Bild aus "Die drei kleinen Schweinchen", von Walt Disney (1933).

Die Eurokrise für Kinder

"Sag, Papa, was ist die Eurokrise?" Anstatt über Leitzinsen und Schuldenberge zu erzählen, könnte man viel besser das berühmte Märchen von den drei kleinen Schweinchen und dem bösen Wolf zum Vergleich heranziehen.

Veröffentlicht am 21 Dezember 2011 um 14:38
Bild aus "Die drei kleinen Schweinchen", von Walt Disney (1933).

Krisen überraschen immer. Aber die größte Überraschung ist zweifelsohne die Ähnlichkeit der Verhaltensweisen, die sie hervorrufen. Sie wiederholen sich derart, dass die Volksweisheit diesen Prozess in Fabeln und Märchen herauskristallisiert hat. Wenn wir mit unserem heutigen Blick das bekannte Märchen von den drei kleinen Schweinchen neu lesen würden, könnten wir darin Gründe und Hintergründe der Eurokrise wiederentdecken, mit einem Wort, die Krise kindgerecht erklären.

Schweine-Sünder

Das Märchen ist eine ganz offensichtliche Metapher der Krise — der böse Wolf — und ihrer Gründe: die drei little pigs — Schweine— ist das Akronym für Portugal, Italien, Griechenland und Spanien (PIGS), die fahrlässigsten Länder der Eurozone. Doch ist es ein raffiniertes Märchen, dessen Moral nicht unbedingt ins Auge springt. Zunächst gibt es da die vielfältigen Formen der fehlenden Absicherung: das Haus aus Stroh und das Haus aus Holz zeigen, dass der wirtschaftliche und soziale Abschwung vielfältige Formen annehmen kann. Dann wird uns gelehrt, dass es auch nichts nützt exzessiv vorsichtig oder vorsorgend zu sein. Auch das Haus aus Stein reicht nicht zum Schutz vor dem bösen Wolf: Er findet einen anderen Weg, indem er durch den Schornstein eindringt. Und guter Letzt, bedeutet die Moral von der Geschichte, dass ohne Schlauheit und Weitsicht — der Kochtopf, in den der Wolf durch den Schornstein fällt — selbst die solidesten sozialen Systeme nicht zu schützen sind.

Das Haus aus Stroh symbolisiert die am stärksten gefährdeten Gesellschaften, jene, denen es an Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und sozialen Zusammenhalt fehlt. Seit der Einführung des Euro 2002 haben Italien, Portugal und Spanien einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit um respektive 9, 12 und 19 Prozent im Vergleich zu Deutschland zu verzeichnen. Berufsstände, die in den Parlamenten und Regierungen überrepräsentiert sind, haben verhindert, dass ihre Privilegien, beispielsweise bei den Renten, zugunsten der Allgemeinheit abgebaut werden. Wo diese Sonderrechte Bestand hatten, litt die Wettbewerbsfähigkeit, die Zahlungsbilanz, die Produktivität. Um diesen Wohlstand zu sichern, musste immer mehr Vermögen veräußert werden und die soziale Ungleichheit nahm zu.

Und wie das Haus aus Holz im Märchen sind auch die Gesellschaften, die öffentliche und private Schuldenberge aufgetürmt haben, nicht solide. Die Fälle Italien und Belgien sind hierbei Paradebeispiele: 1999 hatten diese beide Länder innerhalb der Eurozone das schlechteste Verhältnis von Verschuldung und BIP 113 Prozent. Die erhebliche Zinssenkung nach der Einführung des Euro ermöglichte immense Einsparungen bei den Rückzahlungen. Die belgische Regierung — im Gegenteil zu Italien — nutzte dies zum Schuldenabbau anstatt zur Finanzierung laufender Ausgaben.

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Bei den Drei kleinen Schweinchen von Walt Disney gibt es ein Happy End: Die zwei Schweinchen, die Häuser aus Stroh und Holz gefunden haben, entkommen dem Wolf, indem sie bei ihrem Bruder Zuflucht finden, der schlauer und umsichtiger als sie ist. Wir haben die Formen gesehen, die Vorsorge oder fehlende Weitsicht annehmen können. Doch wer ist der böse Wolf? Was macht ihn so hungrig? Mit welcher List kann er ausgeschaltet werden?

Spekulanten im Wolfspelz

Der Wolf des Märchens verkörpert das, was geschieht, wenn man eine offensichtliche Gefahr leugnet. Er nimmt eine äußerliche Erscheinung an — in unserem Fall, jene der Spekulation — aber in Wirklichkeit ist er die Folge einer Wirklichkeitsverleugnung (die Engländer sprechen von denial). Die Verleugnung, sollte sie andauern, führt zu immer mehr Ungleichgewicht, das außer Kontrolle zu geraten droht. Anders gesagt: je mehr die Gesellschaft oder die Politik die Realität verleugnet, umso gefährlicher wird der Spekulationswolf.

Der Ablauf der Ereignisse macht aus der Fabel ein erhellendes Modell: Er erinnert uns daran, dass die Leichtsinnigkeit der Leichtsinnigen den Appetit des Spekulationswolfs anstachelt. Vorsorge allein schützt dann niemandem mehr, auch nicht den Umsichtigen. Der Flächenbrand der letzten Tage, der auch die tugendhaften Länder des Nordens überrumpelt, ohne dass sie eine Lösung haben, ist hierbei Beweis genug.

Und genau dann ist Schlauheit gefragt: Man muss sich eingestehen, dass das Engagement der Starken sich nicht auf die Notfallhilfe reduzieren kann, sondern es muss Züge einer globalen Mobilisierung annehmen. Das Verantwortungsgefühl, der Bürgersinn, des deutschen, finnischen oder österreichischen Steuerzahlers wird allein nicht die Höhe des Euro-Rettungsschirms EFSF definieren oder die EZB die Verantwortung für die Finanzstabilität übernehmen können. Die Schlauheit muss Motor für außergewöhnliche Maßnahmen sein, die in der Lage sind, der Spekulation Angst einzujagen. Um es wie im Märchen auszudrücken: Der Wolf muss erst gereizt und dann in die Flucht geschlagen werden. Nur wenn die Leichtsinnigen umsichtig werden und die Umsichtigen schlau handeln, so lehrt es uns das Märchen, kann es ein Happy End für die Eurozone geben und der Euro noch schöne Tage vor sich. (j-s)

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