, die von der italienischen Mafia zur Geldwäsche in Auftrag gegeben wurden – einige von ihnen sind halbleer.

„Wir bekommen die Krise nicht zu spüren“, sagt Djoni: „Der Regierungschef rühmt sich, dass Albanien – neben Polen – das einzige europäische Land ist, das nicht in der Rezession steckt.“

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Auch Djoni hat bereits mehrere Jahre in Griechenland gearbeitet: Im Hafen von Piräus. Allerdings hatte er irgendwann von dem dauernden Versteckspiel mit den Grenzposten genug, die immer wieder albanische Arbeiter ohne Arbeitsgenehmigung fassten. „Ich gehöre einfach nicht mehr zum jungen Gemüse“, meint er und führt fort: „Hier verdiene ich zwar weniger, habe aber auch weniger Ausgaben. Schlussendlich kommt es also aufs gleiche heraus.“

Tagsüber baut Djoni Häuser, abends bessert er sich sein Gehalt mit den Bunkern auf. Mit dem verdienten Geld konnte er seine Wohnung renovieren und seine Kinder auf gute Schulen schicken.

750.000 Bunker für 3 Millionen Einwohner

Hunderttausende Bunker verschandeln die Landschaft Albaniens: Von Shkodra nahe der montenegrinischen Grenze bis zur Stadt Konispol, die nur einen Katzensprung von Griechenland entfernt ist.

Gjergjis Bunker ist von oben bis unten grün gestrichen und die Aufschrift „Bunker Bar“ zieht jeden Blick auf sich. Obwohl der Strand der Hafenstadt Shengjin zu wünschen übrig lässt, verliert Gjergji nicht die Hoffnung: „Wir haben zwar nicht viel Sand, dafür aber Pilze, die auf dem Beton wachsen: Das sind unsere Steinpilze von Onkelchen Hoxha. Aus der ganzen Welt kommen Leute, um sie zu bestaunen!“

Gjergji bittet mich, hereinzukommen und erlaubt mir, durch die Schießscharte zu schauen, die meinen Blick nach Italien lenkt [auf der anderen Seite der Adria]. Er zeigt mir die Eisenstange, die er ordentlich in seinem Versteck verstaut hat. „Einst half sie mir, die betrunkenen Kunden davon ‚zu überzeugen’, ihre Rechnung zu bezahlen. Nun schlage ich damit diejenigen in die Flucht, die den Bunker abreißen wollen. Ich lebe hier seit zwölf Jahren und lasse niemanden hier Hand anlegen.“

Die albanischen Bunker sind zweifelsohne einzigartig. Schätzungsweise haben die Kommunisten 750.000 davon gebaut. Und das Land zählt nur 3 Millionen Einwohner. „Zu kommunistischen Zeiten war alles, was mit den Bunkern zu tun hatte, streng geheim. In der Übergangsphase sind dann die ganzen Dokumente abhanden gekommen. Deshalb ist niemand mehr in der Lage, ihre genaue Zahl zu bestimmen“, erklärt die junge Politologin Ina Izhara, die, wie viele junge Menschen hier, zu einer Hälfte in Albanien, zur anderen in Italien lebt.

Die ganze Welt wollte Krieg gegen uns führen

Die Bunker befinden sich in Städten, Hinterhöfen, auf Friedhöfen und Spielplätzen. Andere liegen in den Bergen und wieder andere halb im Meer. Landwirte müssen ihnen ausweichen, wenn sie ihre Felder bestellen. Fährt man mit dem Zug von Tirana nach Durrës kann man mehrere Dutzend von ihnen sehen.

Warum man sie gebaut hat? Enver Hoxha, der Albanien von 1944 bis zu seinem Tode 1985 allein regierte, befürchtete einen Angriff. „Er litt unter Verfolgungswahn“, meint Ina Izhara. „Jeden verdächtigte er, in Albanien einfallen zu wollen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte er sich mit Jugoslawien verbündet, sich aber kurze Zeit später mit Tito gestritten und daraufhin freundschaftliche Bande mit der UdSSR geknüpft. Als man begann, die stalinistische Diktatur zu verurteilen, näherte sich [Hoxha] immer mehr China an. In seinem Glauben, die ganze Welt habe sich gegen ihn verschworen, bereitete er sich auf einen Krieg vor, für den er die Bunker bauen ließ.“

„Hier kommt man übrigens auch hin, um seine Unschuld zu verlieren“, scherzt Ina Izhara. „Nach einer durchgetanzten Nacht suchte ein Bekannter für ein Abenteuer mit einem Mädchen unlängst den Bunker in Saranda auf. Es war wohl alles andere als angenehm! Die Temperaturen dort waren sehr niedrig und versehentlich ist er in Scheiße getreten.“

Jahrelang hat niemand Hoxhas Bunker angerührt. „Bis die Serben begannen, den Kosovo zu bombardieren“, erinnert sich Caushi. „Einige Bomben wurden über Albanien abgeworfen. Ein paar von ihnen trafen die Bunker. Von da an war uns klar, dass diese Bauten, die bei Atomangriffen eigentlich als Schutzbunker dienen sollten, wie Kartenhäuser zusammenfielen! Für viele Menschen war das ein richtiger Schock. Sie begriffen, dass diese vermeintliche kommunistische Stärke nur leeres Gerede, eine Lüge, eine Illusion war.“

„Erster Schritt auf unserem geistigen Weg aus dem Kommunismus“

Ab diesem Zeitpunkt begann das zweite Leben der Bunker – ihr bürgerliches Dasein. Die Menschen verloren den Respekt vor den Bunkern. Auf dem Land verwendete man sie als Schweineställe, in den Städten bis vor kurzem noch als Kühlschränke. Seit die Albaner sich aber Kühlschränke leisten können, sind die Bunker zu öffentlichen Müllhalden geworden.

In der Hauptstadt verhält es sich dagegen ganz anders: Blokku, ein Stadtteil Tiranas, war zu Zeiten des Kommunismus abgesperrt und strengstens überwacht. Hier wohnte die Crème de la Crème: Enver Hoxha, seine Minister und seine Genossen. Jedes Gebäude hatte seine eigene unterirdische Zufluchtsstätte aus Beton.

„Heutzutage ist Blokku der Stadtteil, in dem man abfeiert“, erzählt die Jura-Studentin Kamelja mit einem Lachen auf den Lippen. „In diesen ehemaligen Schutzräumen gibt es wirklich coole Bars und Discos.“

Im Stadtzentrum Tiranas steht ein ganz anderer Bunker: Eine große Pyramide, die Hoxhas Stieftochter Pranvera zu seinem Tode errichten ließ. Es sollte seine Grabstätte sein und für Schulklassen, Soldaten und Arbeiter zur Pilgerstätte werden. Heutzutage steht die Pyramide leer und graffitiverschmiert. Die mutigsten Skateboardfahrer vergnügen sich auf ihren äußerst steilen Wänden. „Auf dem Weg zur Arbeit komme ich hier vorbei“, erzählt Gjergi Ndrecën, der unter Hoxha wegen „feindlicher Propaganda“ sieben Jahre im Gefängnis saß.

„Was sollten wir mit dieser Pyramide machen?“ – „Das Gleiche wie mit den Bunkern! Dünger und Reifen hineinlegen und das ganze anzünden. Die Zerstörung der Bunker ist der erste Schritt auf unserem geistigen Weg aus dem Kommunismus. So lange wir in einem von den Kommunisten erschaffenen Raum leben, wird uns auch das Schreckgespenst Hoxha beherrschen.“ (jh)

Dieser Artikel wurde für das EU-kofinanzierte Projekt Next in Line geschrieben.

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