Dreierlei Europa

Es gibt drei parallele Europas innerhalb der EU, und jedes von ihnen verfolgt seine eigenen Ziele. Der gemeinsame Haushalt, der sie einst vereinte, ist heute zunehmend eine Quelle der Spaltung und wird langfristig nicht haltbar sein.

Veröffentlicht am 11 Oktober 2012

Das erste Europa wurdevon der Schuldenkrise getroffen und schließt nun die Reihen, um sich selbst vor der Katastrophe zu retten. Dies tut es mit mehr oder weniger Erfolg, doch bis jetzt hält es zumindest zusammen.

Das zweite Europa steht daneben und beobachtet nervös, was sich im ersten Europa abspielt. Es will noch nicht bei Europa Nr. 1 einsteigen, weil es nicht absehen kann, ob dieses denn überleben wird. Außerdem würde ein Beitritt Kosten verursachen. Doch falls das erste Europa überlebt, so befürchtet das zweite, dann hat sich die Kluft zwischen ihnen vielleicht zu sehr vertieft. Und dann hat es, wenn es letztendlich doch dem ersten Europa beitritt, dort vielleicht nichts zu melden. Schizophrenie.

Das dritte Europa ist schon nicht mehr wirklich Europa. Es lebt im Schatten seines früheren Glanzes, eingehüllt in die Patina eines Weltreichs, überzeugt von seiner Einzigartigkeit und seiner Fähigkeit, auch ohne Europa 1 und 2 zu überleben. Es wird von nationalem Egoismus dominiert. Deshalb warnt das dritte Europa das erste und das zweite Europa auch, dass es ihren Fortschritt ohne zu zögern abblocken wird, wenn es seine eigenen Interessen verteidigen muss. Denn Interessen haben Vorrang vor allem anderen.

Die Länder des ersten Europas versuchen, die Integration und die Koordination ihrer Wirtschaftsstrategien voranzubringen, und verschärfen dabei die Kontrolle der stärkeren Länder über die schwächeren. Europa Nr. 2 versucht, zu kontrollieren, was in Europa Nr. 1 passiert, weil wir ja alle im selben Zug sitzen. Europa Nr. 3 freut sich, dass es eine Spaltung gegeben hat, weil es schon lange seiner eigenen Wege gehen will.

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Gemeinsamer Haushalt ade, scheiden tut weh

Es ist nicht schwer zu erraten, wer in dieser Geschichte wer ist. Das erste Europa ist die Eurozone – 17 Länder, die eine gemeinsame Währung angenommen haben, zum Guten und zum Schlechten. Das zweite Europa sind die Länder außerhalb der Eurozone: Skandinavien und die neuen Mitgliedsstaaten, insbesondere Polen. Den meisten von ihnen, mit Ausnahme von Dänemark, bleibt keine andere Wahl als letztendlich dem Euro beizutreten – aber niemand weiß, wann es so weit sein wird. Das dritte Europa ist Großbritannien.

Es ist nur vom Namen her groß, schwer von einer Krise getroffen, liegt mit dem schottischen Separatismus im Clinch und marginalisiert sich innerhalb der EU immer mehr. David Cameron, der konservative Premierminister, sagte diese Woche bei der Kundgebung seiner Partei, er werde notfalls gegen den ganzen EU-Haushalt 2014-2020 sein Veto einlegen.

Der gemeinsame Haushalt hatte bisher die drei Europas vereint, doch nun fängt er an, sie zu spalten. Berlin schlägt einen separaten Haushalt für die Eurozone vor, also für das Europa Nr. 1. Deutschland zahlt, also fordert es. Es sickerte an die deutsche Presse durch, dass es sich dabei derzeit um 20 Milliarden Euro handeln könnte. Sogar die für Polens EU-Politik zuständigen Beamten geben zu, dass es früher oder später zur Bildung eines solchen Haushalts kommen wird. Polen wäre es später natürlich lieber als früher, und auch sollmit der Bildung eines zweiten Haushalts nicht die Reduzierung des ersten einhergehen. Das ist jedoch leider unwahrscheinlich. Die Briten werden dazu beitragen, indem sie eifrig den Haushalt blockieren, um ihren Beitrag zu den gemeinsamen Finanzen der EU zu verringern.

Ein gemeinsamer Haushalt für die drei Europas ist also unhaltbar. Was Polen tun kann und soll? Versuchen, den budgetären Scheideweg hinauszuzögern. Und so schnell wie möglich Teil von Europa Nr. 1 werden. Vorausgesetzt, es gibt noch etwas, dem man beitreten kann. (p-lm)

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