Bei den letzten EU-Wahlen haben die Konservativen wie erwartet zugelegt: Die Europäische Volkspartei (EVP, mitte-rechts) konnte ihre Position als größte Fraktion in der EU mit 188 Sitzen gegenüber der vorherigen Legislaturperiode ausbauen.
„Die Machtdynamik im Europäischen Parlament ist nach den letzten Wahlen weitgehend unverändert geblieben”, konstatiert das Top-Fake-Team des Belarusian Investigative Center, das in seinem wöchentlichen Fakt Check einen Telegram-Kanal entlarvt hat, der vor den Wahlen behauptet hatte, dass die ultrarechten Parteien das neue Parlament dominieren werden.
Die EU Unterhändler einigten sich zwei Wochen nach der Wahl darauf, Ursula von der Leyen, ebenfalls Mitglied der EVP, in ihrem Amt als EU-Kommissionspräsidentin zu bestätigen, womit auch die Besetzung dieses Schlüsselpostens unverändert blieb. Offensichtlich „muss sich alles ändern, damit alles gleich bleibt”, wie der italienische Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa schon über das italienische Risorgimento schrieb.
Obwohl also tatsächlich vieles beim Alten bleibt, hat das Wahlergebnis die EU-Klima-Agenda ins Wanken gebracht.
Der von den Grünen und Klimaaktivisten wie Fridays for Future 2019 ins Leben gerufene Green Deal gilt als einer der größten Erfolge von Ursula von der Leyen.
Dabei war es ihre eigene Partei, die sich vergangenes Jahr über die überbordende Umwelt- und Klimaregulierung beklagt hatte. Ein - wie Nichtregierungsorganisationen meinen - Zugeständnis an große Industrie- und Agrarkonzerne, die gegen die EU-Klimapolitik protestiert hatten.
Unterdessen hat Österreichs grüne Umweltministerin Leonore Gewessler gegen das Naturwiederherstellungsgesetz gestimmt und damit monatelange Diskussionen um ein lang erwartetes Gesetz zum Schutz von Ökosystemen vom Tisch gefegt.
Louise Guillot von Politico bezeichnete Gewessler daher als „Schurkin”. Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer hatte sich vorher ebenfalls geweigert, die Verordnung zu unterstützen mit dem Argument, er könne rechtlich nicht für Österreich sprechen - eine absurde Geschichte, die Kurier-Reporter Raffaela Lindorfer, Christian Böhmer, Johanna Hager und Josef Gebhard von A-Z verfolgt haben.
In einem Podcast der dänischen Medienseite Informatíon haben Anna von Sperling, Rune Lykkeberg und Marie Sæhl Orte ausgemacht, die von dem Gesetz dringend hätten profitieren können.
Was bedeutet das alles für die Klimapolitik der EU?
Anders als vor fünf Jahren war die Wahl zum Europäischen Parlament 2024 keine „Abstimmung über das Klima”. Der Green Deal bleibt jedoch ein zentrales Element der EU-Politik für die nächsten fünf Jahre. Das ehrgeizige Gesetzespaket kann nicht einfach rückgängig gemacht werden, wie die Konservativen behaupten, aber es kann in seiner Umsetzung auf nationaler Ebene verzögert werden.
Um ihre eigene Partei nicht zu verprellen, die sich angesichts des Green Deal Sorgen um die industrielle Wettbewerbsfähigkeit macht, hat Ursula von der Leyen nun einen anderen, perfekten Deal gefunden: den „grünen Industriedeal”, den sie bereits 2023 erwähnt hatte und der nun alle glücklich machen soll.
Dieses neue Gesetzespaket kommt dem Green Deal am nächsten und könnte sich entweder als Lösung oder als Betrug erweisen.
Ferdinando Cotugno von Domani ist zuversichtlich und bezeichnet den „Green Deal 2.0” als „zweites Standbein des europäischen Klimaprojekts” und "breit angelegten grünen Deindustrialisierungsplan”, der es „der Europäischen Union ermöglichen könnte, mit China und den Vereinigten Staaten zu konkurrieren: eine integrierte Industriestrategie, unterstützt durch eine neue Finanzarchitektur und Allianzen mit dem globalen Süden, um das Peking-Washington-Duo beim grünen Übergang auszubremsen.”
Francesca De Benedetti, die ebenfalls für Domani schreibt, hat mit Bas Eickhout in Brüssel gesprochen. Gemeinsam mit anderen grünen Europaabgeordneten versucht er seine Fraktion als „die Alternative” zu Giorgia Melonis Fratelli d'Italia zu präsentieren.
Im Interview mit der Taz zeigt sich Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer enttäuscht über die Ergebnisse der Europawahl, insbesondere über den deutlichen Rückgang der deutschen Grünen im Vergleich zu 2019.
„Die allermeisten Kinder haben große Sorgen hinsichtlich der Klimakrise, aber immer weniger Hoffnung. Das ist nicht einfach ein Privatproblem unserer Bewegung. Dass solche politische Hoffnungslosigkeit an der ökologischen Front herrscht, ist ein demokratischer Missstand und sollte allen Parteien zu denken geben. Daraus rührt ja auch ein massiver Vertrauensverlust in die Klimakompetenzen der Politik”, meint Neubauer.
Andere Krisen, Kriege und die Herausforderungen bei der Energieversorgung haben das Thema Klimawandel verdrängt, wobei die meisten Bürger noch immer davon überzeugt sind, dass die Regierungen handeln sollten: Laut einer weltweiten UN-Umfrage wünschen sich 80 % der Bevölkerung eine stärkere Initiative ihrer Länder in Sachen Klimaschutz.
In Frankreich, wo Präsident Emmanuel Macron nach der Niederlage seiner Partei bei den EU-Wahlen vorgezogene Parlamentswahlen einberufen hat, haben Journalisten von Reporterre eine Veranstaltung zum Thema Ökologie gegen den rechtsextremen Rassemblement national organisiert.
Audrey Fisné-Koch stellt in Alternatives Economiques fest, dass der Rassemblement nichts unversucht gelassen und sogar den feministischen Diskurs für rassistische Zwecke instrumentalisiert hat.
Ebenfalls in Frankreich schreibt Jade Lindgaard in Mediapart über die Klimaauswirkungen der Olympischen Spiele, die schlimmer sein könnten als erwartet.
In Griechenland, so wie überall auf der Welt, sterben immer mehr Menschen an den Folgen von Hitzewellen, schreibt die Tageszeitung Efsyn.
Um die Klimakrise zu bewältigen, fordert die Architektin des Pariser Klimaabkommens, Laurence Tubiana, die Reichen auf, mehr zu zahlen, wie Fiona Harvey es in The Guardian berichtet.
Und ich möchte mit einer positiven Nachricht enden, die in einem recht poetischen dennoch wissenschaftlich korrekten Artikel von William Sass in Informatíon zu lesen ist. Nämlich dass Photosynthese als „quasi göttlicher Prozess” dazu beitragen kann, den Klimawandel zu verlangsamen.
So weit unser Jahresrückblick zum Thema Umwelt und Klima. Ich hoffe, er entspricht ihren Erwartungen zu qualitativem Journalismus in diesem so wichtigen Bereich.
In Zusammenarbeit mit Display Europe, kofinanziert von der Europäischen Union. Die geäußerten Ansichten und Meinungen sind jedoch ausschließlich die des Autors/der Autoren und spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Union oder der Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologie wider. Weder die Europäische Union noch die Bewilligungsbehörde können für sie verantwortlich gemacht werden.

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Seit den 1980er Jahren und der Finanzialisierung der Wirtschaft haben uns die Akteure der Finanzwirtschaft gelehrt, dass sich hinter jeder Gesetzeslücke eine kurzfristige Gewinnmöglichkeit verbirgt. All das und mehr diskutieren wir mit unseren Investigativ-Journalisten Stefano Valentino und Giorgio Michalopoulos. Sie haben für Voxeurop die dunklen Seiten der grünen Finanzwelt aufgedeckt und wurden für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet.
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