Jahrestreffen des European Professional Women's Network, Nizza, Frankreich, 2009. (EPWN)

Der Faktor Frau

Acht Jahre nach dem norwegischen Gesetz, laut welchem 40 Prozent der Vorstandsmitglieder aller Firmen Frauen sein müssen, betrachtet Nicola Clark vom International Herald Tribune den Impuls zur Geschlechtergleichstellung in den Unternehmen anderer europäischer Länder, wo die Regierungen heute ähnliche Gesetz erwägen.

Veröffentlicht am 4 Februar 2010 um 15:36
Jahrestreffen des European Professional Women's Network, Nizza, Frankreich, 2009. (EPWN)

Arni Hole erinnert sich gut an die Welle des Erschreckens, die 2002 durch Norwegens Geschäftswelt ging, als die Regierung ein Gesetz vorschlug, laut welchem 40 Prozent aller Vorstandsmitglieder in Unternehmen Frauen sein müssten. "Da wurde Zeter und Mordio geschrien", erzählt die Generaldirektorin des Ministeriums für Gleichberechtigung. "Es war eine richtige Schocktherapie."

Sogar in dieser überzeugt egalitären Gesellschaft – 80 Prozent der Norwegerinnen arbeiten außer Haus und die Hälfte der aktuellen Minister sind Frauen – schien der Gedanke radikal. Nicht unbedingt durch seine Zielsetzung, aber allein schon durch das schiere Ausmaß der Veränderungen, die er erforderte. Damals übten Frauen in Norwegen weniger als sieben Prozent der Aufsichtsratmandate im privaten Sektor aus. Knapp fünf Prozent der Vorstandsvorsitzenden waren Frauen. Nach monatelangen hitzigen Debatten wurde die Maßnahme mit erheblicher Mehrheit vom Parlament bestätigt. Firmen in Staatsbesitz hatten die Bedingungen bis 2006 zu erfüllen, börsennotierte Unternehmen bis 2008.

Vorstandsposten - der entscheidende Schachzug

Fast acht Jahre später liegt der Anteil an weiblichen Direktoren bei den rund 400 betroffenen Firmen über 40 Prozent, während Frauen bei den 65 größten Privatunternehmen mehr als ein Viertel der Vorstandsmitglieder ausmachen. Für viele FeministInnen ist dies der gewagteste Schachzug überhaupt, um eine der dauerhaftesten Hürden vor der Gleichheit der Geschlechter zu überwinden.

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Die ganze Welt wurde aufmerksam: Spanien und die Niederlande verabschiedeten ähnliche Gesetze, mit Einhaltungsfrist 2015. Der französische Senat bespricht bald einen Gesetzesentwurf, der bis 2016 eine Frauenquote einführt, nachdem dieser von der Nationalversammlung Mitte Januar angenommen wurde. Belgien, Großbritannien, Deutschland und Schweden ziehen ebenfalls gesetzliche Maßnahmen in Betracht. Doch nachdem sich nun die Aufregung gelegt hat, setzen sich die Forscher mit ein paar frustrierenden Fakten auseinander: Die Tatsache, dass große Anzahlen von Frauen in die norwegischen Aufsichtsräte aufgenommen wurden, hat – bis jetzt! – wenig dazu beigetragen, das professionelle Kaliber der Vorstände zu verbessern oder unternehmerische Leistungen aufzuwerten.

2008 waren 9,7 Prozent der Vorstandsmitglieder der 300 führenden Unternehmen in der Europäischen Union Frauen, im Vergleich zu acht Prozent im Jahr 2004, so die Zahlen des European Professional Women’s Network. In den Vereinigten Staaten sind ca. 15 Prozent der Vorstandsmitglieder der Fortune-500-Unternehmen Frauen, in Asien haben Frauen in der Unternehmensführung jedoch noch Seltenheitswert: in China und Indien etwa fünf Prozent der Vorstandsmitglieder, in Japan nur 1,4 Prozent.

Mindestmaß an Frauen schiebt Rendite an

2007 befand eine McKinsey-Untersuchungder größten europäischen Unternehmen, dass Firmen mit mindestens drei Frauen im Vorstand die Branchenwerte mit einer durchschnittlich um ca. zehn Prozent höheren Kapitalrendite beträchtlich übertrafen; die Betriebsgewinne lagen fast doppelt so hoch. Die Studie ging nicht so weit, diese Leistung einer "entscheidenden Anzahl" von Frauen zuzuschreiben, befand jedoch, dass Unternehmen mit einer ausgeprägten Geschlechterdisparität in den Vorstandsetagen in den Bereichen Managementqualität und Organisation gut abzuschneiden pflegten. Doch den Wirtschaftsexperten zufolge ist der Zusammenhang von Leistungsbilanz und Frauen im Vorstand nicht so eindeutig. Die Aufsichtsräte kontrollieren und beraten hauptsächlich Direktoren und Spitzenmanager, die nach wie vor überwiegend Männer sind.

In der Zwischenzeit hatte das Quotengesetz andere, unbeabsichtigte Folgen: Die "goldenen Röcke", wie Norwegens gefragte Businessdamen in den Medien genannt werden, ließen sich nämlich gleich in mehreren Aufsichsräten nieder. Eine Elitegruppe von 70 Frauen übt mehr als 300 Vorstandsmandate aus, so das Center for Corporate Diversity (Zentrum für Unternehmensdiversität).

Manche argumentieren, dass sich Norwegens bezahlter Erziehungsurlaub von 46 Wochen für Mütter (Väter bekommen zehn Wochen) für diejenigen, die eine Position im gehobenen Management anstreben, nachteilig auswirkt. Andere wiederum meinen, Frauen seien im Vergleich zu Männern weniger gewillt, die Zeit der Familie dem Job zu opfern. Eine letztes Jahr von zwei schwedischen Wirtschaftswissenschaftlern veröffentlichte Studie deutete an, dass ein bezahlter Erziehungsurlaub von über einem Jahr den beruflichen Aufstieg behindert. Es stellte sich heraus, dass 27 bis 32 Prozent der Führungskräfte in den nordischen Ländern Frauen sind, gegen 34 bis 43 Prozent in Australien, Großbritannien, Kanada und den Vereinigten Staaten, wo der Mutterschaftsurlaub kürzer ist.

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