Ausgezockt. Trader an der Frankfurter Börse zu Beginn der Finanzkrise 2007 (AFP)

Die Zähmung der Sündenböcke

Paris, Berlin und London haben sich darauf geeinigt, sich beim nächsten G20-Gipfel für eine Begrenzung der Gehälter von Bankern einzusetzen. Aber auch wenn diese Maßnahme auf breite Zustimmung trifft, so ist sie wirtschaftlich gesehen nicht wirklich effizient, meint die europäische Presse.

Veröffentlicht am 4 September 2009 um 14:40
Ausgezockt. Trader an der Frankfurter Börse zu Beginn der Finanzkrise 2007 (AFP)

Alle wettern gegen die Boni. Drei Wochen vor dem G20-Gipfel, der am 24. Und 25 September in Pittsburgh, in den Vereinigten Staaten von Amerika stattfinden wird, haben die führenden Politiker Europas einen gemeinsamen Standpunkt ausgearbeitet, bei dem es um die bessere Eingrenzung der Gehälter von Bankern geht. Am 3. September haben die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Nicolas Sarkozy und der britische Regierungschef Gordon Brown einen Brief veröffentlicht, in dem sie für alle Länder des G20 "obligatorische Regeln" verlangen. Zur gleichen Zeit haben sieben europäische Finanzminister gemeinsame Regeln innerhalb der Europäischen Union gefordert.

"Boni: Das vereinte Europa im Angesicht Amerikas", titelt Le Figaro und begrüßt "den spektakulären Anschluss Großbritanniens, welches sich mit dem von Paris und Berlin verfolgten straffen Programm einverstanden erklärt". Die französische Tageszeitung schätzt, dass gegenwärtig nur noch die Zusage der USA fehlt, damit sich die Moralisierung des Finanzkapitalismus, welche sich die EU so sehr wünscht, konkretisieren kann. "Drei Wochen vor Pittsburgh treibt Europa [Obama] in die Enge."

"Es ist ganz eindeutig, dass der Wind der Veränderung immer stärker weht", stelltCotidianul fest. Die Bukarester Tageszeitung erinnert daran, dass die Veränderungen zunächst in den Vereinigten Staaten in Erscheinung traten. Barack Obama war es, der die ersten Maßnahmen gegen die Finanzkrise einleitete. Viele dachten, dass es bei den vereinzelten Schritten bleiben würde. Doch mit dem "spektakulären Einbruch der japanischen Liberal-Demokraten" Ende August haben sich die Dinge noch einmal beschleunigt. "Wenn die Veränderungen schon die beiden wichtigsten Wirtschaftsmächte der Welt erfasst haben, ist es wirklich schwierig, zu glauben, dass der Trend sich noch einmal umkehren könnte."

Unterdessen meint Le Soir, dass der europäische Konsens dennoch sehr zerbrechlich ist. Die Zeitung zweifelt daran, dass Gordon Brown wirklich ernsthaft verpflichtende internationale Regeln durchsetzen will. Und ob die EU fähig sein wird, die Vereinigten Staaten zu überzeugen, ist auch mehr als ungewiss. Das Brüsseler Tagesblatt betont, dass "es allein ausreicht, wenn nur ein einziger Finanzplatz nicht bei dem Spiel mitmacht. Schon dann würde alles wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen". Weil die wirklichen Herausforderungen ganz woanders liegen, bemerkt Le Temps. "Auch wenn uns nichts anderes übrigbleibt, als die Exzesse anzuprangern", sind die Boni "viel mehr die Symptome eines entgleisenden Systems, und eben nicht seine Ursachen". Für die Genfer Tageszeitung wird die Wirksamkeit "internationaler Regeln vor allem durch das Problem mit den Banken erst wirklich auf die Probe gestellt". Diese sind "rentabel, mächtig und einflussreich geworden und widersetzen sich jeder tiefgreifenden Reform".

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Kurz vor der Versammlung der Finanzminister des G20-Gipfels und der zentralen Banker in London meint das Handelsblatt, dass man vielmehr den Vorstoß "ins finstere Herz der Finanzkrise" zur Priorität machen sollte: Im Englischen nennt man das "too big to fail" [zu groß um pleitezugehen]. Die Banken, die diese kritische Größe erreicht haben, seien derart mit der Branche verwoben, dass ihr Einsturz die Stabilität des gesamten Finanzsystems gefährden könnte. Für den G20-Gipfel ist es also entscheidend, das "Problem des 'too big to fail' mit möglichst einfachen, möglichst marktkonformen Prinzipien in den Griff zu bekommen", empfiehlt das Handelsblatt. "Bei den europäischen G20-Staaten scheint sich der sinnvolle Gedanke einer Unsterblichkeitssteuer durchzusetzen." In diesem Fall sollten "Banken, die zu groß sind, um sie untergehen zu lassen, mehr teures Eigenkapital für ihre Geschäfte zurücklegen müssen […]. Der zusätzliche Kapitalpuffer wäre der Preis für das Privileg einer staatlichen Rettungsgarantie".

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Erinnern wir uns daran, dass der Finanzsektor "für die Wiederbelebung der Wirtschaft im Allgemeinen" entscheidend ist. Der Daily Telegraph betont, dass "der unterschwellige und verständliche Wunsch, die auf die schiefe Bahn geratenen Banker ersticken zu lassen" vielmehr durch die Lust gemäßigt werden muss, "diese wieder normale Aktivitäten aufnehmen zu sehen. Die durch neue Steuern und zusätzliche Regelungen entstanden Kosten würde man sonst nämlich auf die verschiedenen Gesellschaften abwälzen, die Kredite aufgenommen haben. Genau so erschwere man aber die Finanzierung der einzelnen Unternehmen, wenn der Aufschwung wiederkommt."

Wie die polnische Tageszeitung Rzeczpospolita berichtet, bejubelt man die Idee, die Regelung der Boni in Angriff zu nehmen. Doch könnte es auch sein, dass sich hinter dieser standhaften Reaktion der politischen Führungskräfte vielleicht ein ganz anderes politisches Kalkül versteckt, fügt das Warschauer Tagesblatt hinzu. "Wenn man die Verantwortung für die Krise nämlich den Bankern zuschreibt, die sowieso nicht beliebt sind, und diese zwingt, dafür zu bezahlen, ist das eine Sache, für welche die Wähler sie ganz bestimmt lieben werden. Mehr jedenfalls, als wenn man ihnen sagen würde, dass die Schulden, welche die Tausende von Milliarden Dollar entstehen lassen, die man in die Wirtschaft steckt, vielleicht eines Tages zurückgezahlt werden müssen."

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