Polens neues Präsident Bronislaw Komorowski nach seiner Ansprache vor Anhängern in Warschau, 4. Juli 2010

Die Geschichte von zwei Polen

Der Liberale Bronisław Komorowski ist Polens neuer Präsident. Er siegte über seinen konservativen Rivalen Jarosław Kaczyński in einer Wahl, die starke soziale Spaltungen widerspiegelt. Der polnischen Presse zufolge wird Komorowski beim Ausführen von Reformen und bei der Absicherung von Polens Zukunft innerhalb der EU Vorsicht walten lassen müssen.

Veröffentlicht am 5 Juli 2010 um 14:11
Polens neues Präsident Bronislaw Komorowski nach seiner Ansprache vor Anhängern in Warschau, 4. Juli 2010

Polen hat einen neuen Staatspräsidenten: Bronisław Komorowski, den Kandidaten der konservativen Regierungspartei Bürgerplattform (PO). Das Wahlergebnis war erst am 5. Juli eindeutig, als die staatliche Wahlkommission über die Rückmeldungen aus 95 Prozent der Wahllokale verfügte. Mit 52,6 Prozent der Stimmen lag Komorowski vor seinem Rivalen Jarosław Kaczyński von der rechten Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), welche 47,4 Prozent erhielt. Ein paar Stunden vorher, als erst die Auszählung der Hälfte der Wahllokale vorlag, sah das Bild noch anders aus, nämlich mit Kaczyński in Führung. Mitten in der polnischen Urlaubszeit gilt eine Wahlbeteiligung von 54,8 Prozent (wobei die Wahlbeteiligung in Polen generell niedrig ist – die höchste lag bei 68,2 Prozent) als gutes Ergebnis.

Die Bürgerplattform hat ihr Alibi verloren

Den Erwartungen entsprechend setzten ländliche und ärmere Regionen sowie ältere Wähler auf den Konservativen Kaczyński, während Komorowski in größeren Stadtgebieten triumphierte (siehe Wahlkarte hier). Die Tageszeitung Rzeczpospolita schreibt, trotz Komorowskis Sieg habe Kaczyński den "Erfolg im politischen Sinn erzielt", da seine starken Ergebnisse sowie die zunehmende Unterstützung der PiS zeigen, dass die zwei größten politischen Formationen des Landes "ausgewogen" sind. Die Bürgerplattform "hat keine lebenslange Garantie, an der Macht zu bleiben", gibt die konservative Zeitung zu bedenken.

Nun, da die Bürgerplattform sowohl den Präsidenten als auch den Ministerpräsidenten stellt, hat sie "kein Alibi mehr, die nötigen Reformen nicht durchzuführen", stellt die Rzeczpospolita in ihrer Analyse nach der Wahl fest. Unter der Präsidentschaft des verstorbenen Lech Kaczynski wurde eine Aufrüttelung des Gesundheitssystems abgeblockt. Weitere Reformen in Gesundheitswesen, Staatsfinanzen und der kombinierten Kranken- und Rentenversicherung der Landwirte werden ebenfalls nicht sehr gut ankommen, deutet die Warschauer Tageszeitung an und legt nahe, Kaczyńskis nur knappe Niederlage könne schon dem Sieg seiner Partei in den Parlamentswahlen von 2011 vorgreifen. Die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza stößtins selbe Horn und warnt Ministerpräsident Tusks Partei, dass sie, "wenn sie nicht zeigt, dass sie als reformistische Partei offen für die kulturellen Voraussetzungen der europäischen Demokratie ist, die nächste Wahl verlieren wird".”

Wahlkampagne hat Polen und Polen nichts Sinnvolles gebracht

Die Wahl vom Sonntag hat gezeigt, dass Polen eine ausgeglichen geteilte Gesellschaft ist, meint Adam Michnik, Chefredakteur der Gazeta. Polens siegreiche Hälfte "sieht die Zukunft des Landes in der EU – als ein Land der Demokratie, des Pluralismus, einer freien Marktwirtschaft und der Rechtsstaatlichkeit". Während die unterliegende Hälfte, eine "autoritäre Rechte, verkörpert von Jarosław Kaczyński und seinem Lager, [...] für die Demokratie in Polen eine Gefahr darstellt". Michnik zufolge spiegelt das traditionelle Links/Rechts-Gefälle nicht mehr die Geschehnisse in Mittel- und Osteuropa sowie in manchen westeuropäischen Ländern wider, wo "eine neue Welle des Populismus unter diversen ideologischen Bannern" zunehmend die Gunst der Öffentlichkeit gewinnt.

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Besteht denn eine Chance, dass die beiden Polen sich vereinigen? Das fragt sich Tomasz Lis, Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Wprost, und auch, wenn es "nicht mehr politisch rentabel sein [wird], diese Spaltung auszunutzen". Die Antwort, so klagt er, wird so schnell nicht kommen, denn "die Präsidentschaftskampagne hat uns nicht vorangebracht, sie hat dem Land oder seinen Bürgern nichts Sinnvolles gegeben". Lis appelliert an seine Mitbürger, ein für allemal damit aufzuhören, Zeit zu vergeuden: "Zeit – ein entscheidender Faktor in jeder Demokratie". Es sei höchste Zeit, entschlossene Reformen in Staatsfinanzen, Gesundheitswesen und Bauernrenten durchzuführen und die politische Spaltung zwischen dem reichen und dem armen Polen zu überbrücken. Wie Michnik meint, zeigt die starke Unterstützung für Jarosław Kaczyński, dass "sich viele Polen in ihrem eigenen Land noch nicht zuhause fühlen". Die größte Herausforderung an den neuen Präsidenten wird sein, das zu ändern. (pl-m)

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