Europäische Autobauer - Wege aus der Sackgasse

Die Automobilindustrie, ein bedeutender Sektor der europäischen Wirtschaft, leidet unter den Folgen der Krise. Um ihre Produktionskapazitäten anpassen zu können, entscheiden sich die verschiedenen Unternehmen für gegensätzliche Strategien.

Veröffentlicht am 23 April 2012 um 11:33

Die Eröffnung Ende März in Kecskemét bei Budapest eines funkelnagelneuen Mercedes-Benz-Werks — das erste in Europa außerhalb Deutschlands — gibt den Ungarn allen Grund zur Freude.

Das Werk, rund 800 Millionen Euro teuer, sollte zunächst bis 120.000 Autos pro Jahr herstellen und dann seine Produktion verdoppeln. 2500 sichere Arbeitsplätze sollten so geschaffen werden.

Während die Ungarn ihre Feier vorbereiteten, war am 28. März In Rüsselsheim in der Nähe von Frankfurt die Stimmung gedrückter. Der Opel-Aufsichtsrat untersuchte die Entwicklungsperspektiven der europäischen Tochtergesellschaft von General Motors (GM).

Überall in der deutschen Presse waren alarmierende Artikel zu lesen über die angebliche Absicht des Konzerns, in Deutschland das Opel-Werk in Bochum und in Großbritannien von Ellesmere Port zu schließen.

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Der Aufsichtsrat hat allerdings nicht über die Zukunft der europäischen Werke entschieden und garantiert deren Fortbestehen bis Ende 2014.

Die Feierlichkeiten in Kecskemét und das angespannte Klima in Rüsselsheim spiegeln ziemlich genau die verschiedenen Auffassungen wider, wie es mit der europäischen Automobilindustrie weitergehen soll.

Gibt es zu viele Werke in Europa?

Mit nur 13,1 Millionen Stück im Jahr 2011 ist der Verkauf von Neuwagen in der EU deutlich gesunken. 2012 wird ein weiterer Rückgang erwartet.

Zahlreiche europäische Anlagen produzieren deutlich unter ihren Kapazitäten und schreiben für die Hersteller rote Zahlen.

Die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers schätzt diese Überkapazitäten auf 4,4 Millionen PKW pro Jahr. Ein typisch europäisches Problem, das es weltweit auf keinem anderen Markt gibt.

Die Automobilindustrie ist ein entscheidender Sektor im Kampf um die Erhaltung von Arbeitsplätzen. Nach Angaben des europäischen Branchenverbands der Automobilindustrie ACEA arbeiten 2,3 Millionen Menschen in den Fabriken für Autos, Motoren und Ersatzteile, was 7 Prozent der gesamten Arbeitsplätze in der europäischen Industrie ausmacht. Nicht mitgerechnet die 10 Millionen Menschen in den Subunternehmen der Automobilindustrie.

Ein Industriezweig, der auch eine wichtige Innovationsquelle ist. Die Investitionen für Forschung und Entwicklung der Branche belaufen sich in Europa auf 22 Milliarden Euro. Das ist mehr als in der Pharma-Industrie.

Die zweite Welle der Krise

Bei der ersten Welle der Krise in den Jahren 2008-09 haben zahlreiche europäische Regierungen sogenannte Abwrackprämien eingeführt. Käufer, die ihren PKW durch einen Neuwagen ersetzten, bekamen eine finanzielle Hilfe.

Doch als die erste Welle der Krise vorüber war, kam die Zeit der Umstrukturierungen und der Anpassung der europäischen Werke an die aktuellen Marktanforderungen.

Eine absolute Notwendigkeit, zumal mit der Schuldenkreise in der Eurozone, die Neuzulassungen von PKW noch weiter gesunken sind.

Mehrere europäische Produktionsstätten mussten bereits schließen. Beispielsweise vor zwei Jahren das Opel-Werk in Antwerpen. Der Schwede SAAB hat seit gut einem Jahr die Produktion eingestellt. Auch in den Werken von Peugeot-Citroën (PSA) ist das Klima angespannt. Es wird befürchtet, dass mit der Unterzeichnung einer strategischen Allianz mit General Motors die französischen Werke des Konzerns geschlossen werden sollen.

Der Fall Panda

„Nur sehr wenige Automobilhersteller schaffen es noch, in Europa schwarze Zahlen zu schreiben. Eine unhaltbare Situation, die sich ändern muss“, erklärte am Rande des Genfer Autosalons Fiat-Chef Sergio Marchionne, derzeit auch Präsident der ACEA. Er hat die europäischen Behörden dringend aufgefordert, eine Politik zur Entwicklung einer europäischen Automobilindustrie einzuleiten, die mit der weltweiten Konkurrenz mithalten kann. Er forderte auch von der Automobilindustrie selbst, sich mit dem Problem der Überkapazitäten auseinanderzusetzen, welches noch vom „politischen Druck der Mitgliedsstaaten verschlimmert wird und das Gleichgewicht des Gemeinsamen Marktes stört.“

Trotz aller Kritik am Interventionismus präsentierte Marchionne als Beispiel, dem man folgen sollte, die Entscheidung Fiats, die Produktion des neuen Panda vom polnischen Werk in Tychy nach Neapel zu repatriieren. „Die Entscheidung den neuen Panda wieder in Italien zu produzieren, basierte nicht nur auf rationalen Gründen. Sie wurde aufgrund des historischen Bands und der privilegierten Verbindung zwischen Fiat und Italien getroffen“, gab er zu.

Christian Klingler, Vorstandsmitglied von Volkswagen, hingegen meint, dass das wahre Problem nicht die Überkapazitäten der Werke sind, sondern die Wettbewerbsfähigkeit. Genau aus diesem Grund hat das deutsche Unternehmen — im Gegensatz zu Fiat — beschlossen, seinen neuen Kompaktwagen Up! in Zentraleuropa zu bauen, im Werk von Bratislava.

Für den Mercedes-Konzern, der nun Ungarn produziert, rechnet sich das auch leicht nach: Die Produktionskosten sind dort 30 Prozent niedriger als in Deutschland. (js)

Serbien

Der Glücksfall Fiat

„30.000 PKW bis Ende des Jahres“,titelt Danas. So lautet die geplante Produktionszahl des neuen Fiat-Werks im serbischen Kragujevac. Der italienische Automobilhersteller hat eine Milliarde Euro in die Produktion seines Fiat 500 investiert, der vollständig „made in Serbia“ sein wird.

Die Eröffnung drei Wochen vor den Parlaments- und vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 6. Mai, wird als Hilfestellung für Serbiens amtierenden Präsidenten Boris Tadic und seiner Demokratischen Partei Serbiens interpretiert, weshalb auch der Cartoon von Corax auf dem Titelblatt der Tageszeitung einen Fiat voller Regierungsmitglieder zeigt.

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