Vilnius, am 3. September 1991. Zwei Jugendliche demontieren das Symbol der Kommunistischen Partei an der Fassade eines Gebäudes.

Eine baltische Erfolgsgeschichte

Im August 1991 erklärten Litauen, Lettland und Estland ihre Unabhängigkeit von der in Auflösung begriffenen UdSSR. Zwanzig Jahre später und trotz kleinerer Probleme haben sie endgültig ihre kommunistische Vergangenheit hinter sich gelassen und sind zu ihren europäischen Wurzeln zurückgekehrt.

Veröffentlicht auf 19 August 2011 um 14:37
Vilnius, am 3. September 1991. Zwei Jugendliche demontieren das Symbol der Kommunistischen Partei an der Fassade eines Gebäudes.

Im Licht der beiden vergangenen Jahrzehnte sind Litauen, Lettland und Estland die Gewinner einer Erfolgsgeschichte. Trotz der Realitäten nach der Krise mit ihren strukturellen Herausforderungen wie Korruption, Einfluss von Lobbys oder die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit auf allen Ebenen, ist es den baltischen Staaten gelungen, sich vom sowjetischen Raum zu lösen. Es sind keine postkommunistischen Länder, sondern wenig entwickelte westliche Staaten, deren Werte, Stereotypen, Probleme, Normen und selbst Konsumgewohnheiten sich immer mehr jenen der Länder des Westens annähern.

Die gesamte Wirtschaft dieser Staaten musste neu organisiert und ein ganzes juristisches Arsenal geschaffen werden, um das politische Leben sowie die Gesellschaft zu regulieren. Ganz zu schweigen von den ersten, zögerlichen Schritten in der Außenpolitik mit dem Ziel, die Unabhängigkeit auf internationalem Parkett zu festigen und sich in den westlichen Institutionen zu integrieren. Es waren völlig neue Veränderungen. Es gab nur den Willen, niemand hatte Erfahrung mit derartigen Reformen.

Litauen, im Gegensatz zu den Bruderländern im Norden, ließ die sowjetische Ära aus ethnischer Hinsicht relativ homogen hinter sich. Das Land gab die Staatsbürgerschaft – fast – allen Menschen, die im Land lebten und vermied somit eine gespaltene Gesellschaft, Spielball Russlands, das sich im Namen der „Verteidigung der Rechte russischsprachiger Bürger“ in die inneren Angelegenheiten Estlands und Lettlands einmischt und die jungen Demokratien zu diskreditieren sucht.

Die „Tiger des Baltikums"

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Die Regierungen wechselten zwar in rasantem Tempo, dennoch verfolgten die baltischen Länder insgesamt eine äußerst liberale und kapitalistische sozialwirtschaftliche Politik. Es wurde frenetisch und oftmals nicht unumstritten privatisiert.

Selbst linke Regierungen gaben vor – als müssten sie sich rechtfertigen – , sie seien gegenüber den internationalen Institutionen verpflichtet, die Marktwirtschaft durchzusetzen. Parallel dazu versuchten sie, das postkommunistische Erbe zu wahren.

Aufgrund ihres beeindruckenden wirtschaftlichen Erfolgs wurden Litauen, Lettland und Estland die „Tiger des Baltikums“ getauft. Selbst von der jüngsten Wirtschaftskrise erholt sich die Region rasch. Auf der anderen Seite hat die Krise das Wirtschaftswachstum gebremst, die Arbeitslosigkeit nimmt zu und der Anstieg von Emigration und Korruption lässt die wirtschaftliche Zukunft nicht durchgehend rosig aussehen.

Demokratischer Übergang und wirtschaftliche Veränderung geschahen simultan. Die neue Unabhängigkeit zwang dazu, sich mit neuen politischen und wirtschaftlichen Realitäten auseinanderzusetzen. Zahlreiche politische Lichtgestalten erschienen wie Meteoriten auf der Bildfläche und verschwanden ebenso schnell. Die enttäuschten Wähler wandten sich von ihnen wie von den Parteien im Allgemeinen ab.

Die letzten 20 Jahre waren eine Erfolgsgeschichte

Mehrere Gründe brachten die Länder des Baltikums dazu, sich an den Westen anzubinden. Zunächst einmal der Wunsch nach historischer Gerechtigkeit. Die Folgen der russischen Besetzung und Annexion mussten überwunden werden. Die Abtrennung des Baltikums von Europa im Jahr 1940 endete fünfzig Jahre später. Litauen, Lettland und Estland hatten den Eindruck, dass sie zu ihren ursprünglichen Wurzeln zurückkehrten. Zudem gab die Einbindung in eine Wertegemeinschaft ein Gefühl der Sicherheit gegenüber dem einflussreichen Russland. Und zu guterletzt galt die Europäische Union als ein Eldorado von wirtschaftlichem und sozialem Nutzen.

Alle drei Länder wurden 2004 Mitglied der EU und der NATO. Doch ihre Integration beschränkt sich nicht nur darauf. Der Beitritt in den Schengenraum oder der Wunsch nach Einführung des Euro wird ebenfalls als ein Zeichen verstanden, sich dem Herzen des Kontinents zu nähern, um nicht am Rande eines Europas der zwei Geschwindigkeiten zu verbleiben.

Heute sind Litauen, Lettland und Estland weiterhin Staaten an der Peripherie Westeuropas. Klein und ohne Einfluss. Außenpolitisch versucht man in erster Linie die transatlantischen Beziehungen, die EU-Ost-Partnerschaft, die Energieversorgung, die Annährung an Skandinavien und die jüngsten politischen Entwicklungen zu stärken.

Die vergangenen zwanzig Jahre können als Erfolgsgeschichte der baltischen Staaten betrachtet werden. Freiheit und Unabhängigkeit wurden wiedererrungen, die Demokratie etabliert, Wohlstand und Sicherheit der Menschen hat zugenommen. Sicher, Litauen, Lettland und Estland sind nicht das Singapur des Baltikums, dennoch war es ein riesiger Tigersprung vom sowjetischen System zur dynamischen Gesellschaft nach westlichem Vorbild. Diesen Sprung haben sie getan, und er reicht ihnen vermutlich nicht.

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