Schuldenkrise

Der nackte Kaiser von Standard & Poor’s

Mit der Herabstufung der Bonität von neun Ländern der Eurozone hat die Ratingagentur Standard & Poor’s nur bestätigt, was die Märkte längst wissen: Der Eurozone geht es vor allem deshalb schlecht, weil ihre Mitgliedsstaaten nicht in der gleichen Liga spielen.

Veröffentlicht am 16 Januar 2012 um 15:56

Für La Stampa liegt die Sache klar: Die “Massen-Herabstufung war abzusehen und ist nur eine Spätfolge des enttäuschenden EU-Gipfels vom Dezember. Momentan halten sich die Schäden sogar noch einigermaßen in Grenzen.” Weiter meint die Tageszeitung aus Turin, dass dies für Deutschland und die Deutschen nur “noch mehr Verantwortung” bedeute:

Cover

Ginge es nur darum, für die Schulden der anderen aufzukommen, hätten sie guten Grund dazu, abzulehnen. Allerdings ist ihnen Folgendes klar geworden: Die Märkte, die den verschwenderischen Ländern vor der Krise Billigkredite gewährten, belohnen nun maßlos den Egoismus der geizigsten Länder. Je länger die Krise dauert, desto mehr Milliarden spart Deutschland, weil es extrem niedrige Zinsen zahlt. Verantwortung heißt auch, übertriebene Geschenke abzulehnen.

Unterdessen glaubt die Lissabonner Diário de Notícias die erste Konsequenz der Herabstufung der französischen Bonität zu kennen:

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Cover

Am 13. Januar wurde die Achse Paris-Berlin zerschlagen. Der Rhein wird ungestüm weiterfließen. Immer erbitterter wird versucht werden, die Europäische Zentralbank in die Knie zu zwingen. Es ist nichts Gutes zu erwarten von einem verzweifelten Nicolas Sarkozy und einer verschreckt auf ihrer Insel sitzenden Angela Merkel. Die Insel droht unter der Last der europäischen Ersparnisse unterzugehen, und Merkel hat keinen Ausweg. Europa könnte eine Zukunft haben. Föderalismus, mit Wohlstand; politische Union; mit Vertrauen. Ganz im Gegenteil: Es steht kurz vor dem Zusammenbruch, vor Armut, vor Krieg. Der Feind sind nicht die Märkte, sondern die politische Dummheit.

Standard & Poor’s habe nichts weiter gesagt, als dass “der Kaiser nackt ist”, meint die Prager Hospodářské noviny. Schließlich war mit der Herabstufung der neun Euro-Länder zu rechnen. Die Ratingagentur habe nur kein Blatt vor den Mund genommen, als sie das “aussprach, was die Investoren längst wissen: Als Gemeinschaft funktioniert Europa einfach nicht gut. […] Wenn es überleben will, muss es sich ändern.” Weitere Konsequenz der schwindenden Kreditwürdigkeit: Der europäische Rettungsschirm (EFSF) verliert seine “Feuerkraft”.

Cover

Experten meinen, dass Standard & Poor’s Benotung lediglich den Druck erhöht. Dadurch könnte der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), der den EFSF sowieso [am 1. Juli] ablösen soll, eher greifen. Der Vorteil des ESM ist, dass er nicht an die Bewertung der Länder gebunden ist, weil er über sein eigenes Kapital verfügt. […] Durch die Herabstufung der französischen Bonität spielt Deutschland für die Rettung der Eurozone eine noch wichtigere Rolle. Sarkozy wird schwächer. Deshalb wird Angela Merkel über die Rettung der Eurozone wachen.

Die österreichische Presse fasst ihre Regierung nicht gerade mit Samthandschuhen an. In Wien verurteiltDie Presse die Koalition und fordert sie auf,

Cover

...den Kurs zu ändern, bevor [uns] ein italienisches Schicksal blüht. Dass die Regierung an eine Kursänderung nicht denkt und stattdessen bei der Fahrt in Richtung weitere Herabstufung aufs Gas steigt, zeigt der zweite Teil der Reaktion auf den Verlust des Triple A: “Unverständlich.”

Ganz ähnlich klingt Hospodárske noviny aus Bratislava: Für die Eurozone war Freitag, der 13. ein Pechtag:

Cover

Die Politiker unternehmen nicht genug, um die Situation zu verbessern. Deshalb zahlt die Slowakei für ihren Beitritt zur Eurozone. […] Die Rettung Griechenlands und die Beteiligung am EFSF überfordern uns. Ergebnis: Die Politik schwankt und Wahlen wurden vorgezogen.

Letzten Endes wird dem Euro mit der “Massen-Herabstufung” nur das Misstrauen ausgesprochen, merkt der Corriere della Sera an und betont, dass das Ganze politisch motiviert ist. Schließlich stammt die Bewertung “aus einem Land, das schon immer an der Zukunftsfähigkeit der Einheitswährung gezweifelt hat”. Abgesehen davon liegt “das wirkliche Problem” für die Tageszeitung aus Mailand ganz woanders:

Cover

[Problematisch] ist, dass die Bewertungen, welche die Investoren eigentlich nur vor möglichen Risiken warnen sollen, in Wirklichkeit erst dann bekannt werden, wenn die Warnglocken schon sämtliche Märkte in Aufruhr versetzt haben. […] Die wohlbekannte Botschaft von S&P wird dadurch verstärkt: Europa steckt in einer tiefen Krise, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Noch ist der Weg weit und voller Hindernisse.

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema