Olivier Ploux Equality Voxeurop

Döner macht schöner, aber wem gehört er eigentlich?

Denn du bist, was du isst, heißt es. Eine Mischung aus Geschmäckern, Kulturen und Gewohnheiten. Der Kebab symbolisiert nicht nur diese Vielfalt, sondern auch die damit verbundenen Spannungen. Denn die Türkei fordert, ihn als traditionelle türkische Spezialität anzuerkennen, womit die Deutschen jedoch gar nicht einverstanden sind.

Veröffentlicht am 20 September 2024

Der Döner ist zum Streitapfel geworden. Vergangenen April hatte Ankara gefordert, ihn „ als traditionelle Spezialität“ der Türkei anzuerkennen, so wie Serranoschinken in Spanien oder Pizza in Italien. Deutschland fordert nun jedoch, den Döner als deutsches Nationalerbe anzuerkennen, wie Deborah Cole im Guardian berichtet. 

Sollte dem türkischen Antrag stattgegeben werden, würde der Preis des Döners aufgrund der eingeführten Richtlinien (von der Dicke des Fleischstücks bis zur Art der Gewürze) weiter steigen. In Deutschland, wo der Umsatz mit Döner jährlich 7 Mrd. Euro beträgt und schätzungsweise 1,3 Mrd. Döner pro Jahr verzehrt werden, ist der Preis für dieses Gericht explodiert. In einigen Städten stieg er von 4 auf 10 Euro, weshalb Die Linke vorgeschlagen hatte, den Preis für Döner auf 4,90 Euro festzulegen

Kebab paris photo
„Rente mit 60 und Kebab für 5 Euro“. Paris, 2024. | Foto: fb 

Und das nicht nur in Deutschland, denn der Döner ist ein „beliebtes“ Gericht. Populär, weil er billig und damit für alle erschwinglich ist und oft mit „Junk Food“ assoziiert wird, also Essen, das „günstig“ und unprätentiös ist, aber satt macht. 2012 bezeichnete die Los Angeles Times den Döner als „Geschenk der türkischen Migranten an Deutschland“. Sollte man eigentlich daraus schließen, dass es sich „also um ein türkisches Gericht handelt“, ist die Realität jedoch viel komplizierter.

In der eigentlich progressiven und linken Tageszeitung - ich möchte an dieser Stelle daran erinnern - interpretiert Eberhard Seidel den türkischen Antrag als „Versuch, die Dönerwelt, die seit Jahrzehnten von deutsch-türkischen Dönerproduzenten entwickelt wird, neu zu ordnen: autoritär, durch Normsetzungen aus der Türkei von oben, mit nationalistischen Reinheitsvorstellungen und Besitzanspruch.”

Der Antrag Ankaras, so Seidel, „ignoriert, dass der Döner Kebab keine Erfindung der Türkei ist, sondern ein Produkt des Osmanischen Reiches, in dem Türken, Griechen, Albaner, Juden, Armenier, Kurden und Araber sich gegenseitig in die Töpfe guckten und voneinander klauten und lernten. Das Ergebnis ist die Dreifaltigkeit: Döner-Gyros-Schawarma.”

Die türkische Forderung geht auf eine Initiative des Internationalen Dönerverbands (UDOFED) zurück, der 2019 von dem inzwischen verstorbenen Landesvorsitzenden der rechtsextremen Partei Büyük Birlik Partisi (Partei der Großen Einheit, BBP) Mehmet Mercan gegründet wurde, berichtet Christophe Bourdoiseau in Libération

„Als türkische Gastarbeiter den Döner Kebab nach Deutschland brachten, führten sie die transkulturelle Toleranz weiter. Sie griffen etwas auf, was sie aus der Türkei kannten, und erschufen etwas völlig Neues – den German Döner!”, schreibt Seidel weiter. Millionen von Menschen haben in einem partizipativen Prozess zu seiner heutigen Form beigetragen. „Der German Döner ist genau so, wie ihn die Menschen wollen. Deshalb ist er Pop, deshalb hat er weltweiten Erfolg, deshalb ist er Exportschlager aus Deutschland und nicht aus der Türkei”, so Seidels Fazit. 

In Deutschland regelt die „Berliner Verkehrsauffassung für das Fleischerzeugnis Döner Kebab“ - ein Gesetz aus dem Jahr 1989 - welche Produkte als Kebab bezeichnet werden dürfen und welche nicht. Während des jüngsten Besuchs von Frank Walter Steinmeier in der Türkei (April 2024) brachte der deutsche Bundespräsident den Gastronomen Arif Keles und einen 60 kg schweren Kebab mit, um „100 Jahre diplomatische Beziehungen“ zu feiern und die Diskrepanzen zwischen den beiden Ländern zu verringern. 

In Europa ist der Kebab Teil der gemeinsamen Lebensmittellandschaft geworden. Nach Angaben von EuroNews, die sich auf Daten des Europäischen Verbands der türkischen Dönerproduzenten (ATDID) berufen, der den Sektor seit 1996 vertritt, hat die Dönerwirtschaft in Europa einen Wert von 3,5 Milliarden Euro. Und jeden Tag werden nach Angaben des Verbandes in Europa rund 400 Tonnen Döner Kebab hergestellt

Dennoch (oder gerade deshalb) stiftet der Döner (als Gericht, Restaurant, Fastfood und Konzept) Zwietracht. Er symbolisiert Traditionen und Normen und Rassisten nutzen ihn als Argument für ihren Kulturkampf, der in den letzten zehn Jahren ganz Europa erfasst hat. 

Kebab versus „jüdisch-christliche“ Tradition

Im Juli 2024 berichteten mehrere internationale Medien - France24, SkyNews, RFI, The Times - über den Fall des Dorfes Pfösing in Niederösterreich, wo Restaurants, die „traditionelle“ Speisen anbieten, von der sogenannten „Schnitzelprämie“ profitieren. Dabei handelt es sich um eine 2023 in Kraft getretene Wirtschaftsbeihilfe für „traditionelle“ Betriebe, die als „Begegnungsstätten“ zur Erhaltung des lokalen Erbes geschützt werden sollen. 

Hinter dem romantischen Bild einer um den Tisch vereinten lokalen Gemeinschaft steht jedoch die Koalition der konservativen ÖVP mit der rechtsextremen FPÖ. Und die möchte mit Blick auf die Parlamentswahlen am 29. September die sogenannte „Leitkultur“ verteidigen - ein Konzept aus Deutschland, womit die geheiligte dominante Kultur (verstanden als „lokal“ und „legitim“) gegen eine globale und multiple Kultur gesetzt wird, die erstere bedrohen würde. 

Doch blicken wir nach Frankreich und 10 Jahre zurück. Im südfranzösischen Béziers wollte der rechtsextreme Bürgermeister Robert Ménard bereits 2015 Kebab-Restaurants aus dem historischen Zentrum verbannen, um die traditionelle „jüdisch-christliche“ Küche zu verteidigen. Und das in einem Land, in dem 2012 der Kebab das am dritthäufigsten verzehrte Mittagsgericht war (nach dem Sandwich und dem Hamburger) und wo bis 2022 das Lieblingsgericht der Franzosen Couscous war. Im darauffolgenden Jahr schlug der damalige rechtsextreme Bürgermeister von Padua (Norditalien), Massimo Bitonci, vor, dass Restaurants im Stadtzentrum verpflichtet werden sollten, „mindestens 60 Prozent ihrer Produkte“ aus der Region anzubieten. 

Seit den 1990er-Jahren, als Dönerläden auch außerhalb der Stadt zu eröffnen begannen, wird der Kebab „als Index für die Sichtbarkeit und die Präsenz der Einwandererbevölkerung angesehen“, erklärt eine Studie der fondation Jean-Jaurès. Diese Assoziation zwischen einem Sandwich und einer Bevölkerungsgruppe „wurde prompt politisiert und vom rechtsextremen Front National (jetzt Rassemblement National) angeprangert, deren Kandidaten seit Jahren gegen diese Restaurants vorgehen und behaupten, dass sie den Niedergang der jüdisch-christlichen Zivilisation symbolisieren. Eine Art ‚großer gastronomischer Austausch‘, wobei sie sich auf die nativistische Theorie beziehen, derer nach es eine islamische Verschwörung gäbe, um die ursprünglich europäische Bevölkerung zu verdrängen.“

Auch im Jugoslawienkrieg spielte der Kebab eine politische Rolle - erklärt Leonardo Bianchi in diesem Newsletter - da der Slogan 'Remove Kebab' rassistische und anti-islamische Gesinnung zum Ausdruck brachte. Diese ausgrenzende Logik ist bis heute aktuell und sie wird es, fürchte ich, auch in Zukunft bleiben. So tauchten im norditalienischen Forlì Ende August 2024 in der Altstadt rassistische Plakate an Geschäften auf, vor allem an Dönerläden… 

Der Döner wird 'cool'

Es gibt noch eine weitere Entwicklung: während die Arbeiterklasse den normalen (oder sollte man sagen 'traditionellen'?) Döner isst, verzehrt die städtische Mittelschicht lieber den 'gesunden' Döner, der aus ausgewählten Produkten lokaler Herkunft besteht - den „Feinschmecker“-Döner sozusagen. Ein Phänomen, das sich bereits an der Pizza gezeigt hat, die ursprünglich bloß ein billiger Straßensnack war. 

So berichtet Abraham Rivera in der spanischen Tageszeitung El Confidencial über die Eröffnung eines neuen Restaurants in Madrid mit dem Namen „Kebab, pero bien“ (Kebab, aber gut gemacht).  In dem Artikel erklärt Sergio C. Fanjul, dass Döner „traditionell“ das Essen für „Menschen aus ärmeren Vierteln [war], die keine Zeit hatten, gut zu essen und nicht einmal wussten, was gutes Essen bedeutet. Ihn in reiche Viertel zu bringen, ist ein bisschen so, als würde man ein ‚Ghetto‘-Essen nehmen und es gentrifizieren. [...] Es bedeutet auch, dass man nicht mehr in diese Viertel gehen muss, um ihn zu essen“. 

Dieses Phänomen betrifft nicht nur Madrid, sondern auch viele andere europäische Städte. Schließlich eignet sich der Döner hervorragend zur kulturellen Aneignung.

In Lyon zum Beispiel ist er mittlerweile so „lokal” geworden, dass er mit Schweinefleisch statt mit Rind- oder Hammelfleisch zubereitet wird - eine Tatsache, die ein ehemaliger Kandidat der souveränistischen und rechtsextremen Reconquête-Partei dazu nutzte, um eine Kontroverse auszulösen. 

In Zusammenarbeit mit Display Europe, kofinanziert von der Europäischen Union. Die geäußerten Ansichten und Meinungen sind jedoch ausschließlich die des Autors/der Autoren und spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Union oder der Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologie wider. Weder die Europäische Union noch die Bewilligungsbehörde können für sie verantwortlich gemacht werden.
ECF, Display Europe, European Union

Seit den 1980er Jahren und der Finanzialisierung der Wirtschaft haben uns die Akteure der Finanzwirtschaft gelehrt, dass sich hinter jeder Gesetzeslücke eine kurzfristige Gewinnmöglichkeit verbirgt. All das und mehr diskutieren wir mit unseren Investigativ-Journalisten Stefano Valentino und Giorgio Michalopoulos. Sie haben für Voxeurop die dunklen Seiten der grünen Finanzwelt aufgedeckt und wurden für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet.

Veranstaltung ansehen >

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie Journalismus, der nicht an Grenzen Halt macht.

Nutzen Sie unsere Abo-Angebote oder stärken Sie unsere Unabhängigkeit durch eine Spende.

Zum gleichen Thema