Nachrichten Tschechische Republik
Josef Murčo in der Vertretung der kommunistischen Partei in Karlovy Vary (Karlsbad).

Der zweite Frühling der Kommunisten

Es war eine Premiere seit 1989. Am 13. Oktober wurde die kommunistische Partei stärkste Kraft in zwei Regionen und schielt jetzt auf die Parlamentswahlen 2014. Respekt reist nach Karlsbad und stellt fest: Seit der guten alten Zeit der Einheitspartei hat sich für die alten Kader nichts geändert.

Veröffentlicht am 2 November 2012 um 13:32
Josef Murčo in der Vertretung der kommunistischen Partei in Karlovy Vary (Karlsbad).

Der Eindruck des jovialen Lehrers, den Jaroslav Borka gibt, täuscht nicht. Er hat seine Karriere in der Grundschule begonnen. Danach hat er aber den Unterricht für die Politik aufgegeben. Und zwar sicherlich definitiv. Er ist Listenführer der kommunistischen Partei von Karlsbad [Karlovy Vary] und hat dort die Regionalwahlen gewonnen [und führt auch in der Nachbarregion Ústí nad Labem]. Er will die Kontrolle über die Mehrheit des Bezirksrates übernehmen und Weichen für neue kommunistische Durchbrüche stellen. Und das nicht nur in Karlsbad. „Für uns beginnt eine neue Ära der Verantwortung und des Einflusses“, bestätigt er.

Wären die kommunistischen Wahlplakate und das Gipsmodell des Roten Platzes nicht, würde niemand darauf kommen, dass es sich um einen der alten Hasen der Partei der roten Kirschen handelt [das Abzeichen KSČM, der kommunistischen Partei Böhmens und Morawiens]. Seit vier Jahren hält er das Assistenzamt der Steuerbehörde des Bezirks von Karlovy Vary inne. „Die Verbindung zu Moskau und Russland fing schon in meiner Jugend an,“ erklärt der 60-jährige Jaroslav Borka. „Manche Bande halten ein ganzes Leben.“

Historischen Wahlsieg nicht überbewerten

Als er in den siebziger Jahren absolut in die Partei eintreten wollte, war er noch ein Jugendlicher. Diese Entscheidung hat er seitdem nie bereut. Für ihn ist die kommunistische Partei eine „moderne Linke“ und er ist davon überzeugt, dass ihm die heutige Zeit der wirtschaftlichen Ungewissheiten immer mehr Recht geben wird. „Wir werden dank handfester Argumente und nicht durch Gewalt gewinnen“, versichert Borka.

„Den Leuten Angst zu machen, indem man behauptet, wir seien autoritär, ist völlig absurd! Ich lasse mir keine Scheuklappen aufsetzen. Im Rat diskutiere ich mit allen politisch Verantwortlichen. Für mich ist vor allem wichtig, dass wir ehrlich sind.“ Mit Ehrlichkeit sei er auch so weit nach oben in der Politik gekommen.

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Sein Gegner Jiří Kotek nickt: „Seit Jahren sitzen Kommunisten im Aufsichtsausschuss oder im Regionalrat, doch sie konnten perfekt den Eindruck wecken, dass sie niemals in zweifelhafte Geschichten verwickelt waren.“

Kotek war ebenfalls ein Kandidat der Regionalwahlen und wurde dadurch bekannt, dass er das Video der berühmten „Auslosung“ veröffentlichte. Darin sind Politiker aus Karlsbad zu sehen, die in heimlichem Einverständnis mit einer Gerichtsvollzieherin in einem – offensichtlich fingierten – Auswahlverfahren den Gewinner einer Ausschreibung über mehrere Milliarden Kronen bestimmen [1 Mrd. Kronen = 39 Mio. Euro]. Mit seiner Bewegung Alternativa erzielte Kotek 10 Prozent der Stimmen. Er rief alle Parteien dazu auf, die Zusammenarbeit mit der KSČM zu verweigern und sie dahin zurückzudrängen, wo sie seiner Meinung nach hingehört: in eine politische Randposition (ohne Antwort).

Kollektivierungen sind ausgezeichnete Ideen

Wie auch immer, Jiří Kotek ist der Ansicht, man dürfe diesen „historischen Wahlsieg der Kommunisten“ in Karlsbad nicht überbewerten. 16.500 Wähler gaben ihnen ihre Stimme. Was sie buchstäblich an die Spitze katapultiert hat, ist zunächst die niedrige Wahlbeteiligung (rund 36 Prozent). Vor vier Jahren konnten sie mit einer ähnlich hohen Stimmenzahl 17 Prozent der Stimmen und acht Sitze im Regionalrat erzielen, diesmal waren es 23 Prozent der Stimmen und 14 von 45 Sitzen.

Im Büro von Josef Murčo, 60, dem Leiter der KSČM-Abteilung in Karlsbad, mustert eine Bronzestatue von Karl Marx den Besucher. Und beim Betreten des Konferenzsaals fällt sofort eine zwei Meter hohe Skulptur auf: Soldaten der Roten Armee mit Maschinengewehren. „Ich bin während meines Militärdiensts 1972 [der Partei] beigetreten“, erklärt der ehemalige Berufsschullehrer.

Er beteuert, dass niemand ihn jemals von der Schädlichkeit der Verstaatlichungen und der erzwungenen Kollektivierungen überzeugen wird. Seiner Ansicht nach handelte es sich da um ausgezeichnete Ideen. „Ich habe das alles selbst erlebt. Die Landwirte sind alt geworden. Wer wird denn ihre Betriebe übernehmen? Sie waren dankbar für die landwirtschaftlichen Genossenschaften“, argumentiert er.

Für ihn war die Zeit des Regimes vor November 1989 eine „Zeit ohne Probleme“, die dem Land „vier Jahrzehnte Wohlstand“ eingebracht hat. Und falls damals ein paar Fehler begangen wurden, so besteht heute keineswegs die Gefahr einer Wiederholung. „Und rein philosophisch gesehen“, fügt er sofort hinzu, „wer sagt denn heute, dass das aktuelle System das einzig richtige ist?“

Angenehme Erinnerung an die Pflichtmärsche

Es ist klar, dass der „joviale Lehrer“ Borka ebenso denkt. „Wollen Sie die Pflichtmärsche zum 1. Mai wieder einführen und neue Stacheldrahtzäune an der deutschen Grenze aufstellen?“ fragte ihn neulich ein Leser des Internetportals iDNES.cz. „Nein“, antwortet er. „Doch ehrlich gesagt, viele Bürger haben diese Märsche in angenehmer Erinnerung. Und die Durchlässigkeit der Grenzen könnte in der Zukunft die Kriminalität begünstigen und zu einem großen Problem werden.“

Die Frage nach dem Platz, den die neue Regionalregierung der Kritik einräumen will, bleibt offen. „Kritik ist sicherlich etwas Gutes“, meint Josef Murčo. „Doch sie muss konstruktiv sein. Wenn nur böse Absichten dahinter stecken, muss man sich ihr widersetzen. Verstößt das, was ich da sage, gegen die Meinungsfreiheit? Diese Freiheit gibt es schon lange nicht mehr. Versuchen sie nur einmal, in einem kapitalistischen Unternehmen etwas zu kritisieren... da wirft man Sie hinaus.“

Zu diesem Thema erklärte Borka übrigens, die ideale Lösung für das Problem der Arbeitslosigkeit könne darin bestehen, ein paar Privatunternehmen unter die Kontrolle der Region zu stellen. (sd, pl-m)

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