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Die Krise wird schlimmer, doch Brüssel schaut weg

Trotz deutlicher Beweise, dass ihre Sparpolitik die kämpfenden Mitgliedsstaaten immer weiter in die wirtschaftliche Agonie treibt, veröffentlichte die Europäische Kommission am 30. Mai ihren wirtschaftlichen Jahresbericht, in welchem sie eine bankrotte Strategie verteidigen will, so der Wirtschaftsredakteur des Guardian.

Veröffentlicht am 31 Mai 2012 um 14:39

Die spanischen Rentenrenditen gehen auf sieben Prozent zu, die griechische Wirtschaft steht kurz vor dem Zusammenbruch und die Zukunft der Einheitswährung wird zunehmend in Frage gestellt – das Timing für Brüssels Veröffentlichung derEU-Berichte über die 27 Mitgliedsstaaten hätte kaum besser sein können. Dies war der perfekte Zeitpunkt für die Europäische Kommission, eine Bilanz zu ziehen, die strategischen Möglichkeiten abzuwägen und einen Plan anzukündigen, mit dem die sich ausweitende Krise bewältigt werden soll.

Die Berichte geben die düstere Stimmung wieder. Es wird anerkannt, dass die Währungsunion ihre unruhigste Zeit seit ihrer Gründung durchlebt. Es wird – in gewissem Maß – zur Kenntnis genommen, dass die derzeitigen Strategien nicht funktionieren. Und es werden verzweifelt Empfehlungen darüber abgegeben, wie Europa reagieren soll: mit gemeinsamen Anleihen, einer Bankenunion und direkten Geldspritzen aus dem ständigen Rettungsfonds für taumelnde Banken.

Ein neuer Blindgänger der Krisenbewältigung

Das reichte aus, um den Finanzmärkten einen Energieschub zu geben: Die Händler fanden Trost darin, dass Brüssel vielleicht doch nicht so ahnungslos war, wie es in den letzten paar Monaten wirkte. Als Strategie zur Krisenbewältigung stellt sich das Ganze jedoch als neuer Blindgänger heraus. Schließlich wurden alle großen Ideen schon einmal in den Raum gestellt und immer mit einem schallenden „Nein“ von Angela Merkel quittiert.

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Das grundlegendere Problem ist jedoch, dass die Kommission sogar jetzt noch nicht wahrhaben will, dass ihre viel zu stark auf die Sparpolitik ausgerichtete Strategie versagt hat. An den empfindlichen Schwachstellen der Eurozone sehen die Länder dabei zu, wie sich ihre öffentlichen Finanzen verschlechtern, während ihre Wirtschaft weiter in der Rezession festsitzt. Für manche, wie Griechenland, lag das Problem immer bei zu hohen öffentlichen Kreditaufnahmen. Für andere, wie Spanien und Irland, begann es mit einer Orgie von unkontrollierten Krediten im privaten Sektor – was dazu führte, dass der Staat die Rechnung bezahlen musste, als die Blasen zerplatzten.

Das vorhersehbare Ergebnis eines schwachen Wachstums und schwacher Banken waren die schwachen öffentlichen Finanzen. Den Ländern mit den größten Schwierigkeiten wurde finanzielle Hilfe angeboten, doch nur unter der Bedingung, dass sie strenge Zielvorgaben zur Reduzierung ihrer Defizite erfüllten. Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen führten zu einem noch schwächeren Wachstum, noch schwächeren Banken und besagten, dass die Zielvorgaben zur Reduzierung der Defizite verfehlt worden waren, in bestimmten Fällen auf ganz spektakuläre Weise.

Nur wenige Beweise dafür, dass Brüssel wirklich verstanden hat

Nehmen wir etwa diese Beschreibung der Geschehnisse in Griechenland, wo die Erholung, die eigentlich für 2013 vorgesehen war, nun – Überraschung! – weiter aufgeschoben wurde. „Mehrere Faktoren behinderten die Umsetzung: politische Instabilität, soziale Unruhen, Fragen im Zusammenhang mit den Verwaltungsbehörden und eine weit schwerere Rezession als vorhergesehen.“

Das fasst den Stand der Dinge mehr oder weniger zusammen, doch es gibt nur wenige Beweise dafür, dass Brüssel – auch jetzt – wirklich verstanden hat. Man spricht davon, den richtigen Mittelweg zwischen Konsolidierungsbedarf, Reformen und Wachstum zu finden, doch ohne zu akzeptieren, dass die aktuelle Mischung völlig ungeeignet ist. Europa braucht dreierlei: einen Wachstumsplan, einen Plan, um die Banken mit frischem Kapital auszustatten, und einen Plan, um die Last zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden fairer aufzuteilen. Derzeit hat es keines der drei. Und deshalb kämpft es heute um seine Existenz.

Europäische Union

„Europa am Rande des Infarkts“

Der Bericht der Europäischen Kommission, der am 30. Mai veröffentlicht wurde, bringt die französische Website Mediapart zu einer scharfen Feststellung:

Die Europäische Kommission scheint sich des Fiaskos kaum bewusst zu sein. [...] Kurz gesagt, trotz aller Alarmglocken, aller Warnungen aus allen Richtungen, [...] die Kommission weicht von ihrem Weg nicht ab: Eine Verlust zeigende Strategie wird nicht geändert.

Nach der Auflistung der griechischen und spanischen Übel wundert sich die Website, dass:

sich [die Experten] nicht einen Augenblick zumindest zu fragen scheinen, ob die Maßnahme auch angebracht ist, wenn doch die Wirtschaft mitten in der Depression steckt und Millionen arbeitslos sind. Mit so fernab liegenden Gedanken wie einer eventuellen Ungerechtigkeit dieser Maßnahme beschäftigen sie sich schon gleich gar nicht.

Die Website erwähnt die Empfehlungen an Frankreich: Strukturreformen und Warnungen über das Haushaltsdefizit. Dies zeigt deutlich, dass die Debatte über das Wachstum für die Kommission „schon entschieden ist, bevor sie überhaupt begonnen hat“. Abschließend heißt es:

Nach dem Warten auf politische Signale, die nie gekommen sind, wird nun womöglich der Finanzsektor das Schicksal Europas entscheiden, in aller Unordnung und aller Gewalt.

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