Ein Kahlkopfibis im Flug mit dem GPS-Tracker auf dem Rücken. | Foto: Waldrappteam Bald ibis in filght Waldtrappen

Europa schützt den Waldrapp, Italien die Wilderei

Der Waldrapp galt noch vor zwanzig Jahren als ausgestorben. Nun wird er mühsam wieder in den Alpen angesiedelt, auch mit Hilfe europäischer Gelder und Technologien. Der Prozess wird jedoch durch menschliche Faktoren wie Hochspannungsmasten und Wilderei – eine italienische Spezialität – behindert.

Veröffentlicht am 26 November 2025
Bald ibis in filght Waldtrappen Ein Kahlkopfibis im Flug mit dem GPS-Tracker auf dem Rücken. | Foto: Waldrappteam

Zoppo war ein Pionier: Im Jahr 2017 folgte er einem Ultraleichtflugzeug von Überlingen (Deutschland) bis in die Toskana und überquerte dabei die Alpen. Im Jahr 2020 kehrte er allein zurück und war damit der erste geschlechtsreife Waldrapp seit über 400 Jahren, dem es gelang, an seinen ursprünglichen Brutplatz am Bodensee zurückzukehren, der im Laufe der Jahre zu einer neuen europäischen Kolonie wurde. 

Die junge Zaz lernte dieses Jahr gerade von Zoppo die Zugroute: Mit nur 5 Monaten flog sie mit ihm in die Schweiz, um dann den Aufwinden zu trotzen und die Alpen in Richtung Italien zu überqueren. Beide erreichten ihr Ziel erfolgreich, wurden jedoch weniger als eine Stunde später erschossen, als sie nach ihrer anstrengenden Reise erschöpft und hungrig auf einer Wiese in Dubino (Lombardei) nach Futter suchten. 

Northern bald ibis
injured but safe, thanks to its GPS | Photo: Marta Abbà
Ein nördlicher Waldrapp, verletzt, aber dank seines GPS in Sicherheit. | Foto: ©Marta Abbà

Zoppo und Zaz waren zwei von nur wenigen hundert Waldrappen in Europa. Im 18. Jahrhundert gab es keinen einzigen mehr, und seit 2004 wird versucht, die Art erneut anzusiedeln, indem jedem Exemplar durch spezielle Begleitflüge wieder beigebracht wird, wie und wohin es wandern muss. 

Um die Fortpflanzungsfähigkeit der Art zu gewährleisten, müssen laut Expertinnen und Experten mindestens 360 Waldrappe vorhanden sein: Wir sind fast am Ziel. Wären da nicht jedes Jahr über 100 Todesfälle (109 im Jahr 2024), davon 36 Prozent durch offenkundige Wilderei und viele andere (30 Prozent) durch „Verschwinden“, höchstwahrscheinlich infolge nicht näher bezeichneter „menschlicher Handlungen“. 

Die andere häufige Todesursache ist der Stromschlag (34 Prozent) durch die Kollision mit nicht isolierten Hochspannungsmasten während des Fluges. Die kleine Sonic hatte nicht damit gerechnet, auf ihrer Route auf diese Gefahr zu stoßen, und im Jahr 2020 wurde ihr Kadaver am Fuße eines solchen Mastes geborgen. Sonic war der erste weibliche Waldrapp, der gelernt hatte, alleine von der Toskana zum Bodensee zurückzukehren, dieselbe Route, die auch Zoppo genommen hatte. 

Die Zugwege des Ibis. | Quelle: Waldrappteam

Der Grund, warum alle Details zu den Todesfällen bekannt sind, liegt in einem Rucksack, den jedes Exemplar dieser Spezies auf dem Rücken trägt. Darin befindet sich ein GPS-Gerät, das Positionen, ungewöhnliche Bewegungen und Geschwindigkeiten meldet und alles an ein Team von Expertinnen und Experten weiterleitet, das im Falle einer vermuteten Verletzung oder Tötung sofort eingreifen kann. 

Der Waldrapp ist eine vom Aussterben bedrohte Art, und die Europäische Union finanziert ein Schutzprojekt, um dies zu verhindern: Das Programm mit Namen LIFE Northern Bald Ibis ist die weltweit erste Initiative, die darauf abzielt, eine Zugvogelart in ihrem historischen europäischen Verbreitungsgebiet wieder anzusiedeln und ihr verlorenes Zugverhalten wiederherzustellen. 

Es ist derzeit nicht möglich, für jeden Zugvogel die Überwachung zu gewährleisten, von der die Waldrappe profitieren. Durch diese organisierte Überwachung können jedoch die Gefahren aufgezeigt werden, denen auch viele andere Arten beim Überfliegen der Alpen ausgesetzt sind, wie ungeschützte Schweizer Stromleitungen und italienische Wilderer. 

Systematische Wilderei 

Was die Stromschläge auf Schweizer Boden angeht, scheint sich die Situation nach Jahren des Massentodes zu verbessern. Im Jahr 2024 zählte das Waldrappteam, eine österreichische Einrichtung, die mit der Leitung des Projekts beauftragt ist, insgesamt 109 Todesfälle, wobei in 22 Prozent der Fälle die Ursache ein Stromschlag an Strommasten war. Mit einer Flügelspannweite von bis zu 135 Zentimetern gehören Waldrappe zu den am meisten durch zu nahe beieinander liegende Hochspannungsleitungen gefährdeten Vögeln. Um sie zu retten, würde es ausreichen, die Leitungen weiter auseinander zu legen oder sie mit Kunststoffelementen zu isolieren. 

Dies nicht zu tun, kostet den Vögeln das Leben. Die Stromversorger müssten rund 650 Millionen Euro für die genannten Maßnahmen aufwenden. Sie drohten, diese Kosten auf die Stromrechnungen der Verbraucher abzuwälzen. Im vergangenen Sommer hat der Schweizer Bundesrat (Parlament) per Verordnung die Sanierung gefährlicher Freileitungen bis zum Jahr 2040 vorgeschrieben. 

Während auf Schweizer Seite Verbesserungen in Sicht sind, gibt es auf italienischer Seite keine Anzeichen dafür. Die beiden in Valtellina gefundenen Opfer von Wilderei hatten keinerlei Einfluss auf die laufende Diskussion um den Gesetzentwurf 1552, der darauf abzielt, die Jagdsaison auch auf für Zugvögel wichtige Zeiträume auszuweiten. 

Johannes Fritz, Direktor von Waldrappteam Conservation and Research, erinnert daran mit Besorgnis: „Die Wilderei bleibt in Italien die größte Bedrohung für den Waldrapp“, sagt er und weist darauf hin, dass es sich um „eine alte Tradition handelt, die auch angesichts geschützter Arten wie dieser, deren Tötung laut Artikel. 452 bis des italienischen Strafgesetzbuchesmit bis zu sechs Jahren Haft bestraft wird“, nicht aufzuhalten ist.

Der jüngste Bericht „The Killing 3.0“ von Birdlife International und Euronatur sieht Italien mit 5,6 Millionen Exemplaren allein in der Saison 2022/23 an erster Stelle, wenn es um illegal getötete Vögel geht. Laut Rosario Fico, Leiter des Nationalen Referenzzentrums für veterinärmedizinische Forensik am Istituto Zooprofilattico Sperimentale delle regioni Lazio e Toscana, zeigen sowohl die Daten des Berichts als auch die von Waldrapp „eindeutig die systemischen Schwächen des italienischen Systems bei der Bekämpfung der Wilderei“. 

Ibis pronti al decollo dove gli aerei atterrano | Photo: Marta Abbà
„Achtung! Startende und landende Flugzeuge. Die Start- und Landebahn nicht überqueren.“ Ibis in der Nähe der Start- und Landebahn eines nicht genannten Flughafens im Nordosten Italiens. | Foto: ©Marta Abbà

Fico beklagt „einen gravierenden und anhaltenden Mangel an Ermittlungsmethoden und ein fehlendes Verständnis für den sozialen Aspekt des Phänomens“. Laut dem Experten ist es jedoch von grundlegender Bedeutung, diesen zu kennen, um sowohl die Verantwortlichen als auch diejenigen zu identifizieren, die zu dem Netzwerk gehören, das ihnen Schutz bietet. „Es ist unwahrscheinlich, dass Wildernde alleine handeln“, sagt Fico, „sie würden niemals ihre Jagdlizenz riskieren“. Dies bestätigt auch Claudio Tomasi, Koordinator der Forstbehörde der Autonomen Region Friaul-Julisch Venetien, einer der Regionen, in denen die Zahl der Waldrapp-Exemplare ebenso zunimmt wie die Zahl der getöteten Tiere. 

Freiwilliger Wettlauf gegen die Zeit

Im Sommer 2024 sind über fünfzig Waldrappe ausgewandert, vier wurden erschossen – drei in der Provinz Udine und einer in der Provinz Pordenone. Stefano Pesaro, Experte für exotische und wilde Tiere an der Universität Udine, sah die Kadaver in dem von ihm geleiteten Zentrum für Tierhaltung, Aquakultur und Wildtiermanagement in Pagnacco eintreffen. Pesaro führte persönlich Röntgenaufnahmen und Autopsien durch, um dem Waldrapp-Team und den Strafverfolgungsbehörden alle möglichen Informationen zur Erleichterung der Ermittlungen zur Verfügung zu stellen. 

Pesaro arbeitet seit langem mit dem Forstdienst der Region Friaul-Julisch Venetien und dem LIFE-Projekt zusammen. „Meinen ersten Waldrapp habe ich vor 15 Jahren gesehen. Durch die Untersuchung der Kadaver können wir heute sogar die Art und Größe der Projektile bestimmen.“ 

Er erzählt dies, während er sich um ein junges, verletztes, aber gerettetes Exemplar kümmert, das in einer großen Voliere herumhüpft. Nur wenige Kilometer von dem Zentrum entfernt, in dem Pesaro arbeitet, erklärt Claudio Tomasi aus seinem Büro, wie nützlich die dort gewonnenen Informationen sein können, insbesondere in Fällen von Wilderei. „In vielen Fällen von illegaler und offenkundiger Tötung kann man rechtlich nicht weiter vorgehen, weil Beweise fehlen: Ein Projekt wie Waldrapp kann entscheidende Beweise liefern und so die Wahrscheinlichkeit erhöhen, die Verantwortlichen zu finden.“ 

Dies gilt nicht nur für die Ergebnisse der Autopsien, sondern auch für die vom GPS-Gerät gelieferten Koordinaten und die am Tatort gesammelten Hinweise. Die richtigen Hinweise so schnell wie möglich zu sammeln, ist eine Herausforderung für das gesamte Team, bei der die Rolle der Freiwilligen mehr denn je von entscheidender Bedeutung ist. Roberta Peroni, Leiterin des Waldrapp-Projekts zur Bekämpfung der Wilderei in Italien, betont dies mehrfach, während sie durch das hohe Gras zu der Stelle geht, an der Brisa gefunden wurde, ein Waldrapp, der in der Nähe von Osoppo erschossen wurde. 

Seine Leiche wurde von einem Freiwilligen aus der Gegend geborgen, dessen schnelle Reaktion sich nun als entscheidend für die Ermittlungen zur Identifizierung des Täters erweisen könnte. Im Fall von Otello war schnelle Hilfe sogar zweimal lebensrettend. Als er noch sehr jung war und ein Freiwilliger ihn apathisch und leicht verletzt in der Nähe von Orbetello in der Provinz Grosseto fand, und einige Jahre später, als er von einem Touristen regungslos und geschwächt am Meeresufer in derselben Gegend entdeckt wurde.

Keine politischen Signale 

In Italien wird versucht, die Maßnahmen, die nach der Meldung einer Anomalie durch das GPS erforderlich sind, sowohl vor Ort als auch vor Gericht immer schneller und effektiver zu gestalten. In Deutschland und Österreich wird unterdessen untersucht, wie die Leistung des GPS-Geräts selbst verbessert werden kann. Das Ziel ist es, das Gerät für diejenigen, die die Daten abrufen, präziser und autonomer zu machen, es aber gleichzeitig für die Waldrappe, die es tragen, bequemer und leichter zu gestalten. Während man versucht, die Effizienz des Solarpanels, das es mit Strom versorgt, und die Genauigkeit der aufgezeichneten Position zu optimieren, muss man daher weiterhin die Belästigung für den Vogel minimieren. 

Das Gerät wiegt 25 Gramm und seine Form wurde so konzipiert, dass es den Flug möglichst wenig beeinträchtigt, auch wenn es noch verbessert werden könnte. Um die aerodynamischste Form zu finden, wurde in Seekirchen am Wallersee (Österreich) ein spezieller Windkanal eingerichtet, indem man einen stillgelegten Stall in ein Labor für Aerodynamik umwandelte. 

Die Experimente werden von Herwig Grogger geleitet, einem österreichischen Ingenieur, der seit Jahren mit dem Team Waldrapp zusammenarbeitet und seine Studierenden in die verschiedenen Phasen dieses weltweit einzigartigen Naturschutzprojekts einbezieht. Die beiden derzeit beteiligten jungen Studierenden haben einen virtuellen Zwilling des Waldrapps erstellt, um dann mit Hilfe eines 3D-Druckers eine Kopie davon anzufertigen und diese anstelle eines echten Exemplars im Windkanal zu verwenden. So kann an der Verbesserung der Aerodynamik der „GPS-Rucksäcke“ gearbeitet werden, ohne echte Waldrappe Stress auszusetzen. 

Mit diesem Fortschritt im ehemaligen österreichischen Stall möchte Team Waldrapp weiterhin zeigen, wie schwierig – aber nicht unmöglich – es ist, Technologie als Verbündeten der Natur einzusetzen. Aber Technologie allein reicht nicht aus, wie die Ereignisse in Italien zeigen, wo die vom GPS gesendeten Informationen zum Schutz der von Wilderei betroffenen Waldrappe nicht genug sind, um dieses Phänomen auszurotten. Um auch die anderen Vögel zu retten, die nicht von derselben Ortung profitieren, ist eine kollektive und rein menschliche Anstrengung erforderlich. 

Alle zuständigen Behörden müssen zusammenarbeiten, und dazu kann sie keine Technologie bewegen. Laut dem Tierarzt Rosario Fico „würde ein klarer politischer Wille zur Bekämpfung der Wilderei helfen“. Dafür gibt es jedoch bislang auf italienischer Seite keine Anzeichen. 

🤝 Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Brigitte Wenger erstellt und vom Journalismfund Europe unterstützt.
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