Guido Westerwelle und sein Lebensgefährte Michael Mronz bei den Bayreuther Festspielen, 25. Juli 2009 (AFP)

Der unaufhaltsame Aufstieg der Gay Power

Nach den Frauen und den Vertretern ethnischer Minderheiten setzt sich in Europa heute eine dritte Outsider-Gruppe durch: Immer mehr Spitzenpolitiker leben offen — oder zumindest verstecken nicht mehr — ihre Homosexualität.

Veröffentlicht am 6 Oktober 2009
Guido Westerwelle und sein Lebensgefährte Michael Mronz bei den Bayreuther Festspielen, 25. Juli 2009 (AFP)

Es handelt sich nicht mehr um die "Gay Power"“, die monothematische Aktivisten lautstark vertraten und deren politisches Engagement sich einzig und allein über ihre Sexualität definierte, wie bei Peter Tatchell, jenem Mann, der die "Bürgerfestnahme" von Robert Mugabe, dem schwulenfeindlichsten afrikanischen Diktator forderte. Er war der Einzige in der westlichen Welt, der den Mut aufbrachte, Mugabe frontal anzugreifen.

Heute handelt es sich um Spitzenpolitiker, deren Sexualität — in unterschiedlichen Maßen — nur ein Aspekt ihres politischen Kampfes ist. In den letzten Tagen stiegen zwei Spitzenpolitiker der "Gay-List" zum Vizeregierungschef ihrer jeweiligen Heimat auf: Der kühle Peter Mandelson, der sich seit jeher sehr diskret zeigte ("Meine Sexualität ist kein Geheimnis, sondern Privatsache", erklärte er in der BBC, nach seinem aufsehenerregenden Outing durch Matthew Parris, einem ehemaligen Berater Margaret Thatchers.) In den letzten Jahren zeigte er sich aber viel aufgeschlossener und wurde als eine wahre Galionsfigur der Labour Party akzeptiert und gefeiert. Beim Parteitag in Brighton hielt er vor seinen Parteifreunden eine schillernde, mit Anspielungen auf seine sexuelle Orientierung gespickte Rede.

Guido Westerwelle, genannt "Gaydo"

Und nun Guido Westerwelle, Chef der Liberalen in Deutschland. Jahrelang brodelte aufgrund seines Schweigens die Gerüchteküche. Im Juli 2004 machte Westerwelle offiziell sein Coming-out. Zum fünfzigsten Geburtstag seiner Freundin und nun Regierungskollegin Angela Merkel erschien er mit seinem Lebensgefährten, dem Manager Michael Mronz, so wie es in traditionell aufgeschlossenen, liberalen Ländern wie den Niederlanden oder den Ländern Skandinaviens schon seit langem gang und gäbe ist. Dort sind schwule Abgeordnete in Parlament oder in den Stadträten schon seit über zwanzig Jahren im Aufwind.

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Mehr noch als Mandelson zeigte sich Guido ( Manche sagen auch "Gaydo") Westerwelle während des Wahlkampfes in dieser Frage völlig entspannt und witzelte auch gerne über seine "schwulen" Vorlieben. Als Vizekanzler der kommenden Regierung wird er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Außenminister. Er wird es sein, der durch alle Welt reist: Manche wird das faszinieren, andere verstören.

Auf der "Gay-List" stehen auch einige mächtige Bürgermeister wie Klaus Wowereit, der Bürgermeister Berlins, der heute beim (Hindernis-)Rennen um die Führung der SPD nach der vernichtenden Pleite vom 27. September die Nase vorn hat. Im Pariser Rathaus regiert noch immer der unerschütterliche Bertrand Delanoë. Er hat zwar nicht das stattliche Aussehen eines Klaus Wowereits, stellt dennoch für die vom – heterosexuellen – Libertin François Mitterrand geprägte sozialistische Partei eine ausgezeichnete Alternative dar, sollte sich die Begeisterung für die Damen an der Parteispitze, Martine Aubry und Ségolène Royal, verpuffen.

Coming-out passiert häufiger links

Nach dem Wahlsieg der Labour Party von 1997, wurden in Großbritannien, wie im Wahlprogramm versprochen, von der Regierung Tony Blairs soziale Diskriminierungen gegenüber Schwulen bekämpft. Immer mehr schwule Minister und Abgeordnete traten ins Rampenlicht. Prominentestes Beispiel war der ehemalige Kulturminister Chris Smith. Er war der erste Schwule, der bei einem Dinner im Buckingham Palace mit seinem Lebensgefährten erschien. Empfangen wurde er unter dem höhnischen Grinsen aller Versammelten (und dem Gekicher eines Prinz Philip). Das Kulturministerium wird derzeit vom ehemaligen BBC-Journalisten Ben Bradshaw geleitet. Er war der erste Minister in Europa, der seinen Lebensgefährten "heiratete" (im Rahmen einer eingetragenen Partnerschaft). Der als nächster Regierungschef in Frage kommende konservative David Cameron, hierbei auf dem Weg zur Macht sein Vorbild Tony Blair nachahmend, wird seinen schwulen Parteifreunden breiten Platz einräumen (Nick Herbert, Nick Boles und Ivan Massow gehören zu seinen engsten Beratern).

Es ist dennoch immer das alte Lied: bekennender Schwuler zu sein, heißt, sich in einer linken oder zumindest einer liberalen Partei zu engagieren. Die konservativen (oder katholischen) Schwulen verstecken sich. Ausnahme: in einem Land, in dem schwule Lib-Labs (Linksliberale) in der Landes- wie Lokalpolitik lange vertreten sind, in den Niederlanden, gibt es nun in der dritten Regierung Jan Peter Balkenendes einen jungen, schwulen und streng katholischen Wirtschaftsminister: Joop de Wijn, Jahrgang 1969. Als Präzedenzfall gab es den Fall Pim Fortuyn, dem Chef der ausländerfeindlichen Rechten, ermordet 2002. Und was soll man über den Fall des 2008 bei einem Autounfall umgekommenen Österreichers Jörg Haider sagen, der seinen sehr jungen Lover Stefan Petzner, 26, zu seinem Nachfolger an der Parteispitze erklärte?

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